Zentralblatt für Sammler, Ciebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Herbert Ehrlich und 3. Hans Prosl.
2. Jahrgang.
Wien, 1. Jänner 1910.
Hummer 1.
Die Skulpturen-Sammlung im Liebighause zu Frankfurt a. fH.
Vom Reidisrats-Hbgeordneten Dozenten Dr. Rrthur ITlahler. (Wien.)
ie bereits zum Gemeinplatj gewordene Behauptung,
daß Kunst und Politik zu einander in engster
Abhängigkeit stehen, empfindet man niemals so
deutlich wie bei dem Vergleich Frankreichs mit
Deutschland. Dort ist französische Kunst gleich
bedeutend mit Pariser Kunst, das französische
Geistesleben erschöpft sich fast vollkommen an
den Ufern der Seine und roas sonst noch etma
vorhanden ist, trägt unzweideutig den verhängnis
vollen Stempel: kleine Provinz an sich. — Und
doch mar dies einmal ganz anders. — Staunend
stehen mir noch heute vor den grandiosen Teistun
gen burgundischer und provengalischer Kunst
übung, — aber die politische Großtat der voll
kommenen Zentralisierung Frankreichs, die durch
Richelieu und Didwig XIV. zur endgiltigen und
unabänderlichen ward, sie ertötet alle anderen Bestrebungen,
macht Paris ztvar für Jahrhunderte zur Hauptstadt der
Crde, versenkt aber das ganze übrige Frankreich in das
Dunkel schlimmster, künstlerischer und geistiger Dunkelheit.
Ganz anders Deutschland. — Der vielgeschmähte
Partikularismus, das Duodezfürstentum, das politische Un
glück des deutschen Volkes, das es durch lange Zeitläufte
zur Ohnmacht verurteilt, wird zu seinem kulturellen Segen.
Jeder Hof, jede freie Stadt wird zum Kulturzentrum; roenn
man nicht militärisch glänzen kann, will man es durch
musterhafte Ginrichtungen, durch eine Hochschule, durch
schöne Bilder und so bedeutet deutsche Kunst und deut
sches Geistesleben zum Glück noch nicht Berlin. Und
dieser durch Jahrhunderte gepflegte, partikularistische Geist
ist so stark, daß er sogar über die Politik triumphiert, sie
keinen Schaden anrichten läfjt. Die politische Ginigung
des Deutschen Reiches hat weder Dresden noch ITlünchen
herabgedrückt, ja noch mehr, die Ginoerleibung in Preußen
hat den Bürgern des alten, stolzen Frankfurt ihr Gefühl
der Individualität ihrer Stadt nicht genommen und so sieht
man gerade dort stolzen, selbstbewußten Bürgersinn, der
in der Pflege der Gigenart kulturelle Werte erhält, neue
schafft.
Gin köstliches Beispiel hiefür bietet die städtische
Galerie mit ihrer kürzlich eröffneten Skulpturensammlung
im öebighause in Frankfurt a. ITlain. — Gs ist der
Opfersinn und die Begeisterung Frankfurter Bürger, die es
ermöglichten neben dem Städel’schen Institute, dieser Perle
der deutschen Gemälde-Sammlungen, eine Galerie zu schaffen
einerseits für die bildenden Künste der Gegenwart mit
besonderer Berücksichtigung Frankfurts, andererseits für
die Plastik der Vergangenheit aller Zeiten und Völker. -
Fürwahr, eine kulturelle Ceistung ersten Ranges, der Aus
gangspunkt neuer kultureller Ströme.
Wenn man die erst vor wenig Wochen eröffneten
Säle der Skulpturensammlung durchschreitet, dann sind es
besonders zwei Gindrücke, die sich mächtig aufdrängen
die Freude, Kunstwerke künstlerisch aufgestellt zu sehen,
das ITluseum nicht mehr ein Kunstmagazin und ferner
die Bewunderung, daß in dieser Zeit der gefährlichen Kon
kurrenz Amerikas derartige Stücke ersten Ranges dem
alten Kontinent erhalten werden konnten. Gs kann
nicht meine Aufgabe sein, alle ersten Werke dieser jungen
Sammlung hier auch nur flüchtig zu würdigen, es möge
genügen auf einzelne die Aufmerksamkeit zu lenken.
In der deutschen Holzplastik ist es eine fränkische
llladonna aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts, die mit
ihren warmen Farben, der Innigkeit und Tiefe des Aus
druckes ohne jede Spur der Geziertheit das Auge sofort
gefangen nimmt, daneben ein heiliger Sebastian, (Ober-
Schwaben, Cindenholz) mit der- ganzen Kraft originaler
Darstellung und eine Porträtbüste, (Kalkstein, Art des Kon-
rad ITleit) voll packender Ursprünglichkeit. — Die „Samm
lung italienischer Bildwerke der Früh- und Hochrenaissance“
enthält als Clou und vielleicht als hervorragendstes, zu min
dest aber als augenfälligstes Werk den glasierten Terra-
cotta-Altar, darstellend die Himmelfahrt lllariae des An
drea della Robbia. Die harmonische Schönheit und der
keusche Adel dieses wahrhaft monumentalen Werkes,
das unberührt leuchtende Blau des Hintergrundes, der
Reichtum und die macht in der llJodellierung der Gesichter
und die kühne Crfassung der Bewegung zeigen hier An
drea als fast vollkommen ebenbürtigen Jllitstrebenden
seines großen Oheims und Tehrmeisters Tucca.
In dem Augenblick, da der Kampf um die Authen
tizität der Flora-Büste des Berliner JTluseums so heftig
wogt, die einen in ihr ein ITleisterstück Donardos, die
anderen eine schwächliche Arbeit der Vierziger Jahre des
19. JahrhundeHs sehen wallen „die keine zehn £ouis“
wert ist, ist es von besonderem Interesse in der Frank
furter Galerie ein Werk zu finden, das unzweifelhaft echt,
zu dem grofjen Kleister in engster Beziehung steht. Gs
ist dies eine Stucco-ßüste des heiligen Hieronymus aus
Florenz (Anfang des 16. Jahrhunderts), die allerdings nur