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Internationale Sammler- Zeitung. 
Nr. 10 
obersten Stockwerk gelegen und daß das Haus mit Ausnahme 
eines Ehepaares, das die Aufwärterdienste besorgte, gänzlich 
unbewohnt war. Ohne Wissen dieser Leute schien es aller 
dings unmöglich, Eintritt ins Haus zu erhalten, aber sie hatten 
den Ruf vollkommen ehrlicher Menschen und das schärfste 
Verhör konnte auch nicht den geringsten Anhaltspunkt liefern, 
daß sie irgendwie mit dem Diebstahl in Zusammenhang stün 
den. Alles, was man erfuhr, war, daß sie öfters des Abends 
das Haus zu verlassen pflegten, um irgend eine Music Hall zu 
besuchen, aber wie der Dieb während ihrer Abwesenheit Ein 
laß fand, blieb ein Geheimnis. Nur so viel war Meikleiohn 
sofort klar, daß die Tat — die, ohne eine Spur zu hinterlassen, 
vollbracht wurde — von einem Meister seines Faches, einem 
Experten geplant und durchgeführt worden war. Sofort wur 
den alle Hafenplätze avisiert, alle Großstädte benachrichtigt 
und Reproduktionen des gestohlenen Bildes in alle Welt ver 
sandt; eine Armee von Beruis- und Amateurdetsk tives setzte 
sich in Bewegung, um das Gemälde wiederzufinden, aber alles 
blieb vergeblich. Damals pflegte auch der Premierminister 
Mr. Disraeli die Galerie der Firma Agnew zu besuchen, um 
von Zeit zu Zeit deren Kunstschätze zu besichtigen. Er fragte 
die Eigentümer in liebenswürdigster Weise, ob er ihnen 
irgendwie offiziell behilflich sein könne, aber die Herren Agnew 
lehnten dankend ab. »Wenn uns Meikleiohn das Bild nicht 
wiederbringen kann,« sagten sie, »da kann es uns wohl nie 
mand bringen.« Aber leider konnte auch Meikleiohn die schöne 
Herzogin von Devonshire nicht zum Vorschein kommen lassen, 
und nach einigen Monaten der Aufregung und Spannung schlief 
endlich der ganze Vorfall — soweit die Oeffentlichkeit in Be 
tracht kam — ein. 
Um diese Zeit lebte ein Mann in London, der sich Harry 
Raymond nannte und den Behörden als ein König der 
Einbrecher und Diebe bekannt war. Er hatte eine auf das 
luxuriöseste ausgestattete Wohnung im fashionablesten Teile 
der Stadt, in Jerrnin. Street; außerdem besaß er eine Villa in 
St. Johns Wood und einen Besitz außerhalb der Stadt, in 
mitten eines prachtvollen Parkes. Seine Pferde und Wagen 
waren erstklassig, die Kunstschätze seiner Wohnungen zeugten 
von auserlesenem Geschmack. Wenn er sich von den Ver 
gnügungen oder Anstrengungen Londons erholen wollte, tele 
graphierte er nach Solent und ließ seine Jacht in Ordnung 
setzen, um einige Tage oder Wochen auf dem Meere zu ver 
bringen. Diese Jacht hatte übrigens eine interessante Ge 
schichte. Für Harry Raymond' kamen später schlechte Zeiten. 
Er sah sich genötigt, seine Pferde, sein altes Porzellan und 
auch seine Jacht zu veräußern. Der Segler kam durch Ver 
mittlerhände in den Besitz Lord Lonsdales und als dessen 
Gast hielt sich einmal der deutsche Kaiser darauf auf. Die 
Jacht ist in Seglerkreisen nicht unbekannt; ihr Name ist 
»Shamrock«. 
Der Detektive Meikleiohn hatte von allem Anfang au 
den Verdacht, daß Harry Raymond direkt oder indirekt an 
dem Diebstahl der Herzogin von Devonshire beteiligt ge 
wesen sei. Er war reich genug, um andere Leute für sich »ar 
beiten« zu lassen, und er war Künstler genug, um solche Sen 
sationscoups und Mystifikationen der Polizei und des Publi 
kums zu lieben. 
Eine geraume Zeit war seit dem Diebstahl vergangen, 
als eines Tages Meikleiohn den eleganten Einbrecher aui 
seinem Kutschierwagen durch Piccadilly fahren sah. Harry 
gab seinem Groom die Zügel und begrüßte den ihm natürlich 
persönlich bekannten Detektive. Es ist ja eine Tatsache, daß 
Detektives und Verbrecher außerhalb ihrer Berufszeit offen 
miteinander ganz freundschaftlich und offenherzig verkehren. 
Harry proponierte, eine Bar zu besuchen, und bei einer Elasche 
Champagner schlug er dem Detektive folgendes Geschäft vor: 
»Wenn die Herren Agnew ihre Herzogin von Devonshire zu 
rückhaben wollen,« sagte er, »glaube ich, ich könnte sie fin 
den; sie ist noch in London. Ich weiß, daß Sie (Meikleiohn) 
die Untersuchung in Händen haben; wenn Sie also zu George 
Lewis -— das war der Anwalt der Firma Agnew — gehen 
wollten, könnten Sie vielleicht erfahren, was die Herren für 
die Rückstellung des Bildes bezahlen wollen.« 
Am nächsten Tage trafen Verbrecher und Detektive sich 
zum Lunch bei Romanos, einem von Lebekreisen stark fre 
quentierten Lokal im Strand, und Harry Raymond verlangte 
SC.OOO Mark als 1 nbut. 10.000 Mark davon sollte Meikleiohn 
für seine Mühe erhalten. Meikleiohn ging zu George Lewis — 
und fand als bekannter Detektive sofort Einlaß, obwohl im 
allgemeinen der Zutritt zu dem berühmten Advokaten schwie 
riger war, als eine Audienz beim Papste; er erfuhr jedoch, 
1 daß dieser nicht mehr als 20.000 Mark bezahlen und den Dieb 
j frei ausgehen lassen wolle. Harry Raymond hatte sich er- 
bötig gemacht, das Bild zurückzusenden und bis die Identität 
Fig. 11. Schnorr v. Carolsfeld, Siegfried an der Quelle.
	        
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