MAK
Tnfernafwnate 
Zentralblatt für Sammler, Hiebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert ehrlich und J. Hans Prosl. 
1. Jahrgang. 
Wien, 15. Rpril 1909. 
Hummer 6. 
Die Erziehung zum Sammeln. 
Von Huguste Groner, Wien. 
yie Idee, welche der „Internationalen Sammler- 
Zeitung“ zugrunde liegt, hat meine wolle Sym 
pathie nicht nur deshalb, toeil ich selbst allen 
Sammlungen ein warmes Interesse entgegen 
bringe, sondern auch, weil ich Jahrzehnte hin 
durch in der Hage mar, zu beobachten, roie 
schier alle intellektuell und moralisch gut 
neranlagten Kinder ganz non selber aufs Sam 
meln kommen, woraus ich schließe, dafj die 
Sammelfreude für noch lernfrohe und noch lern 
fähige nienschen etwas natürliches ist. 
Und weil ich alte Tehrerin eine herzliche 
Reigung für all diese jungen oder junggebliebenen 
lllenschen habe, interessiert mich eben jede 
Sammlung und jeder Sammler, wie mich auch, als ich 
noch Schule hielt, jeder Schulranzen und jede Kleider 
tasche der Kinder interessierte, weil jene keineswegs 
nur das wirklich hinein Gehörige, sondern auch allerlei 
Anderes zu enthalten pflegen, was erst so recht sicher auf die 
Eigenart der Schüler und Schülerinnen schließen läf^t: jene 
Objekte, denen das Kind oon selber ein gewisses Ver 
stehen, Interesse und Ciebe entgegenbringt. 
Verschiedenfarbige Bachkiesel, in ein Buch geklebte, 
wilde Blumen, JTlaose, die herbstbunten Blätter oerschie- 
dener Eaubbäume fand ich da; das Töchterchen einer 
Schneiderin führte Fleckchen oon Stoffen und den Stickereien 
mit sich; natürlich gab es auch Ansichtskarten und Brief 
marken und ein sinniges kleines ITlädel brachte einmal 
nach Allerseelen Abfälle oon Totenkränzen mit, die sie 
auf den friedhafwegen gefunden hatte. Tiebeooll waren 
die Beeren und Immortellen, die gefärbten Gräser und 
Strohblumen in Papier eingeschlagen, das die Kleine leider 
aus ihrem Rechenhefte gerissen hatte — und leider war 
ein römischer „fiinfer“ auf dieser gefühloollen Enoeloppe. 
Sinnige Jllenschen bekommen nämlich ziemlich sicher „fünf“ 
im Rechnen! 
Aus all diesen Entdeckungen ersah ich, dafj schon 
im Kinde die Sammelfreude lebt und dalj sie sehr gut als 
Erziehungsmittel zu gebrauchen ist. Sammeln heifjt auch 
„anschauen“, interesseooll anschauen und der Anschauungs 
unterricht ist das einzige nicht Graue in der Schule, und 
die Anschauung das einzige nicht Graue im sich Weiter 
bilden — im leben. 
Deshalb soll schon in den Kindern die freude am 
Sammeln oon ITaturalien und oon Produkten der Kultur 
gepflegt, geleitet — und freilich auch, nach Umständen, 
begrenzt — werden, wo sie schon ist, und erweckt werden, 
wo sie noch nicht ist. Und unoernünftig scheint es mir 
daher, was leider auch oft oorzukommen pflegt, diesen 
natürlichen Trieb unserer Jugend zu hemmen. 
Besonders wenig bemittelte Eltern sollen ihren Kindern 
die freude des Sammelns, das Suchen und Aufbewahren 
der mancherlei Objekte, die gar kein Geld kosten, zugäng 
lich machen. Haus und Schule gewännen dabei, freie 
Stunden, in denen Kinder selbst den liebeoollsten muttern 
oft lästig werden, würden ausgefüllt mit der Geist und 
Herz bildenden Beschäftigung des Sammelns, des Betrachtens, 
Ordnens und Vergleichens des Gesammelten. 
Ich sage auch „herzbildend“, denn das Herz geht 
niemals dort leer aus, wo der Geist den Wert und den 
Reiz des oon der Ratur oder oon den ITlenschen Geschaffenen 
erkennt, wo er, kritisch oergleichend, mehr und mehr den 
Reichtum an Geschaffenem gewahrt und bewundert und 
dankbar dafür wird, dafj gar so oiel und oielerlei, so 
Schönes, so Rütjliches, so Interessantes da ist — und zwar 
für Jeden, auch den Ärmsten nur allerdings nicht für 
die Armen im Geiste. Der kleine Sammler wird, grojj 
geworden, Verständnis und Interesse an den herrlichen 
öffentlichen Sammlungen haben, die unsere Kenntnisse 
erweitern, die unsere Phantasie in feine Reiche und in 
längst oergangene Zeiten führen. 
An diese kostenlosen Genüsse, an diese Veredlung 
ohne Geldausgabe denke ich, wenn ich insbesonders den 
weniger bemittelten Eltern und den Tehrern armer Kinder 
rate, diese das liebeoolle Sammeln zu lehren, das tausend 
kleine intime freuden in sich schließt und das nicht nur 
den Geist, das auch das Herz weitet.
	        
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