Zentralblatf für Sammler, Oebhaber und Kunstfreunde
2. Jahrgang.
Herausgeber: Korbert Ehrlich und J. Hans Prosl.
Wien, 15. Oktober 1910.
Hummer 20.
(Heine (Henukarten-Sammlung.
hon Alfred Hermann fried (Wien).
ine menukarten-Samrnlung? — Wie soll das ein
igrl ernster Ulensch rechtfertigen? Ilun, wie kommt
man überhaupt dazu, eine Sammlung zu recht-
fertigen? Wenn der eine Champagnerstöpsel,
der andere ITlilchkännchen, der dritte Hosen
träger, der liierte gar Pferdebahnfahrkarten
sammelt, warum soll man nicht auch Illenus
sammeln können? Dazu kommt, dafj sich die
Dinger ganz oon selbst ansammeln. Ulan nimmt
sich bei einem schönen Essen in dankbarer
Erinnerung die meist stilooll hergestellte „Spei
senfolge“ mit, zu Hause schiebt man sie auto
matisch in eine Schublade, und wenn man das
Glück oder Unglück hat, öfter mal in Schönheit zu
soupieren oder zu dinieren, so erwacht man
eines morgens und die JTlenu-Sammlung ist
fertig, ohne dafj man’s wollte.
Auf diese Weise ist auch meine ITlenu-
karten-Sammlung zu Stande gekommen, ich
sammelte sie gar nicht. Sie war ursprüng
lich nur ein Teil des Chaos in einer chaotisch
ueranlagten Schublade. Als dann Ordnung in
dem Chaos eintrat, als die unbezahlten und auch die be
zahlten (bitte!) Rechnungen, die Briefe und Theaterzettel
non einander gesichtet wurden, wurden auch die „Illenus“
fein säuberlich in ein Kuriert gelegt, und — man sieht,
der genaue Vorgang wie bei der Zellenanhäufung in der
llatur — das Kuriert wuchs. Der Inhalt fing an, mich
immer mehr zu interessieren. Es machte mir immer mehr
Vergnügen, in Gedanken in den leeren „Gängen“ oer-
klungener schöner ITlähler zu wandeln, mich lieber Fest-
genossen zu entsinnen, und so wurde ich dann eines
Tages, nachdem ich es lange unbewußt gewesen, ein
Sammler. Zur Abwechselung mal — ein Hlenusammler.
Ulan möge aber nicht glauben, daf) ich nur so aufs Gerate
wohl Illenus sammelte. Oh nein! Ich brachte Hlethade
in den holden Wahn und wufjte der Sammlung einen
gewissen bleibenden Wert zu nerleihen, wenn auch die
Genüsse, an die sie mich erinnerte, nur zu oergänglich
gewesen. Und zwar gestaltete ich sie so, dafj auch Per
sonen, die den lukullischen Genüssen, die diese Illenus
nerzeichneten, fern waren, an meiner Sammlung Interesse
finden konnten.
Zunächst war mein Hauptaugenmerk darauf gerichtet,
nur die JTlenus solches ITlähler zu sammeln, die ich selbst
„erlebt“ hatte. Beileibe nicht solche, die irgendwo und
irgendwann stattgefunden, beileibe nicht historische JTlenus,
die nicht fiir mich selbst ein Stückchen zeitgenössischer
Geschichte bildeten. Tllan hätte mir ein Dlenu nom Gast
mahl des Platon anbieten können, ein Tllenu der Henkers
mahlzeit, die der erste Rapolean in Fontainebleau zu sich
genommen, ich hätte sie als für mich wertlos zurück
gewiesen. „Selbst erschuf er sich den Wert“, muijfe ich
oon den oon mir gesammelten lAenus sagen können. Sie
mufjten mir Erinnerung an eigene Erlebnisse auf dem
meiljgedeckten Tische bieten. Aber auch nicht etwa gewöhn
liche Gasthaus- oder Hotelmenus oon irgend einer Table
d'höte in Ahlbeck oder llorderney konnten mich reizen,
oder gar Illenus oon irgend einer Wiener Winter- oder
Vereinsschmauserei. Es muijte ein höherer Sinn mit dem
Essen oerknüpft gewesen sein, wenn ich die „Efjchronik“
meiner Sammlung einoerleiben sollte.
Der Journalistenberuf bringt es so mit sich, dafj man
Gelegenheit findet, fern oon Wien, bei den oerschiedensten
Ereignissen, bei denen man in Ausübung seiner Pflicht
Geoatter zu stehen hat, sich den ITlagen zu oerderben.
Es ereignet sich, dafj man im Caufe weniger Jahre so in
der ganzen Welt herumgefrühstückt und herumdiniert hat,
eine Krönung da, eine Kanaleröffnung dort, einen Kongrefj
im norden, eine Ausstellung im Süden mitmachte und alle
diese Weltereignisse, durch leckere ITlähler oersüfjt, in sich
aufzunehmen und der neugierigen lllitwelf zu oerkünden
gezwungen war.
Von solchen Gelegenheiten zumeist stammen meine
Tllenus. Wie soll ich sie anführen? Ich will aufs Gerate
wohl einige heroorheben, um die geographische Ausdehnung
ein wenig anzudeuten. Denn ich könnte mit einigen
Variationen den „Bettelstudent“ zitieren:
Ich kenn’ der Küche Reiz im Süden,
Zu Rom, lleapel, Wien, ITladrid,
Ich lunchte bei den Pyramiden,
nahm Afrika zum Teil auch mit.“
Hier dieses „Etekred“ erinnert mich an die ungarische
Gastfreundschaft während der Budapester ITlilleniumsaus-
stellung. Ein anderes Blättchen weist mich in die Zeit
zurück, wo ich auf schmuckem Dampfer der Eröffnung des
„Eisernen Tores“ bei Orsooa beiwohnte. Ein mit dem
deutschen Reichsadler geschmücktes JTlenu erinnert an den
Besuch einiger Berliner Journalisten in Wien, gelegentlich
der Besichtigung der Jubiläumsausstellung des Jahres 1898.