Hummer 24
jnternationciie S a m m I e r - Z e i t u n g.
5eite 371
5. 48—51 „Will auch'n Genie werden“ ist diesem Silhouefteur
Barnsdorff ein poetisches Denkmal geseßt. Dort heifjt dies. Strophe:
„Scheint eine Physiognomie
mir neu non Bau und halten,
So frag ich nicht: „Herr! wollen Sie?“
Kraft muß mir gleich ihn halten,
Bis Barnsdorff, den ich bloß dazu
Fieß oon Hannooer kommen,
Den Schattenriß in einem Flu!
für mich hat aufgenommen.“
Der Dichter gibt zu dem Flamen Barnsdorff die Erläuterung:
„Der eine besondere Geschicklichkeit besißt, Schattenrisse aufzu
nehmen und ein Gewerbe damit treibt.“ Die „Silhouettenfabrik“
(wie Fichtenberg sie nennt) wird in den Briefen der Zeit oft er
mähnt, so schreibt Bürger an Goeckingk am 7. April 1777:
„Unsere Silhouette, welche für einen baaren IFlariengroschen käuflich
zu haben ist, findet unter uielen berühmten und unberühmten
Köpfen, ja selbst dem des berüchtigten - oieler IFlordthaten be-
züchtigten — oor einigen Jahren in Einbeck geräderten — und
auf das Rad geflochtenen Helden Rütgeroth ihren guten Hbsaß.“
mit diesem Sielhoueftierer Barnsdorff hatte Zimmermann gute Ver
bindungen, bezog oon ihm schon oorräfige Silhouetten und lief}
neue anfertigen. Alles erreichbare ging dann nach Zürich, Schatten
risse uon Fürsten und Dichtern, ministem und Köchen, Kammer
herren und Schauspielern, Hofräten und Handwerkern, Theologen
und Offizieren, Juristen und Banditen, Hofdamen und Bürger-
madchen usm., ein „unendlicher physiognomischer Segen“.
Der Züricher Prophet konnte die Geister nicht alle bannen
und so geschah es, daß er sich in der Auslegung der Physiognomien
oft gründlich pergriff: Den mutter- und Ulädchenmörder Rütgerodt
erklärte er für das „größte schöpferische Urgenie“, den Schatten
riß des schwachsinnigen Prinzen uon Holstein, der sich einbildete,
er sei ein Weib und werde mit der Sünde niederkommen, hielt er
für den des geistreichen Helferich Peter Sturz;
Ein glücklicher Zufall hat es gewallt, daß sich ein sehr großer
Teil dieser heroarragend schön getuschten, oon Zimmermann ge
sammelten Silhouetten auf uns gerettet hat. Es sind nicht weniger
als 314 Stück, mit wenigen Ausnahmen oon Zimmermann selbst
mit den Unterschriften uersehcn Caoater hat jedes der reizenden
Blätter mehrfarbig umrahmen und sie zwei zu zwei auf blauen
Karton mit schwarzen Randlinien aufziehen lassen. Die ganze
Sammlung liegt in den alten Holzkästen, befindet sich also nach
genau in demselben Zustande, den faoater ihr gegeben hat. Diese
Art der Behandlung weist schon darauf hin, daß sowohl Zimmer
mann als auch Faoater gerade diesen Silhouetten besondern Wert
beilegten- Und in der Tat, so wahllos ihre Zusammenstellung auf
den ersten Blick erscheint, bei genauerer Durchsicht gewinnt man
doch den Eindruck, doß die dargestellten Personen in einem engern
Verhältnis zu Zimmermann und seinen freunden gestanden sein
müssen.
Ein heruarragendes Interesse gewinnt die Sammlung durch
die große Anzahl Silhouetten oon freunden Goethes. Zunächst
aus der Feipziger Studentenzeit des Dichters: Adam friedrich
Oeser, der berühmte ITtaler und Direktor der Kunstakademie.
Bei Oeser nahm Goethe Prioatstunden im Zeichnen, zusammen mit
einigen Edelleuten, unter denen sich auch freiherr Karl August
oon Hardenberg, der spätere fürst und preußische Staatskanzler,
befand. Hardenberg besuchte Goethe im September 1772 in frank-
furt, dann sahen sich die beiden großen IJJänner 1813 unmittelbar
nach der Schlacht bei Feipzig in Weimar wieder und frischten
Jugenderinnerungen auf. ln Feipzig lernte Goethe auch den Samm
ler und Kunstschriftsteller Kreuchauff („der schöne“ genannt
wegen seiner Fiebe zu den schönen Künsten) kennen und schaßen,
ebenso den Dichter Christian felix Weiße. Just friedrich Wilhelm
Zachariae, der Verfasser des „Renommisten“, gab bei seinem
Besuch in Feipzig zur Ostermesse 1767 den jungen Studenten,
Goethe und seinen freunden, die Ehre, mit ihnen an einem Tische
bei Schönkopf zu speisen. Während Goethes Studentenzeit wirkte
Georg Joachim Zollikofer, der freund Faoaters, als reformierter
Prediger in Feipzig, der berühmte Philologe Reiske erfüllte oon
Feipzig aus die Welt mit seinem Ruhme, seine Gemahlin, Ernestine
Christine Reiske geh. IHüller, mit ihrem ITlanne an Gelehrsam
keit wetteifernd, trug sich nach dessen Tode (1774) mit der Hoff
nung, Fessings frau zu werden. Den Professor Chr. A. Clodius
parodierte Goethe im Herbst 1766 in den Versen auf den Kuchen
bäcker Händel; als Goethe 1812 in Dichtung und Wahrheit oon
diesem Ereignis und seine Veranlassung mit Humor berichtete,
nahm der Sohn Clodius’ die fehde seines Vaters mit Goethe in
dem Artikel „Über einige literarische Jugendurteile des Herrn oon
Goethe“ wieder auf (Zeitung für die elegante Welt, 1812, llr. 259).
Hach Weßlar, in die Wertherzeit führen uns die Schatten
risse oon Eschenburg, dem Hbt Jerusalem, Kielmannsegge
und Götter. Goethe hatte Johann Joachim Eschenburg in Feipzig
kennen gelernt, er nannte ihn wegen seiner Shakespeare-Arbeiten
einen „elenden Kerl“. Eschenburg war sehr befreundet mit dem
jungen Jerusalem, dem Urbilde des „Werther“, der ihm in einem
inhaltreichen Briefe mit einer Art Galgenhumor die unerquicklichsten
Zustände in Weßlar schilderte, die zu seinem Selbstmorde führten.
Der Vizepräsident und Abt Joh. friedrich Wilhelm Jerusalem war
der Vater „Werthers“. Einer der nähern freunde des unglücklichen
jungen Jerusalem war auch Christian Albrecht freiherr oon Kiel
mannsegge. Kielmannsegge hatte 1770 und 1771 in Göttingen
studiert, wo ihn freundschaft mit Bürger, Boie und Biester oerband.
Dann ging er nach Weßlar, um seinen Prozeß bei dem Kammer
gericht zu sallizitieren. Er gehörte hier zu den freunden Goethes,
ln „Dichtung und Wahrheit“ bezeichnet Goethe Kielmannsegge, den
„stoischen Philosophen“, als höchst tüchtig und zuoerlässig, den
Ernstesten oon allen Teilnehmern an der närrischen Rittertafel
runde im „Kronprinzen“, einen ITlann, dem er bei seinem Aufent
halte in Weßlar oiel Dank schuldig geworden. Hoch oon frankfurt
ließ der Dichter „den brauen Kielmannsegg“ durch Kcstner wieder
holt grüßen, ln Goues Schauspiel „FFlasuren oder der junge
Werther“ ist Graf Rethel Kielmannsegge. 1773 ging Kielmannsegge
nach Kiel, im April 1774 wurde er Auditeur beim Hof- und Fand-
gericht zu Güstrow. — Der Dichter friedrich Wilhelm Götter, ITtit-
herausgeber des Göttinger JTlusenalmanachs, schloß ebenfalls in
Weßlar mit Goethe freundschaft. Er präsidierte der uon Goue
begründeten Rittertafel im „Kronprinzen“. In Goues „Illasuren“
tritt er als fayel auf. Auf der Durchreise nach Fyon besuchte
Götter seinen Weßlarer freund am 25. August 1774 in frankfurt,
später trafen die Jugendfreunde in Weimar nach oft zusammen.
Durch Götter kam Goethe mit dem Göttinger Dichferbund in
Berührung. Von fflitgliedcrn des Bundes und ihren freunden
sind in der Sammlung uertreten: Bürger, Boie, Fuise oon Pestei,
niolly oon Gräoemeyer, Hölty, Wehrs, Sprickmann, Joh. Illart. und
Gottl. Dietr. Hüller, Claudius, H. P. Sturz, Oocrbeck. Das Verhältnis
zwischen Goethe und Gottfried August Bürger ist genügend be
kannt; in der Jugend schrieben sich die gleichstrebenden Dichter
des „Göß“ und der „Fenore“ begeisterte Briefe und nannten sich
„Brüder“, als Bürger Goethe 16 Jahre später in Weimar besuchte,
empfing nicht der Künstler den Künstler, sondern der minister den
Prioatdozenten. mit Heinrich Christian Boie wurde Goethe Anfang
1773 durch lllerck bekannt, durch dessen Vermittlung der Heraus
geber des musenalrnanachs die erste Sendung Goethescher Gedichte
erhielt, der später weitere folgten. Bald entwickelte sich zwischen
Goethe und Boie ein interessanter Briefwechsel über Verlegernöfeh
Goethes bei dem Vertriebe des „Göß“, über neue Dramen usw.
Huf seiner holländischen und rheinischen Reise kehrte Boie bei
Goethe in frankfurt am 14. und 17. Oktober 1774 ein. Bis in die
lTacht saßen die freunde zusammen, sprachen uon Dr. faust und
an lern Plänen des alles überragenden Dichters, uon Fenz dem
„Genie und Denker“, und oon den „wichtigsten Gegenständen des
Denkens und Empfindens“. Den Eindruck seines Besuches faßte
Boie in den Ausruf zusammen: „Goethes Herz ist so groß als
sein Geist“.
1774 schreibt Goethe an Kestner: „Fotte soll mir die Pestei
grüßen, das muß auch ein braoes Weib sein“. Fuise uon Pesfel
geb. uon Gräoemeyer, eine frau oon Verstand, Bildung und Gemüt,
mar die Herzensfreundin Boies und stand auch zu Charlotte