Hummer 11.
internationale Sammler-Zeitung.
Seite 169.
flurti eine 5amm!ung.
Von Dr. Cmil R ediert, Wien.
Der Einladung des liebenswürdigen Herausgebers der
„Internationalen Sammler-Zeitung“ würde ich gerne folgen,
wenn ich nur .irgend etwas sammeln würde. Verzweifelt
gleitet mein Blick durch mein Arbeitszimmer und bleibt an
den Bücherschränken im Hintergründe haften. Hier lese
ich wohl auf den Bücherrücken „Sammlung oberstgericht
licher Entscheidungen“, aber weder dem Herausgeber noch
den Cesern märe damit gedient. Da fällt mein Blick in
ein anderes fach und ich sehe, daß ich doch einmal etwas
gesammelt habe, nämlich die „fliegenden Blätter“. Von den
Bücherrücken oan hundertunddreißigBänden scheint mir dieser
gesammelte Humor freundlich und ermutigend zuzuminken.
In der Tat dürfte wohl jeder ITlensch einmal irgend etwas
gesammelt haben. So will ich mich denn heute mit meiner
Sammlung beschäftigen und ziehe aufs Geratewohl die
drei ersten Bände heroor. Das Papier ist so grob und die
Zeichnungen so hölzern, dafj man an jene fliegenden Blätter
denkt, die „gedruckt in diesem Jahr“ durch die Tande
flattern; uon ihnen haben die „Ulünchner“ offenbar das
fliegen gelernt. Während sie aber heute, wie jener Ver
gnügungsoerein, sich oar „Gesprächen über Religion, Politik
und Richard Wagner“ hüten, begegnen wir in den alten
Bänden mancher Anspielung auf Tagesereignisse.
Eine köstliche Einführung zu den Schnurren, womit
der Humor das ernste Drama des Jahres 1848 begleitet,
ist das Gespräch zweier scheu um sich blickender Philister
auf freiem felde, die schließlich aus den oerschiedenen
Zeichen der Zeit den Schluß ziehen, daß am Ende doch
noch die Salzpreise billiger werden. Ein Zeichner uerfolgt
„ein diplomatisches Gesicht im februar 1848“ in den oer
schiedenen Phasen seines Ausdruckes oon der ersten, mit
einem oerächtlichen „Pah“ aufgenommenen Reoolutians-
nachricht, wie es stets länger und länger wird, um schließlich
oor Schreck aus den fugen zu gehen. Ein Seitenstück ist
der königlich preußische Gardeleutnant Baron oon Stiermiß,
der Handschuhe oon geringerer Sorte anzieht, weil er be
fürchtet „bei der Vernichtung der Kanaille diese oielleicht
berühren zu müssen“. Auch das Wort „Kanaille“ ist ein
beliebtes Requisit des oormärzlichen Wortschaßes; es ent
hält eine ganze Weltanschauung und eine Staatstheorie.
Auch sonst enthalten die ersten Bände der fliegenden
manche politische Anspielung. So wird ein unoergessenes
Kapitel deutscher Geschichte, die dänische frage, in einem
Gedichte „Die Viborger“, erschienen in der zweiten Rümmer,
berührt. Die Viborger lassen die Vögel ihres Tandes Zu
sammenkommen und gebieten ihnen: „Ihr Vögel oon
Schleswig und Holstein sollt euch nicht unterstehen, in
Zukunft mehr zu singen, zu pfeifen und zu krähen; ihr
müßt Viborgisch lernen, und dies zwar alsobald, daß fürder
nur erklinge Viborgisch durch den Wald.“
Die ßeoormundung durch das obrigkeitliche Regiment
jener Tage wird in einem Bilde gegeißelt, wo der Gendarm
dem „einfältigen Tandeskinde auf niederem Standpunkt
eine abhärtende Jacke nach dem Tandeskinder-Jacken-
Staatsmodell“ aufzwingt.
Könnte man so ein ganzes historisches Tachkabinetf
aus den alten Bänden zusammenstellen, so findet man in
ihren Zeichnungen und Texten auch ein reiches kulturge
schichtliches material. Da sind die berühmten Reisenden
Baron Beisele und sein Hofmeister Dr. Eisele, deren Kreuz-
und Querzüge durch Deutschland uns die ganze Gemütlich
keit, die dem Jammer der Kleinstaaterei gegenüber stand,
nahe rückten und die lustige Kehrseite der sonst so traurigen
Dinge zeigten. Das damalige Deutschland mar ein nacht-
müßenbezipfelter Philister, den die bösen Buben Börne
und Heine am Einschlafen hinderten. Eine ergößliche und
lehrreiche Odyssee jenes Philistertums ist diese Reisebe
schreibung. Sie hilft ein Stück deutscher Geschichte besser
oerstehen.
Eisele und Beisele, deren figuren im Jahre 1846
sogar auf die Bretter des Theaters an der Wien mußten,
überfällt in Aschaffenburg ein Haufen Bewaffneter, die ihnen
Säbel und Bayonette oor die llase halten mit den Worten:
„Die Pässe, meine Herren!“ In Wien kommen sie bei ihrem
Hai store im Augenblicke an, wo der Hausmeister zusperren
will. Den Verblüfften wird die Auskunft: „Grad schlagts
zehn Uhr; jeßt wird zugesperrt. Dann schließ ich Ihnen
wieder auf, und Sie zahlen Ihnan Sperrgroschen“. Heute
werden den Reisenden in Aschaffenburg keine Pässe mehr
aboerlangt; mit der Gründung des Zollvereins sind die
Zollschranken im Innern des Vereinsgebietes meggefallen;
ja noch mehr, die Tänder, die Baron Beisele mit seinem
Hofmeister durchstreifte, haben sich zu einem einzigen
großen Reiche zusammengeschlossen. Der Wiener Haus
meister aber schlägt uns wie zu Eiseies Zeiten um zehn
Uhr das Haustor oor der Hase zu und allen Stürmen der
Weltgeschichte troßt siegreich das — Sperrsechserl.
Unter die harmlosen figuren Eiseies und Beiseles,
des „Staatshämorrhoidarius“, der Zweckesser und Stecken
pferdreiter mischen sich indessen auch düstere Gestalten,
die in die lustige Gesellschaft hineinpassen wie Pontius
ins Gredo. „Ja, Du redest immer oon Gleichheit und Güter
teilen, allein ich seße den fall wir haben geteilt, und ich
spare meinen Teil, doch Du oerschwendest den Deinigen,
was dann?“ fragt ein Zuhörer den Kommunisten, der eben,
den Knüttel in der faust, eine Rede gehalten hat. „Ganz
einfach! Dann feilen wir wieder!“ ist die Antwort,
Kehren wir auf die heitere Seite zurück. Wiederholt
taucht ein Ilame auf, der Österreichern oertraut klingt und
dessen Trägerin die Alteren noch gekannt haben, ein Rame,
der uns wie der Strich der Zaubergeige durch seinen Klang
in ein lllärchenreich oerseßf, ein Reich des Backhendelduftes
und unendlicher Walzerklänge. Der Rame ist fanny Elßler,
die Tänzerin beider Welten, wie sie Heine genannt hat.
„fannyfismus“ lautete die Überschrift eines Bildes der
Gefeierten; sie steht auf einem blumengeschmückten Piedestal
und John Bull, der deutsche ITlichel und Bruder Jonathan
umtanzen sie. Die Elßler hat sich jedenfalls in die Welt
geschichte getanzt, harmloser als jene Tola TRontez oon
Baiern.
Den „fliegenden“ oom Jahre 1845 oerdanken wir
Aufschlüsse über Sitten und Tebensweise der damaligen
„deutschen Dame oon gutem Ton“. Sie erwacht erst um
zehn Uhr. Ihr Aussehen ist „sehr interessant fatiguiert“,
j denn sie hat die leßte Rächt schon wieder rasend getanzt.
Während sie den Tee nimmt, überreicht ihr die Zofe einige