Hummer 11
Internationale Sammler-Zeitung.
Seite 167
„Wenn Sie mich über meine Eindrücke auf der Hoc-Auktion
befragen, so möchte ich zunächst auf zwei Dinge hinroeisen, die
mir besonders aufgefallen sind. Pas ganze Arrangement der
Auktion ist ausgezeichnet, der Katalog ist mustergültig. Die Räume,
in denen die Auktion abgehalfen roard, sind sehr schön und können
den meisten europäischen Aukfionslokalen als Illuster gelten. Die
Ceiter der Auktion haben allen fremden Händlern einen so herz
lichen Empfang bereifet und sind ihren Wünschen in jeder Weise
derartig entgegengekommen, dafj sich jeder in diesen Räumen
sofort heimisch gefühlt hat. Der zweite Punkt, den ich heruor-
heben möchte, ist der, dafj ich in Dem Kork eine erstaunlich große
Zahl Bücherliebhaber gefunden habe, die mit großem Geschmack
eine schöne Bibliothek zusammengestellt, und die mich immer in
der liebenswürdigsten Weise aufgenommen haben, um mir ihre
Schöße zu zeigen.
Es ist oiel darüber gesprochen worden, dafj die Preise auf
der Hoe-Auktion übertriebene gewesen sind. Das trifft nur teil
weise zu. nicht übertrieben sind meiner ITleinung nach die Preise
für die Gutenberg-Bibel, die Caxtons und den Helyas, außer
gewöhnliche Stücke, die nur außerordentlich seifen oder nie im
Handel oorkommen und neben ihrer Bedeutung für die Geschichte
der Typographie und Eiferafur einen unbegrenzten Ciebhaberwert
haben. Ich glaube sogar, daß eine Anzahl erstklassiger ITlanu-
skripte oerhälfnismnßig billig weggegangen sind. Überzahlt wurden
uiele Bücher oon geringerem Werte. Es wird leicht sein, andere
Exemplare derselben Bücher in den Katalogen der großen euro
päischen Händler für den uierten und zehnten Teil der hier
erzielten Preise zu finden. Es mag sein, daß diese ungewöhnlichen
Preise dadurch erzielt worden sind, daß einige Sammler den
Wunsch hegten, wenigstens ein Buch aus der Hoe-Sammlung zu
erwerben. Ich hörte auch uerschiedentlich die Äußerung, daß die
Einbände der Bücher besonders wertooll seien, und daß der frühere
Besißer derselben für diese enorme Preise bezahlt habe. Was
wohl angesichts der unuerhältnismäßig hohen Preise, die in llew
Uork für Einbände bezahlt werden, richtig sein mag.
Troßdem leuchtet mir dieser Einwand nicht uollkommen
ein. Die europäischen Sammler und Händler ziehen die alten Ein
bände den modernen uor und empfinden es gewissermaßen als
einen Verstoß gegen die echte Bibliophilie, wenn die alten Einbände
durch neue erseßt werden, ln früherer Zeit haben, besonders in
Frankreich und England, die Bücherliebhaber dasselbe getan wie
Herr Hoe, d. h. die Bücher gewaschen und in moderne Einbände
gekleidet. In den leßten Jahren ist man jedoch immer mehr dooon
abgekommen und betrachtet solches Vorgehen als ein Sakrileg.
Ein krasses Beispiel einer derartigen Verstümmelung ist llr. 252
der Sammlung, ßerncr’s Book of St. Albans, ein Buch non dem
nur zwei uollsfändige Exemplare bekannt sind, und oon dem Hoe
den prachtoollsten englischen Originaleinband entfernt und durch
einen weniger schönen maroquineinband erseßt hat.
nun möchte ich noch etwas erwähnen, das mir besonders
aufgefallen ist. Es sind auf der Auktion für mehrere Stücke, die
wegen ihrer zweifelhaften Echtheit nur einen geringen Wert
besißen, sehr hohe Preise bezahlt worden. Es sind das Bücher,
für die europäische Händler, die dach so außerordentlich uiel
Gelegenheit haben, sowohl im Handel als auch in unseren Biblio
theken ITlanuskripfe und Einbände zu studieren, noch keine zehn
Dollars bezahlen würden. Zwei typische Fälle will ich hier heraus
greifen. Bei dem einen handelt es sich um den sogenannten Ein
band „Henry III. of France“ (llr. 527 im Auktionskatalog), der
Sh. 2600 brachte. Das Buch und der Einband selbst sind alt, aber
die Vergoldung der Seitendeckel mit dem Porträt Henry III,
ist nach meiner Überzeugung, die auch uon anderen Kennern, die
sich an der Auktion beteiligten, geteilt wird, das Werk eines sehr
geschickten Buchbinders des 19. Jahrhunderts. Ein Freund
des Herrn Hoe teilte mir mit, daß diesem diese Tatsache bekannt war.
Obwohl ich persönlich die Geschichte der miniaturenmalerei
zu meinem Spezialstudium gemacht habe, würde ich zögern, den
zweiten, noch krasseren Fall der Öffentlichkeit mitzuteilen, wenn
nicht alle Kenner, die ich auf diese Tatsache hingewiesen habe,
mir recht gegeben hätten.
Es handelt sich um das 0oid-lilanuskript (tlo. 2168 des
Kataloges) für das auf der Auktion zehntausend Dollars bezahlt
wurden. Das lllanuskript selbst ist alt und stammt aus dem Ende
des 15. oder Anfang des (6. Jahrhunderts. Die Schrift ist aber
gering und durchaus nicht derartig, wie man sie oon einem könig
lichen lltanuskiipt erwarten würde. Die JTtiniaturen haben nicht
die geringste Ähnlichkeit mit anderen Werken der ITliniafuren-
mnlerei aus der Zeit der Anne de Bretagne, deren Porträt sich in
dem nianuskript befindet.
Die Handschriften, die für diese Fürstin ausgeführt worden
sind, haben einen ganz uerschiedenen Charakter, oor allem die be
rühmten „Heurs“, die sich jeßt im Besiße des Barons Edmonde
de Rothschild in Paris befinden. Die Aliniaturen, die leßfere
schmücken, haben uielmehr Ähnlichkeit mit denen der Harae (Ao.
2137 des Hoe-Kafalogs). Wenn man eine der ODid-lTliniaturen einem
Kenner der Kunstgeschichte uorlegen würde, würde er sicherlich
erklären, daß diese Uliniafuren um 1840 angefertigt worden
sind. Sie sind im Stil der fortgeschrittenen üazarenerkunst und
haben z. B. eine große Ähnlichkeit mit den IJlalereien eines
Schnorr uon Caro Isfeld.
Des Rätsels Cösung ist wohl folgende: Das lllanuskript
stammt aus der Sammlung Cibri, die in den fünfziger Jahren
des oorigen Jahrhunderts in Condon uersteigert wurde, Cibri
war nicht nur ein gewaltiger Dieb, der die Bibliotheken Frankreichs
und Italiens plünderte, sondern auch ein heroorragender Künst
ler und Fälscher. Er hat wahrscheinlich ein Ouid-lTlanuskript
gefunden, in dem, wie es ja öfters der Fall, der Raum für die
Aliniaturen freigelassen war. Derartige unuollendete ITlanuskripte
kommen noch heute im Handel uor. Cibri hat dann die Seiten mit
Randleisten umgeben und die Uliniafuren hinein gemalt,
indem er bekannte Porträts aus dem Kreise des französischen
Hofes am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts kopierte.
Dann hat er in seinem Kataloge, den er selbst anfertigte, eine ge
naue Beschreibung des lllanuskripts gegeben, um den Anschein zu
erwecken, als sei dasselbe wirklich für Anne de Bretagne herge
stellt morden.
Diese Beschreibung libri’s hat dem kurz nach dem Tode
Hoe’s herausgekommenen Kataloge seiner Büchersammlung als
Vorbild gedient und ist auch wiederum in den Auktionskatalog
mit hinübergenommen morden.
Jch möchte am Schlüsse noch betonen, daß ich fest daoon
überze. gt bin, daß sowohl die Verfasser des Auktionskatalogs,
als auch die Käufer dieser Stücke uollkommen bona fide gehan
delt haben. Eine genaue Beurteilung derartiger Einbände und 111a-
nuskripte erfordert eine außerordentlich große Erfahrung, die auch
durch Spezialsfudien ergänzt werden muß.“
Der uon Dr. Baer erwähnte Cibri oder wie er mit oollem
llamcn hieß, Guillaume Brutus Jcile Timaleon, Graf uon Eibri-Ca-
rucci della Sommaia, wurde am 2. Januar 1803 in Florenz geboren
und starb am 28. September 1869 in Fiesoie. Er studierte in Pisa,
ward daselbst Professor der IJlathemafik und Physik, ging 1830
als politischer Flüchtling nach Frankreich, wo er zum Professor der
Analysis an der Sorbonne, Oberinspektor des öffentlichen Unter
richts, Oberaufseher der Staatsbibliotheken, Redakteur des „Jour
nals des Sauants“ etc. ernannt ward. 1847 bedeutender Ent
wendungen aus den Bibliotheken angeklagt, entfloh Cibri nach
Condon und wurde in absentia zu zehnjähriger Gefängnisstrafe
uerurfeilt Sein Hauptwerk ist: „Histoire des Sciences mathemati-
ques en Italie depuis la renaissance des lettres jusqu ä la fin de
XVII, siede.“ (Par. 1838—41, 4 Bände.)
Als er als politischer Flüchtling nach Frankreich kam, besaß
er nicht einen Heller, als er floh, soll er über 600.000 Francs im
Vermögen gehabt haben. Die Ciste der Dielen entwendeten Bücher
würde Seiten und Seiten füllen Seine Bibliothek, die er in Condon
1848 uersteigern ließ, enthielt 25.000 bis 30.000 Bände.
Dr. C, A. Baer ist Alitgtied der Buchhandlung Joseph Baer
& Co. in Frankfurt a. 111., deren Gründung in das Jahr 1785 fällt