Zentralblatt für Sammler, Oebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Horbert ehrlich und J. Hans Prosl.
3. Jahrgang.
Wien, 15. Oktober 1911.
Hummer 20.
Die Kunstsammlung öes Hofrats u. Berharöt.
Von H. Carl Krüger (Berlin).
^jgg^jie Kunstsammlung des verstorbenen königlich
~ ungarischen Hofrates Gustan non Gerhardt
gehörte zu denjenigen, die jahrelang eigentlich
nur im engeren Kreise bekannt mar. mit nicht
geringem Staunen aber sahen die Interessierten
aus einer mit reichem Abbildungsmaterial ge
schmückten Publikation non J. ITlihdlik und Ch.
Csänyi im Heft VI (Jahrg. 1910) der „Magyar
Iparmüveszeti (L’art decoratif Hongrois)“ das
Ergebnis einer jahrelangen eifrigen Sammel
tätigkeit. freilich konnten freunde des Hauses
oder besonders Gingeführte stets darauf rechnen, in dem
vornehmen Patrizierheim am Zollamtring roeitestgehende
und behaglichste Gastfreundschaft zu finden. Und Buda
pest, das zu den „wunderschönen“ Städten gehörige, bot
neben dem unnergleichlichen Stadtbilde, den herrlichen
Palästen und Brücken, dem eigenartigen Beben und Treiben
an der Peripherie des Orients dem nach intimer Kunst
Suchenden noch einen köstlichen Genuß, wenn er im
Gerhardtschen Hause empfangen und ihm die Türen zu
den Vitrinen und alten Schränken geöffnet wurden!
Wohl seit einem menschenalter hat Gustao uon
Gerhardt gesammelt, der Kunst mar seine ganze Blüte
zeit, die mühselige Berufsarbeit ihm lief], gewidmet. Un
ermüdlich mar er auch in der Arbeit an sich selbst, sich
die neuesten wissenschaftlichen Erfahrungen zu eigen zu
machen; sein Ehrgeiz war es, sich durch eigenes Wissen
möglichst unabhängig zu machen non den Gefahren des
Kunsthandels, immer bestrebt, seine Sammlung zu veredeln
und zu verbessern. Rücksichtslos gab er preis, wo er zweifelte
oder was der Kritik nicht standhielt, ein stetes Arbeiten und
feilen an seinem Kunstbesiß war ihm Bebensbedürfnis;
andererseits aber konnte er auch da fest bleiben, wo
er sich und dem Verkäufer vertraute, selbst auf den Wider
spruch anderer Kenner hin. Seine vielfachen Reisen waren
für ihn ein Pürschgang, und fast nie kehrte er ohne Jagd
beute heim. An fast allen großen Kunstoersfeigerungen
nahm er persönlich Anteil und stets kämpfte er um die
Hauptstücke! So wurde die allmähliche, zielbewußte Ver
größerung an alten Kunstwerken verschiedenster Gattung
zu einer bedeutenden Sammlung, — für seine Adoptiv-
heimat ein nicht unwesentlicher KulturfaktorI
Kunstliebe und Sammelleidenschaft liefen ihn nicht
auf einem einzelnen Gebiete halfmachen. Abgesehen von
den Gemälden alter ITleister, die einer zweiten Auktion
Vorbehalten sind,* galt sein Interesse in erster Binie dem
Porzellan, dann den Bildnisminiaturen, silbernen Renaissance
geräten und der Kleinkunst in Edelmetall, den Bijoux und
emaillierten Dosen des 18. Jahrhunderts. Als Ganzes ver
folgt die Sammlung keine entwickelungsgeschichtlichen
Tendenzen, ausgenommen meißener Porzellan, und doch
gibt auch das Beieinander künstlerisch wertvoller Kost
barkeiten sowohl dem Historiker und Spezialforscher wie
dem Sammler genußreiche Anregungen verschiedenster Art.
Im Sinne historischer Reihenfolge geleitet ist die
Sammlung des meißener Porzellans, besonders der
figurenplastik. Beginnend mit Arbeiten Boettgers aus
rotem Steinzeug (Kopf des Vitellins) und frühen Versuchs
stücken aus weißer Erde, wie dem Puttenkopf nach fiamingo
und dem (im Brande verzogenen) Bergmann, führt die figur
des Sganarello nach Callot, des Schindler u. a. in die so
wichtige, aber noch recht problematische Epoche von zirka
1720—1730. Das Erscheinen Kaendlers bestimmte die
nächsten Jahrzehnte und gab der Plastik die imposante
fülle individueller Gestaltungen, die für alle Zeiten ITleißens
Vormachtstellung festlegte. Wir treffen sie in erstaunlich
großer Zahl in der 5ammlung Gerhardt: Schauspiel- und
Biebesgruppen, Gesellschafts- und Harlekingruppen und
figuren, Komödianten (diese allein in 20 Exemplaren!)
Schäfer und Schäferinnen, Soldaten und Handwerker, die
Illythologie und die fremden Völker, Reifer und Rosse
bändiger, große und kleine Tiere, — das ganze schier
unerschöpfliche Thema in immer neuen Varianten! — Bei
der Zuschreibung einzelner Werke an bestimmte Künstler
ist im Text größte Zurückhaltung beobachtet; es ist keine
Übertreibung, daß von dem Flamen Kaendler bisher wohl
allzureichlicher Gebrauch gemacht wurde, ähnlich wie es
mit Beyer in Gudmigsburg geschah. Wichtige Aufklärun
gen nach dieser Richtung hin — den Anteil eines Bück,
Kirchner, Kaendler, Eberlein an der meißener Plastik
stehen uns ja bevor, und so erscheint es um so gewagter,
* Die Auktion der Kunstsammlung findet uom 7. bis 9. IBo-
1 uember bei Rudolf Bepke in 0erlin statt.