MAK
Seite 216 
Internationale Sam ml er-Zeitung. 
rtummer 14 
Der ßouquiniste. 
Aus Paris wird uns geschrieben: 
Zu den merkwürdigsten Peuten in der Stadt der Heiligen 
Genaueua gehören die Bouquinisten, die Büchertrödler, die an allen 
möglichen Ecken ihren Kram auslegen, deren durch uralte Über 
lieferungen geheiligtes Hauptquartier aber die Seinekais sind. Wie 
schade, dalj unser lieber Wilhelm Raabe diese wunderlichen Ge 
sellen nicht in seine Galerie der seltsamen Kostgänger Gottes auf 
genommen hat. Sie sind Philosophen, diese Bouquinisten. Sie 
haben ihre Schmöker gelesen und haben Zeit genug gehabt, über 
das Gelesene nachzudenken. Sie haben in brennender Sonne und 
in eisigem Wind und Schneegeriesel auf ihrem Pasten treu aus 
gehalten. Sie waren jung, als sie zum ersten lllale auf Wache 
zogen uor den Holzkästen mit den aufgestapelten Peseschätjen; 
sie sind alt geworden und haben das Peben an sich oorbeisauscn 
lassen. Sie haben die Schwächen und Torheiten ihrer Zeit genossen 
oon früh bis spät, haben sie rings um sich herum im Gewühl der 
Gasse schauen können und den Schritt der Weltgeschichte in den 
Strafen oon Paris gehört — oon den Tagen des Kaisertums, den 
Peiden des „schrecklichen Jahres“ und der Kommune an bis zur 
Ara ßriand. Und was sie gehört und gesehen, haben sie oer 
glichen mit dem, was sie in den Büchern gefunden. Sie haben 
sich das Staunen abgewöhnt, nachdem sie die Tuilerien zu Grunde 
gehen und die Vendotnesäule stürzen sahen. Sie sind auch gar 
nicht erstaun!, dafj die Prussiens, die oor 40 Jahren mit Pickel 
hauben auf dem Kopf in die Champs-Elysees eindrangen, heute 
friedlich wie andere fremde mit dem Baedeker in der Hand Paris 
überfluten. Sie sind auf dem höchsten Grad der Weisheit, der 
Duldsamkeit angelangt, und sie lehren diese Duldsamkeit auch ihre 
llachfolger. Sie suchen sogar gegen ihre llachbarn am Kai nach 
sichtig zu sein, obwohl ihnen das nicht leicht gemacht ist, denn 
es kommt da leicht zu Grenzstreitigkeiten, und die neue Generation 
hat keinen Respekt mehr oorm Älter. H111 schlimmsten sind die 
frauen, die sich in diesen Beruf eindrängen und die mit ihrem 
unruhigen Wesen die Würde der Bouquinistcnmelt stören. Die 
Hlten sind Gelehrte und Künstler und müssen mit Bedauern sehen, 
dafj die jungen Bouquinisten sich uorlaut an den Bücherhandel 
machen, ohne etwas daoon zu oerstehen. 
Die Senioren unter den Büchertrödlern haben fast alle 
Ulänner gekannt, die es in der französischen Wissenschaft und 
Dichtung zu Ruhm gebracht haben. Und wenn sie Vertrauen zu 
uns gefaxt haben, was nicht leicht zu erreichen ist — erzählen sie 
uns oon ihren großen Tagen, da sie mit Sardau gesprochen oder 
Renan ein seltenes Buch oerkauft oder Tai ne einen guten Rat 
erteilt haben. Sie lassen geduldig das oorübergehende Publikum 
in ihren Vorräten herumwühlen. Cs gibt keinen Pariser, der nicht 
gelegentlich beim Bouquinisten Einkäufe macht, denn bei dem 
unglaublich schlecht organisierten französischem Sortimentsbuch 
handel sind diese Sfrafjenantiquare eine llotwendigkeit. Vor allem 
sieht man auch oiel Priester an den Bücherkästen herumsuchen, 
aber auch alte Gelehrte. Die Hauptkunden sind indes Studenten und 
junge Piteratcn. früher konnte man beim Bouquinisten wahre Schäle 
für ein paar Sous erstehen, seltene Drucke, alte Stiche, auch Hofen, 
Die Bouquinisten sind aber allmählig auch schlauer geworden 
und dulden es nicht mehr, dafj Bücherhändler fortwährend Jagd 
auf gute Ware machen, um sie dann in den großen Antiquariaten 
an Piebhaber für den zehn- bis hundertfachen Preis weiterzuoer- 
kaufen. Aber es wimmelt auch heute nach oon Kuriositäten und 
man kehrt selten heim, ohne sich die Tasche ir.it Piteratur für ein 
paar Sous oollgestopff zu haben. Alte und neue, heilige und sehr 
unheilige Bücher liegen da bunt durcheinander, und mancher 
Schriftsteller, dessen Werk eben noch auf den Bouleoards drei 
frank kostete, muij schwermütig sehen, dafj es heute an den Kais 
oder bei anderen Bouquinisten für einige Kupferstücke feilgeboten 
wird und auch dafür noch keinen Käufer findet. — Von Zeit zu 
Zeit wird die flachr cht oerbreitet, daf} die Bouquinisten die Kais 
räumen sollen. Schon Haufjmann wollte sie entfernen und sie alle 
in einer leerstehenden Ularkthalle unterbringen. Vor einigen JTlo- 
naten hiefj es wieder, sie sollten nach IJJontrouge auswandern, 
wohin natürlich die Kundschaft kaum gefolgt wäre. Die Bouqui 
nisten lassen sich aber nicht so leicht bange machen. Sic sind 
schon seit Heinrich IV. am Pont lleuf und an den Kais angesiedelt 
und haben schon andere Reoolutionen durchgemacht, als die durch 
die Ukase wechselnder Polizeipräfekten angestrebten Umwälzungen. 
Sie haben ja ihren Plat3 auch nicht umsonst, denn sie zahlen für 
zehn Kiefer Pänge Huslageraum 20 frank jährlich. Ob die Bouqui 
nisten heute grofje Geschäfte machen? Ihre fadenscheinigen Röcklein 
erzählen nicht oon Reichtum, obwohl man in Paris aus diesen 
Äuijerlichkeiten nicht mit unbedingter Sicherheit Schlüsse ziehen 
darf. Tatsache ist, dafj um gute, freiwerdende Plätje off ein reger 
Wettbewerb stattfindet, der an dramatischen Zwischenfällen den 
Kämpfen um den akademischen Palmenfrack oder um ein Klinister- 
portefeuille, ein Kammermandat oder ein Tabaksbureau nicht nach 
steht. Die Bouquinisten bilden eben eine gewisse Aristokratie 
unter den anderen Strafjenhändlern, und sie haben Standesehre. 
Wir würden es lebhaft bedauern, wenn diese IKänner mit ihren 
Kästen uerschwinden sollten, die nun eben einmal in die Welt 
zwischen Pouore und Institut hingehören und ohne die die Seine 
kais gar nicht zu denken sind. Hoffentlich werden die Enkel der 
heutigen Bouquinisten noch an derselben Stelle zu finden sein, 
wo deren Urgrofjoäter zu finden waren. 
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Chronik. 
Bibliophilie. 
(Der Hachlafj Heoesis.) Wie wir erfahren, ist die grof;- 
artige Bibliothek des auf tragische Weise aus dem Peben geschie 
denen Wiener Kunsfschriftstellers Pudwig Heoesi durch Kauf in 
den Besitj der firma Gilhofer und Ranschburg in Wien über- 
gegangen. Die Bibliothek ist besonders reich an Kunsfpublikationen. 
Ein heroorragendes Kontingent stellt auch die utopistische Piteratur, 
die Heoesi mit Vorliebe gesammelt hat. Wir werden nach dem 
Erscheinen des Katalogs ausführlicher auf die Bibliothek zurück 
kommen. 
(Die Bibliothek tloung in UJinneapolis.) Eine einzig 
artige Büchersammlung besitjt der Amerikaner James Carleton 
tl 0 u n g aus ITIinneapolis, der nun in Paris eingetroffen ist, um 
Verhandlungen zu führen, die auf den Ausbau seiner ßüchersamm- 
lung abzielen. Die Arbeit eines ganzen Pebens und einen groljen 
Teil seines ansehnlichen Vermögens hat JKr. Voung seinem Plane 
gewidmet, der Errichtung einer Bibliothek, in der die Werke aller 
lebenden Schriftsteller aller Völker gesammelt werden sollen. Aber 
die Bibliothek Boungs ist mehr als eine einfache Zusammenhäufung 
oon Büchern. Die Grundbedingung für die Aufnahme eines Werkes 
ist, dafj der Autor in das Exemplar eine handschriftliche Eintragung
	        
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