Nr. 12
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Internationale Sammler-Zeitung.
wahrscheinlich als Frankfurter setzte er einen gewissen Stolz
darein, seinen Goethe zu kennen. Er zitierte Stellen aus »Faust«
minutenlang, fehlerlos, eine Leistung, die von stupendem Ge
dächtnis zeugte, denn der Siebzigjährige hatte gewiß fünfzig
Jahre lang kein deutsches Buch in der Hand gehabt. Sein
Vater war als Arbeiter künstlerischer Metallkassetten nach
England gekommen, hatte sich dann auf den Kunsthandel ge
worfen. in Paris eingekauft und in London vorteilhaft ver
kauft und schließlich ein beträchtliches Vermögen erworben.
Aber erst sein Sohn Charlie sollte das Geschäft auf eine Höhe
bringen, die in dieser Branche vorher noch niemals und von
niemandem erreicht worden war.
Charles Wertheimer leitete seine Geschäftskenntnis aus
seiner Welt- und Menschenkenntnis ab; für sein Kunstkenner
tum jedoch konnte er keine Rechenschaft geben. Er sagte, es
sei Instinkt. Er befühlte eine Bronze oder besah ein Bild und
wußte, was echt, was falsch war (doch auch seine Laufbahn
war von Schnitzern nicht frei). Seine Bibliothek enthielt alle
erdenklichen Nachschlagswerke, aber sie dienten ihm nur
5000 Kronen geschätzt worden; aus dem Nachlasse Wert
heimers mußten sie mit 20L600 Kronen bezahlt werden.) Ei
brachte Jahre hindurch durch Ueberbieten aller Rivalen alles
an sich, was seiner Spürnase erreichbar war. Er beschränkte
sich jahrelang nur auf einige Namen, bis er alle verfügbaren
Werke dieser Meister in seiner Hand vereinigt hatte. (So hat
er zum Beispiel in den letzten Jahren den Pastellisten Russell
bevorzugt und überall alles angekauft, wo er nur eines
Bildes habhaft werden konnte.) Nebenher befaßte er sich
mit Renaissance-, Goldschmiede- und Kristallarbeiten und hie
und da mit französischer Kunst der galanten Periode. (Das
berühmte lichtgraue Fragonard-Zimmer, jetzt im Hause Pier
mont Morgans in Princeß Gate, hat Charles Wertheimer aus
einem südfranzösischen Schlosse nach London- verpflanzt.)
Aber auch in seinem Kunsthandel war die. charakteristische
Note sein Sportsinn. Er wollte gewinnen, verdienen, aber er
kaufte niemals contre coeur; und wenn er für irgend einen
Tip eingenommen war, da sprang er tollkühn in das Unter
nehmen wie ein Wettender, ein Hazardeur.
Fig. 2. Athenische Vase. 5. Jahrh. v. Chr.
zur nachträglichen Verifikation. Er hat niemals Kunst
»studiert«; über die Kunstgelehrten pflegte er zu lächeln, weil
sic zuerst theoretisch aus Büchern identifizierten und dann zu
ihm kamen, um sein Urteil zu erbitten. Allerdings hatte Charles
Wertheimer seine Karriere, wie er in After Dinergesprächen
gern und schmunzelnd erzählte, nicht als Experte in Dingen
der Kunst begonnen. Er begann als Lebemann, als Sportsman,
lind er kannte das alte und das neue London in- und aus
wendig. Die Trinksalons von Haymarket, in seinen Jiinglings-
jahren berühmte und berüchtigte Stätten, waren seine Stamm
lokale gewesen, bei den Faustkämpfen im National Sporting
Club war er ein ständiger Zuschauer bis in die letzten Jahre,
lind seine Kenntnis von- Pferden, Weinen, Zigarren (und
Frauen) war unbestritten. Und er konnte boxen, trinken,
reiten und kutschieren, besser als irgend einer der jungen
»Men about Town« der nüttelviktorianischen Periode.
Dann entdeckte er die englischen Porträtisten des acht
zehnten Jahrhunderts. Er verblüffte und revolutionierte den
Kunstmarkt dadurch, daß er Tausende von Pfunden für diese
Bilder bezahlte, die man früher nur nach Hunderten bewertet
hatte. (Im Jahre 1888 waren die »Töchter Gainsboroughs« mit
Er setzte einmal den Christie-Zirkel in Erstaunen, indem
er in öffentlicher Auktion 9000 Guineas für einen schmutzigen
und beschädigten Gainsborough erlegte. Er bängte das Bild
— das Porträt einer schwarzhaarigen Dame, der die Locken
tief in die Stirn fielen — in einen kleinen Salon seines
Hauses, und dort habe ich cs oft gesehen. Eines Abends nach
dem Diner sagte er: »Let us join the Duchess.« So nannte
er scherzweise seine Frau. Wir gingen also in den Salon,
wo Mrs. Wertheimer uns schon erwartete. Sic führte mich
vor ein lichtes, leuchtendes Porträt einer Dame — unzweifel
hafter Gainsborough — mit der charakteristischen, steil an
steigenden, einförmig hohen Frisur. Beide Gatten lächelten,
während ich sic fragend ansah. »Das ist das Bild der Schwarz
lockigen«, sagte Mr. Wertheimer, »ich habe es restaurieren
lassen. Ich habe sofort gefühlt, daß das Bild, das wir ursprüng
lich sahen, nicht das richtige Gainsborough-Porträt gewesen
sein könne. Der Restaurator weigerte sich zwar, ein Bild zu
berühren, das 9000 Guineas gekostet hatte, aber ich gab ihm
eine von meinem Solizitor beglaubigte Schrift, daß ich jede
Verantwortung trage — hier sehen Sie das Resultat! Das Bild
ist heute gewiß 5000 Guineas mehr wert,« fügte er hinzu.