MAK
Internationale 
ammler- 
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
17. Jahrgang. Wien, 15. März 1925. Nr. 6. 
Eine JTleisterin des Scfierenscfiniffes. 
In den Siebziger- und Achtzigerjahren des 18. Jahr 
hunderts lebte sich die große Mode der Porträtsilhouette, 
die bekanntlich ihren Namen dem ebenso knauserigen 
wie kurzlebigen Finanzminister Etienne de Silhouette 
verdankt, aus. Es war das selbstverständlichste Gesell 
schaftsspiel, jeden Menschen im natürlichen Schattenriß 
an die Wand zu werfen, diesen nachzuzeichnen und 
zu verkleinern. Noch im Jahre 1791 äußerte sich Goethe, 
der dieser Mode auf das Eifrigste huldigte: „Kein Frem 
der zog vorüber, den man nicht abends an die Wand 
geschrieben hätte, die Storchschnäbel durften nicht 
rasten.“ Lehrbücher erschienen über diesen Gegenstand, 
jedes Album und Stammbuch enthielt getuschte oder 
geschnittene Silhouetten, Kupferstiche mit den Schatten 
rissen bekannter Persönlichkeiten waren allüberall ver 
breitet, ja sogar auf Gläsern und Porzellanen erschienen 
immer wieder Schattenrisse und auch in der Innenaus 
stattung großer Kirchenräume fehlten sie nicht. 
Die Schattenrisse waren durchaus nicht beeinflußt 
von den Pergament- und Papierschnitten des Orients, 
•noch weniger von den schwarzfigurigen Vasen Grie 
chenlands, wenn auch die rührende Erzählung des 
Plinius von dem griechischen Töpfer, der in der 
Abschiedstunde von seiner Geliebten bei der Flamme 
eines Oellämpchens im Schattenriß festgehalten wurde, 
darnach angetan wäre, jene sentimentale Zeit auf das 
Tiefste zu beeinflussen. Der Scherenschnitt war ganz 
einfach ein auch für die minder bemittelten Preise 
erschwinglicher Ersatz für die teuren, gemalten Email- 
und Elfenbein-Miniaturen. Deshalb führten auch beide 
neben einander ein beschauliches Dasein, bis sie end 
lich gleichzeitig durch die neu auftauchenden Daguer- 
rotypie und die Photographie fast endgültig verdrängt 
wurden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts aber war das 
Silhouettieren nicht mehr tändelndes Gesellschaftsspiel, 
sondern Geschäft geworden, dem sich viele kleinere 
Zeichner, die keinen rechten Verdienst finden konnten, 
widmeten. Immer wieder wiesen sie darauf hin, daß 
sie „in kürzester Zeit“ jeden beliebigen Kopf in eine 
gemalte oder geschnittene Silhouette verwandeln könnten. 
Von Kunst, ja nicht einmal von nennenswerter Fertig 
keit konnte mehr die Rede sein, da es sich meist 
lediglich um die Verkleinerung einer Lichtpause durch 
den Pantographen (Storchschnabel) handelte. 
Diesen Handwerkern gegenüber behaupten natürlich 
die Künstler des Schattenbildes eine ganz andere Stellung. 
Sie arbeiten frei, lediglich mit der Schere, indem sie 
meist schwarze Papierblättchen mit der Innenseite 
aneinander falteten und nun ohne jede Hilfslinie, einzig 
und allein ihrem sicheren Gefühl und Auge vertrauend, 
fesch darauf los schnitten, bis sie von dem Modell 
zwei symmetrische Bilder oder auch die beiden symme 
trischen Hälften eines Bildes erzielt hatten. Es gehörte 
dazu eine ganz besondere Begabung, die insbesondere 
bei Frauen sehr verbreitet war, wie ja auch bis in 
unsere Tage die schönsten Scherenschnitte von Frauen 
hand herrühren. 
Die berühmteste Scherenschneiderin war Luise 
Duttenhofer (1776—1829), deren gesamtes Werk 
Dr. Gustav E. Pazaurek, der verdienstvolle Leiter 
des Landesgewerbemuseums in Stuttgart, im Verlage 
von Hermann Pfisterer* herausgegeben hat. Luise 
Duttenhofer war eine in ihrer Art einzig dastehende 
Begabung. Alles, was sie sah, formte sich ihr zum 
Schattenriß, ihre Bekannt- und Verwandtschaft hat sie 
verewigt und selbstverständlich alle Grossen ihrer Zeit. 
Dabei kam ihr humoristisches, ja satyrisches Talent, 
immer wieder zum Durchbruch. Wenn sie zum Beispiel 
den Dichter Friedrich von Matthisson, der ihr 
wegen seines Servilismus gegenüber dem König unsym- 
patisch war, verhöhnte, war sie nicht minder interessant, 
als wenn sie Goethe in Ehrfurcht in der Silhouette 
festzuhalten trachtete. Und ganze Szenen, die dem 
Familienleben entnommen waren, gestalteten sich unter 
ihrer kunstbegabten Hand zum beredten Sittenzeugnis 
ihrer Zeit. Während sie den speichelleckerischen Dichter 
mit dem ätzenden Spott ihrer Schere übergoß, während 
sie die obligaten Kaffeekränzchen mit gutmütiger Ironie 
durchhechelte, brach in ihren entzückenden Kinder 
bildern das ganze tiefe Gemüt der naiven Schwäbin 
hervor. 
Luise Duttenhofer war auf ihrem Lieblingsgebiete 
überaus fruchtbar und doch ist fast das gesamte Kunst 
werk der anmutigen Künstlerin ihrer Heimat, wenn auch 
nicht in beiden Exemplaren des Schattenrisses, so doch 
wenigstens in dem einen Teile erhalten geblieben, so 
daß Dr. Pazaurek es leicht zusammenfassen konnte. Der 
Verlag hat das Seine getan, um das Werk der Bedeu 
tung der Künstlerin entsprechend würdig auszustatten. 
Eine reizende Mappe umschließt den von Dr. Pazaurek 
verfaßten Text und 26 Blätter mit Silhouetten, die groß 
artig, vielfach auch in Farben, wiedergegeben sind. 
* Gustav E. Pazaurek: Die Scherenkünstlerin Luise Dutten 
hofer (1776—1829). Stuttgart 1924. Verlag von Herrn. Pfisterer. 
Preis 30 M.
	        
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