Nr. 14
Internationale S a m m 1 e r - Z e i t u n g.
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Auszüge aus dem Inventar illustrieren, was für Merk
würdigkeiten hier ausgestellt waren.
»In der Almer Nr. 1 kam im deutschen Saal vor: Im
oberen Fach ein Oberteil eines Weibsbildes von fleisch
farbenem Gips auf einem fleischfarbenen und rottaffetcn
Polster liegend. Im unteren Fach etliche Schachteln,
darinnen allerlei indianische Federn und schlechte
Sachen.« Daraus ersieht man schon diese Sammelsucht
nach originellen Dingen. Die »schlechten Sachen« wur
den auch aufgehoben. Neben antiken Gegenständen
lagen »21 Schnäbel von allerlei indianischen Vögeln.«
»In der Almer Nr. 6 in den zwei oberen Fächern: Allerlei
seltsame Meerfische, darunter eine Fledermaus, eine
Schachtel mit 4 Donnersteinen (vermutlich Meteoren!),
2 Schachteln mit Magnetsteinen und 2 eisernen Nägeln,
sollen von der Arche Noah sein (!), ein Stein, der da
wächst, vom Herrn von Posenberg,*) 2 Kugeln von
einer siebenbürgischen Stute, eine Schachtel mit Alraun
wurzel, ein Krokodil in einem Futteral, ein Monstrum
mit 2 Köpfen (vermutlich ein Januskopf). Und so findet
man weiter einen »Totemkopf von gelbem Achatstein,
3 Sackpfeifen« und daneben »ein zartes Fell, welches in
Ungarn in Ihrer Majestät Lager vom Himmel gefallen
ist.« Kurzuntj das reinste Sammelsurium von den gegen
sätzlichsten Dingen, denen man allen die Originalität
freilich nicht absprechen kann. Einige künstlerisch aus
geführte Arbeiten der Mechanik, Optik und Uhrmacher
kunst, dann Automaten und astronomische Instrumente
aus den Raritätenkabinetten in Prag, Ambras und aus
dem Wiener Antikenkabinettc befinden sich gegenwärtig
im Kunsthistorischen Museum zu Wien (Saal XVIII
u. f.).
Große Sammlerleidenschaft für die sonderlichsten
»Kuriositäten« und »Raritäten« beseelte das alte Wien.
Die Kataloge der damaligen »Kunstkammern« beweisen
auch, mit welcher Naivität gesammelt wurde. Selbst die
größeren Kabinette enthielten die lächerlichsten, un
sinnigsten Dinge, die zur Genüge bezeugen, daß die in
jenen Zeiten blühende Schwärmerei für das Transzen
dentale selbst die Köpfe der gelehrten Kustoden
wirre gemacht hat. Wir wissen ja, daß die Ambraser-
sammlung Gegenstände barg, die heute in einem Museum
der menschlichen Verirrungen den würdigsten Platz
finden würden. Derlei Objekte waren eben Modesache,
und es war daher nichts Absonderliches, den Knochen
eines Heiligen oder Helden neben dem Alraunen
männchen oder einem anderen Hexenzeug zu finden, das
einer Tante oder Großmutter den Teufel vertreiben half.
Um 1700 konnte man »im ersten Cabinet der 3 Gal-
lerie« der kaiserlichen Kunstkammer zu Wien mehrere
»Curiosa« bewundern, so zum Beispiel: den »Spiritus
famigliaris in einem Glaß, so ehemals verbannt worden,
ist bewöglich zu sehen.« Ueber den »Spiritus famigliaris«
und seiner sehr gefährlichen Geistergilde in Alt-Wien
wurde schon viel geschrieben; nach einigen handelte es
sich um die angeblich geheime Kräfte besitzende
Alraunwurzel, nach anderen wieder sind es die be
rüchtigten »Homunculi« aus jenen mystischen Nächten,
da man nicht nur Gold und Edelsteine fabrizieren,
sondern auch Lebewesen künstlich erzeugen wollte. Nun,
unser »Spiritus« dürfte ein kartesisches Männlein ge
wesen sein, das vielleicht einmal in einem Jesuiten
kollegium seine Dienste geleistet hat. Mit dem Bestände
*) Rosenberg war ein passionierter böhmischer Alchymist.
solcher Geisterdinge zeigt sich der psychologisch äußerst
beachtenswerte Abschnitt des Geistesverfalles des
18. Jahrhunderts, der mit der Entwicklung der höchst
konfusen Rosenkreuzer, Asiaten u. dgl. dunkle Orden in
Alt-Wien aufs engste verknüpft erscheint. Eine weitere
Rarität war unter Nr. 8 zu sehen: »Ein Stücklein Holz,
welches, als es ein Handwerksmann gespaltet, eine
Creutz von beyden Seiten repräsentieret, als wann es
eingebräunet gewesen wäre.« Und an der Wand hieng
ein Gemälde, eine Madonna als — Diana dargestellt »von
der verwittibten Kayserinn gemahlen«, von der Gemahlin
Kaiser Ferdinands III., Eleonora von Mantua. Der ge
treue Chronist fügt schließlich hinzu, daß die »Kammer«
außer den neun Kuriositäten »schließlich ein Cabinet von
touchirt und gerissenen Sachen in grosser Menge ent
hielt.« Wieder ein Beispiel, daß die Rumpelkammer
einmal eine viel wichtigere Rolle als heutigentags hatte.
Einige dieser Raritäten befinden sich gegenwärtig
in der geistlichen Schatzkammer zu Wien. Diese sind
nämlich, selbst wenn die verehrungswürdigen Reliquien
nicht echt sind, insoweit von Wert, als sie sich in Ein
fassungen, Gehäusen und kirchlichen Gegenständen be
finden, die als solche von großer kunsthistorischer Be
deutung sind, zumal derlei Werke der Kleinkunst früherer
Zeiten mit einer außerordentlichen Delikatesse ausge
führt erscheinen und als Kunstobjekte Bewunderung er
regen müssen.
Legendär-religiösen Charakter hatte im alten Wien
auch die bekannte Sammlung des ehemaligen Königs
klosters auf dem Josefsplatz. Die Kirche besaß einen
reichen Schatz von Paramenten, Ziborien, Monstranzen
und Reliquien. Für unsere Zwecke seien einige Raritäten
berücksichtigt: In der Barbarakapelle stand ein großes
Kruzifix, woran sich die Legende knüpfte, daß es auf
zwei lästernde Spieler fiel und sic totschlug. Ferner besaß
sic »den ganzen Habit des hl. Bernardin von Siena«, der
in einer Kiste von hartem Holze verschlossen war und
eine bezughabendc Legende trug, u. s. w. Derlei Rari
täten besaßen fast alle Klöster, so die Piaristen,
Dominikaner und Jesuiten. Letztere hatten vorzugs
weise sogenannte »Naturaliensammlungen« zu Schul
zwecken, zumal sie lange Zeit die einzigen Jugend
bildner waren. Daß diese Naturaliensammlungen auch
ihre Kuriosa hatten, ist selbstverständlich.
In den mystischen Kreisen ging es noch bunter zu.
Neben vielen Gläsern von »Homuncoli«, »Spiriti
famigliares«, Wunder- und Hexenwurzeln und magi
schem orientalischen Spurstein prangten in den Vitrinen
der Gold- und Rosenkreuzerlogen von Adepten »alche-
mistisch« erzeugte Gold- und Silberklumpen, die »Prima
materia«, die Nachthaube des Cagliostro und der Rock
des Albertus Magnus. Dann wurden allerlei Arkana ver
wahrt, die »gegen die gröblichsten Krankheiten« helfen
und vor dem Satan schützen sollten.
Es würde zu weit führen, alle Raritäten- und Kuriosi
tätenkabinette im alten Wien zu berücksichtigen. Eine
interessante Arbeit wäre dabei allerdings, allen bezug
habenden Aufzeichnungen nachzugehen, um sie als
Kulturspiegel der menschlichen Marotte und Naivität zu
erhalten. Und trotzdem sind wir dieser Marotte in einer
Richtung äußerst dankbar: sie hat uns jene herzige,
niedliche und edel geformte Kleinkunst geschaffen, an
der wir uns heute nicht satt sehen können, jene
Kleinkunst, die heute zu den größten Schätzen kunstge
werblicher Museen gehört und für Aestheten der Kunst
die aparteste Rarität und niedlichste Kuriosität bildet.