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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

im Kunftgcwerbc zu bilden. Er tritt dafür ein, daß die 
künftlerifcben Ideen Gemeingut fein follen, was von dem Ge« 
ficbtspunkt des Fabrikanten aus foviel bedeuten foll, daß die 
Fabrikanten mit den künftlerifcben Ideen nach eigenem Belieben 
fcbalten und walten dürfen. Vom Standpunkt des Referenten 
aus find die Künftler zu wenig felbftlos, fo daß die Fabrikanten, 
die von diefer Selbftlofigkeit fo gern den größtmögticbften Profit 
ziehen wollen, einen fcbweren Stand haben. Insbefondere waren 
diefe Herren Induftriellen mit der Dresdener Kunftgewerbe« 
ausftellung 1906 febr unzufrieden und der Delegierte der Firma 
Bembé konnte es nicht verfchmerzen, daß ihre, von dem obigen 
Wert der hiftorifchen Stile durchdrungenen Raumfcböpfungen 
nicht in der künftlerifcben Abteilung, fondern in der Induftrie« 
balle untergebracbt wurden. Der Delegierte beruft ficb auf die 
Japaner, deren künftlerifcben oder kunftgewerblichen Scböpfun« 
gen in vollftändiger Anonymität der Künftler bervorgebracht 
feien. Der Redner weiß natürlich nicht, daß gerade in Japan 
die Namen aller diefer Künftler gewiffenhaft verzeichnet und 
dem Gedächtnis aufbewabrt bleiben. Überdies befitjt Japan 
wirklich die Kontinuität einer lebendigen Kunft, die nach gleichen 
Gefetjen ewig aus der Natur fcbafft; es wirkt faft erheiternd, 
daß der Vertreter der Firma Bembé die Kontinuität für die 
ewig wecbfelnden Stilnacbabmereien der rbeinifcben Möbelfabri« 
kanten in Anfpruch nehmen möchte. □ 
Daß der Wert der vergangenen Kunft nicht in der äußerlichen 
Form, fondern in einem geiftigen liegt, mußte den Delegierten, 
wie überhaupt dem Fachverband völlig unverftändlicb bleiben, 
da ihnen, wie die Verhandlungen bewiefen, gerade nichts fo 
unbequem ift, als das geiftige oder künftlerifcbe Element. □ 
Die modernen Raumkünftler, die das Kunftgewerbe feit dem 
Jahre 1897 aus dem tiefen Verfall erhoben haben, betrachtet 
namentlich Herr W. Kimbel, in Firma Kimbel & Friedrichfen, 
Berlin, als die fchlimmften Feinde. Seine, von den Fachverbands- 
mitgliedern beifällig aufgenommenen Äußerungen »über den 
Einfluß der modernen Raumkünftler auf die wirtfcbaftlicben und 
künftlerifcben Intereffen des Kunftgewerbes« bilden eine Kette 
unerhörter Schmähungen, die aber niemand außerhalb des Fach« 
verbandes ernft nimmt. Er pocht auf die alte Handwerklichkeit 
und wirft den modernen Künftlern vor, daß fie nicht aus dem 
Handwerk bervorgegangen feien. Das könnte den Eindruck er« 
wecken, als ob die Fachverbandsmitglieder Handwerker feien. 
Man braucht nur die Lifte der Fachverbandsmitglieder zu lefen, 
um zu wiffen, daß man es hier nicht mit Handwerkern, fondern 
mit Unternehmern, Händlern, Fabrikanten ufw. zu tun hat. Was 
haben diefe Herren Kommerzienräte oder Beamten von A.=G. mit 
dem Geift des alten Handwerkes zu tun? Diefe Herren vom 
Fachverband wären in großer Verlegenheit, wenn fie diefe Frage 
beantworten müßten. Sie haben nichts damit zu tun, als die 
Entlehnung von Worten, wie »Meifterhandwerk«, »Meifterkunft«, 
»Meiftergewerbe« ufw., Worte, die das liebe Publikum täufchen 
follen, denn diefes Publikum ift im allgemeinen noch zu wenig 
unterrichtet, daß die Grundlagen der Produktion und der Tech« 
nik von jenen der alten Meifterarbeit grundverfcbieden find. Es 
wird allmäblig notwendig, diefen inneren Widerfpruch aufzu 
decken, über den fich jene falfcben Propheten der alten Meifter 
kunft keine Recbenfcbaft geben wollen. Herr Kimbel fpottet über 
die von den Modernen betonte Forderung der Sachlichkeit und 
Materialgerechtigkeit. Er findet es töricht, daß man verlangt, 
Holz müffe wie Holz, Stein wie Stein und Metall wie Metall aus« 
feben und demgemäß behandelt werden. Es erfcheint ihm kindifcb, 
weil er es für felbftverftändlicb hält und weil er über die Tat 
fache binwegfieht, daß die äußerliche Nachahmung der bifto» 
rifchen Stilformen zu den unglaublicbften Verirrungen in bezug 
auf Stoff und Form geführt hat. Natürlich ift auch Herr Kimbel 
auf die Künftler deshalb fchlecht zu fprecben, weil fie ihr geiftiges 
Eigentum wahren und auf Kunftausftellungen die Oberhand haben. 
Das follte nun, wenn es nach dem Fachverband geht, anders 
werden. Es wurde eineRefolution verfaßt, wonach der Fachverband 
bei folcben Ausftellungen nicht mehr mittut. Was das bedeutet, 
kann man ermeffen, wenn man bedenkt, daß der Fachverband 
etwa 180 Firmen, und keineswegs die erften umfaßt, und diefer 
Zahl Taufende von kunftgewerblichen Betrieben entgegenfteben. 
Ferner wurde vom Fachverband befchloffen, beim Minifter vor» 
ftellig zu werden, um dabin zu wirken, daß in der Kunftgewerbe« 
Politik die Sonderintereffen diefer kleinen Intereffentengruppe 
mehr in den Vordergrund gerückt werden. Die Facbverbändler 
entpuppen fich als grundfätjlicbe Gegner der Kunftfcbulen, der 
Lebrwerkftätten, der nach etbifcben Grundfä^en geleiteten Lehr 
lingsausbildung, der nach hoben künftlerifcben Gefichtspunkten 
geleiteten Ausftellungen und aller Fortfehritte künftterifeber oder 
gewerblicher Natur im Kunftgewerbe. Die rückfcbrittlicbe und 
kulturfeindliche Tendenz, die fie in der Kunftgewerbepolitik beim 
Minifter durebfe^en wollen, deckt fich mit dem loyal klingenden 
Ausdruck: »Betonung praktifcher Gefichtspunkte«. Der »Betonung 
praktifeber Gefichtspunkte« entfpriebt auch die in der Diskuffion 
über den Kimbelfchen Vortrag ausgefprochene Willensmeinung, 
daß diefe Unternehmer in Zukunft auf jeder Ausftellung, die 
fie befchicken, ihre eigenen Juroren wählen wollen. Mit anderen 
Worten, fie wünfehen Juroren, von denen fie von vornherein 
ficher find, einer äußerften, durch keinerlei künftlerifcbe Urteils 
kraft gefchwächten Gefälligkeit zu begegnen. □ 
Die Referate über »die Eindämmung des unlauteren Wett 
bewerbes« und über das »geridklicbe Sachverftändigenwefen« 
entbehren ebenfalls jeder tieferen Erfaffung der Mißftände. Zwar 
wurde von einem der Referenten nicht nur die einzelne Nach 
ahmung, fondern auch der Geift der Nachahmung und Fälfcbung 
getadelt. Aber welche Bedeutung kann folcben Worten in einer 
Verfammlung zugefproeben werden, wo Redner und Zuhörer 
überhaupt nur vom Nachabmen vergangener und fremder Stile 
leben? Außerdem muß bei dem Punkte über die gerichtlichen 
Sachverftändigen auf die Gefahr aufmerkfam gemacht werden, die 
in der Abficht beftebt, ein berufsmäßig entlohntes Sachverftän- 
digenwefen über kunftgewerblicbe Angelegenheiten bei Gericht 
auszubilden, und eine Sache, die notwendigerweife Ehrenamt 
und eine Vertrauensangelegenbeit für boebftebende, unabhängige 
Gefinnungen ift, zu einer Lohn- oder Gefcbäftsangelegenbeit zu 
machen, die fonach immer in Abhängigkeit von Intereffenten« 
gruppen fteben müßte. □ 
Der letjte und intereffantefte Verbandlungspunkt betraf den 
fogenannten Fall Mutbefius. Wie es bei der bisherigen Haltung 
des Fachverbandes vorauszufehen war, bat der Arbeitsausfchuß 
gemeint, daß Unrecht nur durch neuerliches Unrecht gut gemacht 
werden könne. Die Befprechung des Falles Mutbefius war ein 
Anlaß, den tiefen Gegenfatj, der diefe rückftändigen Betriebe von 
dem Geift der Neuzeit trennt, zu verfchärfen. Der Kommerzienrat 
Sy batte die wenig ehrenvolle Aufgabe, das Vorgeben des Fach 
verbandes in dem Fall Mutbefius zu rechtfertigen oder zu ent- 
fcbuldigen. Was er brachte, war aber weder eine Rechtfertigung 
noch eine Entfchuldigung, fondern eine einfache, trockene Auf 
zählung der gegen Mutbefius unternommenen Anfcbläge und 
der fonftigen mißglückten Verfuche des Fachverbandes für feine 
fcblimme Sache Anhang und Zuftimmung zu werben. Wir können 
in unferem Bericht über den Kongreß von der Wiederholung 
diefer Aufzählung abfeben, weil wir gerade in diefem Heft in 
der vorftebenden aktenmäßigen Darftellung den Fall Mutbefius 
genügend gefcbildert haben, um von der Haltung und Tendenz 
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