Internationale
Zenfralblaff für Sammler, Oebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Horbert ehrlich und J. Hans Prosl.
1. Jahrgang.
Wien, 15. Hanember 1909.
Hummer 20.
Zur Psychologie des 5ammelns.
Von Wilhelm Börner, Wien.
5as Sammeln im roeifesten Sinne des Wortes ist
eine so allgemein-menschliche Erscheinung, dafj
die Annahme, es lägen ihr seelische Grund
funktionen als psychische Ursachen zu Grunde,
unabweisbar ist.
Ulan hat denn auch oersucht, einen eigenen
„Sammeltrieb“ zu statuieren, der das ganze
Problem erklären sollte, Ein solcher Sammel
trieb kann nun unmöglich etwas Elementares
sein und seine — übrigens unbewiesene -
Annahme ist daher noch keine Erklärung. Will
man der Psychologie des Sammelns wirklich auf den Grund
gehen, so wird man wohl am besten zuerst die oer-
schiedenen Erscheinungsformen des Sammelns sich oer-
gegenwärtigen, um so die Basis für eine derartige Unter
suchung zu gewinnen.
Wenn man sämtliche farmen des Sammelns überblickt,
kann man zwei grolle Gruppen unterscheiden, deren Aus
einanderhalten speziell oom psychologischen Standpunkte
aus geboten erscheint. Es ist dies erstens das „Sammeln“,
das auf einen außerhalb des Sammelns liegenden Zweck
gerichtet ist; zweitens jenes, das dadurch charakterisiert
ist, daüj es keinen Zweck oerfalgt, sondern um seiner selbst
willen gepflegt wird. Psychologisch genommen, haben
wir in dem ersten falle Arbeit, im letzteren Spiel oor uns.
Das Sammeln als Arbeit hat wieder seinerseits oer-
schiedene formen und Erscheinungsweisen. Es kann sich
nämlich um das Sammeln uon Vorräten für den Bedarf,
also zur Befriedigung oon Bedürfnissen handeln. So
sammelt man auf primitioer Kulturstufe nahrungsmitte]
und naturobjekte, die zur Verwertung für das leben dienen
können. Auch heute werden ja auf dem Tande Baum-
zmeige, Tannenzapfen, Pilze, heilsame Kräuter usw. „ge
sammelt“. Eine weitere form ist das Aufbewahren oon
Gegenständen, die für die Gegenwart zwecklos sind, aber
im Hinblick auf den eventuell künftig erhaltenden Wert
„gesammelt“ werden. So gibt es z. B. frauen, die ge
fundene Knöpfe „sammeln“, um sie gegebenenfalls oer
wenden zu können. Diese beiden formen sind, wie man
wohl mit Sicherheit behaupten kann, auch schon im Tier
reiche oertreten. Endlich gehört hieher noch das Sammeln
geistigen ITlaterials; in diesem Sinne sammelt der Historiker
Quellen, der Haturhistoriker tlaturobjekte und Beobachtungen,
der Philologe Dialekte, der Prediger Redestoffe und Zitate,
usw. JTlan kann wohl ruhig sagen, dafj diese Arten des
Sammelns als Arbeit keiner psychologischen Deutung und
Erklärung bedürfen, weil sie aufs engste mit dem Selbst
erhaltungstrieb Zusammenhängen, also direkt biologisch
fundiert sind. Hur zwischen dem Sammeln geistigen
ITlaterials und dem Sammeln als Spiel ist keine feste
Grenze zu ziehen, weil es oorkommen kann, dal] der
Sammler den Zweck auf]eracht läfjt und das Sammeln um
seiner selbst willen pflegt. Der Bibliograph z. B. oerfalgt
gewifj mit seiner Tätigkeit einen Zweck, nämlich den, allen
forschem auf dem betreffenden Gebiete das Zusammen
tragen der Eiteratur zu ersparen. Doch kann es oor-
kommen (und kommt auch tatsächlich zuweilen oor), dal]
der Bibliograph diesen Zweck ganz aus dem Auge oerliert
und seine Tätigkeit als Spiel ausübt. Tst das aber der
fall, dann gehört das Sammeln geistigen ITlaterials eben
bereits der zweiten Gruppe an.
Das Sammeln als Spiel hat man ja auch gewöhnlich
im Sinne, wenn man oon Sammeln, Sammler oder Samm
lungen spricht; ihm ist auch diese Zeitschrift gewidmet
und seiner psychologischen Betrachtung wallen wir uns
nun zuwenden. Es wird oielleicht für den ersten Augen
blick manchem seltsam oorkommen, das Sammeln, das
doch oft eine so ernste und anstrengende Tätigkeit ist,
als „Spiel“ charakterisiert zu sehen. Demgegenüber ist
nun daran zu erinnern, dal) in der Psychologie „Spiel“
etwas anderes bedeutet als in der oulgären Sprache, für
die Psychologie ist jede Tätigkeit, die ohne Realisierung
eines Zweckes, blofj um der Tust willen, die damit oer-
bunden ist, gepflegt wird, Spiel. Daraus erklärt es sich
auch, dafj man seit Schiller, der den Gedanken zum ersten-
male formuliert hat, die Kunst als eine farm des Spieles
betrachtet. Dies zeigt wohl zur Genüge, dal] die Unter
ordnung eines Phänomens, also in unserem falle des
Sammelns, unter das Spiel keine Herabsetjung desselben
bedeuten kann. Durch intensive forschungsarbeit ist es
auf Grund eines ungeheueren Tatsachenmaterials gelungen,
das Wesen des Spieles dahin zu deuten, dafj es in der
Vorübung und Einübung oon psychischen Kräften besteht,
deren ernste Ausübung dem Eeben dienlich und förderlich
ist. Von dieser Erkenntnis aus fällt nun oiel Ticht und
Klarheit auf die Erscheinung des „Sammelns“ im engeren
Sinne.
Zunächst wird man wohl unterscheiden miissenzwischen
der Tust, welche das Sammeln als Tätigkeit gewährt und
derjenigen, die das Ergebnis dieser Tätigkeit, also der
Besilj der Sammlung, mit sich bringt. Diese beiden ITlo-
mente fallen nämlich keineswegs zusammen. Das ersieht