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Internationale Sam ml er-Zeitung.
rtummer 14
Der ßouquiniste.
Aus Paris wird uns geschrieben:
Zu den merkwürdigsten Peuten in der Stadt der Heiligen
Genaueua gehören die Bouquinisten, die Büchertrödler, die an allen
möglichen Ecken ihren Kram auslegen, deren durch uralte Über
lieferungen geheiligtes Hauptquartier aber die Seinekais sind. Wie
schade, dalj unser lieber Wilhelm Raabe diese wunderlichen Ge
sellen nicht in seine Galerie der seltsamen Kostgänger Gottes auf
genommen hat. Sie sind Philosophen, diese Bouquinisten. Sie
haben ihre Schmöker gelesen und haben Zeit genug gehabt, über
das Gelesene nachzudenken. Sie haben in brennender Sonne und
in eisigem Wind und Schneegeriesel auf ihrem Pasten treu aus
gehalten. Sie waren jung, als sie zum ersten lllale auf Wache
zogen uor den Holzkästen mit den aufgestapelten Peseschätjen;
sie sind alt geworden und haben das Peben an sich oorbeisauscn
lassen. Sie haben die Schwächen und Torheiten ihrer Zeit genossen
oon früh bis spät, haben sie rings um sich herum im Gewühl der
Gasse schauen können und den Schritt der Weltgeschichte in den
Strafen oon Paris gehört — oon den Tagen des Kaisertums, den
Peiden des „schrecklichen Jahres“ und der Kommune an bis zur
Ara ßriand. Und was sie gehört und gesehen, haben sie oer
glichen mit dem, was sie in den Büchern gefunden. Sie haben
sich das Staunen abgewöhnt, nachdem sie die Tuilerien zu Grunde
gehen und die Vendotnesäule stürzen sahen. Sie sind auch gar
nicht erstaun!, dafj die Prussiens, die oor 40 Jahren mit Pickel
hauben auf dem Kopf in die Champs-Elysees eindrangen, heute
friedlich wie andere fremde mit dem Baedeker in der Hand Paris
überfluten. Sie sind auf dem höchsten Grad der Weisheit, der
Duldsamkeit angelangt, und sie lehren diese Duldsamkeit auch ihre
llachfolger. Sie suchen sogar gegen ihre llachbarn am Kai nach
sichtig zu sein, obwohl ihnen das nicht leicht gemacht ist, denn
es kommt da leicht zu Grenzstreitigkeiten, und die neue Generation
hat keinen Respekt mehr oorm Älter. H111 schlimmsten sind die
frauen, die sich in diesen Beruf eindrängen und die mit ihrem
unruhigen Wesen die Würde der Bouquinistcnmelt stören. Die
Hlten sind Gelehrte und Künstler und müssen mit Bedauern sehen,
dafj die jungen Bouquinisten sich uorlaut an den Bücherhandel
machen, ohne etwas daoon zu oerstehen.
Die Senioren unter den Büchertrödlern haben fast alle
Ulänner gekannt, die es in der französischen Wissenschaft und
Dichtung zu Ruhm gebracht haben. Und wenn sie Vertrauen zu
uns gefaxt haben, was nicht leicht zu erreichen ist — erzählen sie
uns oon ihren großen Tagen, da sie mit Sardau gesprochen oder
Renan ein seltenes Buch oerkauft oder Tai ne einen guten Rat
erteilt haben. Sie lassen geduldig das oorübergehende Publikum
in ihren Vorräten herumwühlen. Cs gibt keinen Pariser, der nicht
gelegentlich beim Bouquinisten Einkäufe macht, denn bei dem
unglaublich schlecht organisierten französischem Sortimentsbuch
handel sind diese Sfrafjenantiquare eine llotwendigkeit. Vor allem
sieht man auch oiel Priester an den Bücherkästen herumsuchen,
aber auch alte Gelehrte. Die Hauptkunden sind indes Studenten und
junge Piteratcn. früher konnte man beim Bouquinisten wahre Schäle
für ein paar Sous erstehen, seltene Drucke, alte Stiche, auch Hofen,
Die Bouquinisten sind aber allmählig auch schlauer geworden
und dulden es nicht mehr, dafj Bücherhändler fortwährend Jagd
auf gute Ware machen, um sie dann in den großen Antiquariaten
an Piebhaber für den zehn- bis hundertfachen Preis weiterzuoer-
kaufen. Aber es wimmelt auch heute nach oon Kuriositäten und
man kehrt selten heim, ohne sich die Tasche ir.it Piteratur für ein
paar Sous oollgestopff zu haben. Alte und neue, heilige und sehr
unheilige Bücher liegen da bunt durcheinander, und mancher
Schriftsteller, dessen Werk eben noch auf den Bouleoards drei
frank kostete, muij schwermütig sehen, dafj es heute an den Kais
oder bei anderen Bouquinisten für einige Kupferstücke feilgeboten
wird und auch dafür noch keinen Käufer findet. — Von Zeit zu
Zeit wird die flachr cht oerbreitet, daf} die Bouquinisten die Kais
räumen sollen. Schon Haufjmann wollte sie entfernen und sie alle
in einer leerstehenden Ularkthalle unterbringen. Vor einigen JTlo-
naten hiefj es wieder, sie sollten nach IJJontrouge auswandern,
wohin natürlich die Kundschaft kaum gefolgt wäre. Die Bouqui
nisten lassen sich aber nicht so leicht bange machen. Sic sind
schon seit Heinrich IV. am Pont lleuf und an den Kais angesiedelt
und haben schon andere Reoolutionen durchgemacht, als die durch
die Ukase wechselnder Polizeipräfekten angestrebten Umwälzungen.
Sie haben ja ihren Plat3 auch nicht umsonst, denn sie zahlen für
zehn Kiefer Pänge Huslageraum 20 frank jährlich. Ob die Bouqui
nisten heute grofje Geschäfte machen? Ihre fadenscheinigen Röcklein
erzählen nicht oon Reichtum, obwohl man in Paris aus diesen
Äuijerlichkeiten nicht mit unbedingter Sicherheit Schlüsse ziehen
darf. Tatsache ist, dafj um gute, freiwerdende Plätje off ein reger
Wettbewerb stattfindet, der an dramatischen Zwischenfällen den
Kämpfen um den akademischen Palmenfrack oder um ein Klinister-
portefeuille, ein Kammermandat oder ein Tabaksbureau nicht nach
steht. Die Bouquinisten bilden eben eine gewisse Aristokratie
unter den anderen Strafjenhändlern, und sie haben Standesehre.
Wir würden es lebhaft bedauern, wenn diese IKänner mit ihren
Kästen uerschwinden sollten, die nun eben einmal in die Welt
zwischen Pouore und Institut hingehören und ohne die die Seine
kais gar nicht zu denken sind. Hoffentlich werden die Enkel der
heutigen Bouquinisten noch an derselben Stelle zu finden sein,
wo deren Urgrofjoäter zu finden waren.
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Chronik.
Bibliophilie.
(Der Hachlafj Heoesis.) Wie wir erfahren, ist die grof;-
artige Bibliothek des auf tragische Weise aus dem Peben geschie
denen Wiener Kunsfschriftstellers Pudwig Heoesi durch Kauf in
den Besitj der firma Gilhofer und Ranschburg in Wien über-
gegangen. Die Bibliothek ist besonders reich an Kunsfpublikationen.
Ein heroorragendes Kontingent stellt auch die utopistische Piteratur,
die Heoesi mit Vorliebe gesammelt hat. Wir werden nach dem
Erscheinen des Katalogs ausführlicher auf die Bibliothek zurück
kommen.
(Die Bibliothek tloung in UJinneapolis.) Eine einzig
artige Büchersammlung besitjt der Amerikaner James Carleton
tl 0 u n g aus ITIinneapolis, der nun in Paris eingetroffen ist, um
Verhandlungen zu führen, die auf den Ausbau seiner ßüchersamm-
lung abzielen. Die Arbeit eines ganzen Pebens und einen groljen
Teil seines ansehnlichen Vermögens hat JKr. Voung seinem Plane
gewidmet, der Errichtung einer Bibliothek, in der die Werke aller
lebenden Schriftsteller aller Völker gesammelt werden sollen. Aber
die Bibliothek Boungs ist mehr als eine einfache Zusammenhäufung
oon Büchern. Die Grundbedingung für die Aufnahme eines Werkes
ist, dafj der Autor in das Exemplar eine handschriftliche Eintragung