5 nt er nationale Sammler-Zeitung.
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Aus Schweizer Bibliotheken.
ln der leßfen Sißung der Antiquarischen Gesellschaft in
Zürich sprach Dr. 6. Bernoulli über „Konzert- und Kammer-
musikalien des 18. Jahrhunderts in schweizerischen Bibliotheken“.
Den Ausgangspunkt bildeten ein Zirkular der Ortsgruppe Basel der
internationalen ITlusikgesellschaft, indem der Wunsch nach genauer
Katalogisierung schweizerischer ITlusiksammlungen ausgesprochen
mar, und eine These der ITlusikgesellschaft, die die Abfassung non
thematischen Verzeichnissen fordert. Diese Wünsche sollten jeden
falls soweit befriedigt werden, daß in der Schweiz die norhandenen
älteren tTlusikalien systematisch oerzeichnet würden, damit oieles,
was jef^t oersteckt ist, benütjt werden könnte.
Die aargauische Kantonsbibliothek besißt oiele UUisi-
kalien aus dem Kloster Wetfingen. natürlich besonders geistliche
ITlusik, oor allem messen aus dem 18. Jahrhundert italienischer
Herkunft. So eine messe oon Anfossi, eine oielleicht unbekannte
neapolitanischer Schule, ein Gloria und eine messe oon Pergolese,
zwei bisher unbekannte messen des seinerzeit beliebten böhmischen
Komponisten Rosetti (Rößler, gestorben 1702), ein Offertorium oon
Sacchini u. a. m. Ganz unbekannt ist uieles, was die Bibliothek oon
Christian Bach, dem „Condoner Bach“, dem jüngsten Sahne
des Johann Sebastian, enthält. Zu dessen Beliebtheit in Wettingen
trug bei, daß er katholisch geworden war. Von ihm finden sich
in Wettingen und noch mehr in Einsiedeln mehrere Sinfonien, zum
Teil auch in Druckausgaben. Cs sind kurze Orchesterstücke in drei
Säßen, aufgebaut in der Art der italienischen Ouoerfüren. Von
seinem Bruder, dem genialen, aber oerlumpten Wilhelm friedmann
Bach, befindet sich ein Exemplar der gedruckten Polonaisen für
Klaoier in Einsiedeln. Dorf haben sich auch Klaoierroerke uon
Philipp Cmanuell Bach erhalten. Jn Aarau findet sich außerdem
ein kompletter Druck der Berliner musikalischen Zeitschrift „musi
kalisches mancherlei“ aus dem Jahre 1765, der Zeitschrift, die uar
allem dadurch bemerkenswert ist, dafj mehrere Stücke program
matische Überschriften tragen.
Eine Sammlung anderer Rrt findet sich auf dem Schlosse
Ortensfein im Domleschg aus dem ITachlasse der Grafen uon
Traoers. Diese hatten lange in frankreich gedient, ihre Sammlung
enthält daher ausschließlich französische ITlusik. Die ältesten Drucke
und Stimmen stammen aus dem 16. Jahrhundert. Ein Druck oon
1681 enthält eine Sammlung oon „Chansonetten“. Eine Anthologie
aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die „Soirees espag-
noles“, umfaßt Gesänge mit Gitarrebegleitung. Auch «abständige
Sinfonien finden sich oor, ein Beweis für die Abhaltung oon Cieb-
haberkonzerten auf dem Schlosse. Vor allem aber besißf die Samm
lung oieie Kammermusikmerke. Der flame Eeclair ist mehrfach
uerfrefen. manche französische Werke der Sammlung sind in den
Hachschlagewerken nicht oerzeichnet. Auch für ITlusette (Dudelsack)
und Vielle (Bauernleier) mit Basso Continua finden sich Kompo
sitionen, so u. a. oierzig „Hoels“ für zwei ITtusetten, die übrigens
nicht nur Weihnachtslieder behandeln.
Den zweiten Vortrag hielt Herr Hans G. Wirz. Seine Aus
führungen betrafen „die oergessene Kopie eines «erschollenen
Zürcher Geseß- und Richtbuches aus dem 14. Jahrhundert“. Es
handelt sich wiederum um einen Sund, darauf der Zürcher Stadt
bibliothek gemacht wurde, um eine Handschrift, die froß ihrer
im allgemeinen richtigen Katalogisierung bisher allen Rechfs-
historikern entging Die Handschrift stammt aus dem Jahre 1645,
Sie gibt sich als die Kopie eines alten Pergamentkodexes aus dem
14. Jahrhundert aus. Diese Vorlage scheint zugleich Saßungs- und
Urfeilbuch gewesen zu sein. Der Schreiber war der Statthalter und
Obmann ITlüller (gest. 1664), der das bei Bürgermeister Waser im
„Stübii“ oerwahrte Original für sich kopierte.
Der Inhalt der Handschrift ist nahe oerwandf mit dem
Zürcher Richtebrief und zwar mit dem so bezeichneten Saßungs-
buch, das 1304 oom Stadtschreiber angelegt wurde. Doch ist die
Vorlage der neu aufgefundenen Handschrift jünger als der Richte
brief. nachträgliche Änderungen, die in diesem oorgenommen wurden,
erscheinen in ihm bereits als primärer Text. Immerhin wurde die
Vorlage aber oor der Brunschen Umwälzung begonnen. Ein wirk
liches Plus gegenüber dem Richtebrief findet sich im Texte nur an
oier Stellen, darunter eine Anordnung über die Wahlart des Rates.
Wir erfahren, daß der abgehende Rat einen Ritter oder Edeln und
zwei Bürger wählte, die dann die weitere Wahl oornahmen. Von
großer Bedeutung sind dagegen die Hachfräge, 55 an der Zahl,
die Beschlüsse oon Bürgermeister, Rat und Bürgeren enthalten.
Es handelt sich bei diesen meistens um sogenannte „ewige Geseße“;
die Vorlage war offenbar ein in amtlichem Aufträge angelegtes Buch,
das das Richtebuch erseßen sollte, weil dieses nur wenig Raum
zur Eintragung oon Hachträgen enthielt. Es muß oor 1527 angelegt
worden sein, da aus diesem Jahre der erste datierte Hachtrag
stammt; es war wohl das Werk des Stadtschreibers Konrad (1326
bis 1531). Es wurde etwa als „über verus de jare civili“ zitiert,
Es enthält 42 lJachträge mehr als das Richfebuch. manches darunter
ist nicht unbekannt, aus Originaldokumenten oder aus andern
Abschriften. Andere Beschlüsse kannte man bisher nur mit falschem
Datum. Zieht man also diese ab, so bleiben noch 54 Ratsbeschlüsse
aus den Jahren 1350 bis 1417, die bisher ganz unbekannt waren.
Wir erfahren oon kirchenpolitischen maßregeln der Stadt, Einzel
heiten über den Empfang König Karls IV. (1353), lesen, wie 1565
und später strenge Beschlüsse gegen das Anwachsen des Besißcs
der toten Hand gefaßt wurden, u. a. m. ferner findet sich oieles
Rechtshistorische über Ehe- und Erbrecht. Hnderes bezieht sich auf
die Verfassung und die öffentliche Tätigkeit des Rats. Drei Geseße
aus Brunischer Zeit befassen sich mit der Aufnahme ins Burgrecht.
Das eine daoon (oon 1355) ist dadurch besonders bemerkenswert,
daß es das älteste ist, das oon den „Zweihundert“ als der obersten
Behörde spricht, Hoch wichtiger für die Zürcher Geschichte ist ein
Geseß aus dem Jahre 1401, „wie man in den Zünften die Sechser
nehmen soll“. Es ergibt sich daraus, daß die Sechser, d. h. die
oon sämtlichen Zünften gewählten Zunftrichter, nicht, wie man
bisher meinte, ex officio im großen Rate (dem Rate der Zwei
hundert) saßen. Den Zünften als Gesamtheit wurde das Recht zur
Wahl ihrer eigenen Vorsteher, d. h. der Sechser, entzogen, und
ihren Vertretern im Großen Rate übertragen. Diese antidemo
kratische Bestimmung ist eine folge der oon gewissen Zunft
kreisen ausgehenden Judenheße, die die Räte mit ITlühe hatten
eindämmen können. Die Illitglieder des großen Rates wurden
I oon den Zunftmeistern gewählt, und zwar offenbar auf unbe-
| stimmte Zeit. n. Z.
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