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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 17
Mosche und chinesische Türme errichtete. Berühmt
und h ...ich angestannt ist seine Pagode.
Suiir interessant ist es nun zu sehen, daß an dem
»werten, beispiellosen Erfolge des Chippendal-
:.cLuii Möbelsriles, welcher, obwohl mit keinem klassi
schen Stil im entferntesten zu vergleichen und den fran
zösischen Stilen nicht ebenbürtig, und zudem in sich
selbst der Originalität entbehrend, trotzdem sozusagen
die Welt im Siegeszug eroberte und seit zehn Jahren aufs
neue in Mode gekommen ist, der geistige Ahnherr, Sir
William Chambers, insoweit unschuldig ist, als er von
dem chinesischen Geschmack, obwohl er ihn studierte
und kopierte, nicht viel hielt. Sir William hielt selbst den
chinesischen Geschmack für viel tiefer stehend, als den
antiken, und schrieb: »Die chinesischen Gebäude sind
Spielzeuge, und wie Spielzeuge manchmal wegen ihrer
Drolligkeit und Possierlichkeit, auch wohl wegen der
Güte ihrer Arbeit, in die Kuriositätenkabinette zugelassen
werden, so mag den chinesischen Gebäuden ein Platz
unter den W'erken vornehmerer Art immerhin gegönnt
werden. Im allgemeinen freilich paßt der chinesische Ge
schmack nicht für Europa. Aber in großen Palästen und
Gärten mag man ja wohl ein paar kleine Zimmer in
chinesischem Geschmack einrichten.« Deshalb fügt Sir
William Zeichnungen chinesischer Möbel bei, die ihm
»außerordentlich schön und vernunftgemäß« vorge-
kommen sind und von denen er glaubt, daß sie den Tisch
lern seiner Zeit nützlich sind.
Nun, um so schneller ward »China« die Losung, und
dem Hofe folgte das Volk. Der chinesische Stil wurde
Mode. Sommerhäuser wurden im chinesischen Archi
tekturstil und die Zimmer im chinesischen Innenstil ein
gerichtet. Chippendale, Johnson, Clark, Sheraton sorgten
dafür, daß das englische Haus ein europäisches China
im kleinen wurde. Chambers wurde Mitglied der Aka
demie, Ritter (Knight) und gab im Jahre 1772 noch eine
Dissertation über die chinesische Gartenkunst heraus.
Im Jahre 1775 erbaute er Somerset House und darauf
später eine ganze Anzahl Paläste für den Adel. Er starb
im Jahre 1796 und liegt in der Westminsterabtci neben
den Größten der Nation begraben. Er hat als der geistige
Inaugurator des Chippcndalestiles zu gelten, mag dieser
letztere nun ein Segen oder ein Fluch sein.
Gur litt*) urteilt über Chambers: »Von dem Sinn
für das Volkstümliche angeregt, verstand es Chambers,
ungleich tiefer in das Wesen der chinesischen Kunst ein
zudringen, als es etwa die französischen Rokokomeister
taten. Ihm war es ernst um die Hingabe an die fremde
Denkart, er suchte nach den Grundsätzen, nach ihrem
innersten Wesen.«
Chambers also beschenkte England mit China. Aber
der Chippendalestil ist eine Mischung des chinesischen
und des französischen Rokokostiles. Dazu etwas Gotik
und ein ganz klein wenig nationales England. Was den
Einfluß des französischen Rokoko betrifft, so wolle man
bedenken, daß ja in Frankreich selbst der chinesische
Stil Eingang gefunden hatte, so daß man mit Geymüller
von einer chinesischen Affen- und Palmbaummode als
Sonderart des französischen Rokokostiles sprechen
kann. In der Tat wurde damals in England Frankreich
ebensosehr als China Mode. Wer mitsprechen wollte,
mußte »abroad« gewesen sein darunter aber verstand
man damals nächst Italien vorzugsweise Frankreich.
Folgerichtig übertrug sich auch der französische
Innendekorationsstil nach England und obwohl es nicht
an warnenden Stimmen fehlte, nahmen die englischen
Möbel schnell vom Stil Louis XIV. und Louis XV. die
*) »Geschichte des Barockstiles in England«, S. 402.
Vorbilder. Isaac Ware schrieb zwar: »Wie unglücklich,
daß wir heute in unserer Innendekoration jene bizarren
Formen, ineinander und zusammengehend, sehen müssen,
welche an die Stelle griechischer und römischer Ele
ganz treten, selbst in der vornehmsten Dekoration. Man
nennt sie französisch. Mag man sie immerhin rühmen.
Der gotische und chinesische Stil stehen weder über
noch unter ihnen in Armut der Phantasie.« Isaac Ware
nämlich gehörte zu jenen Architekten, welche noch da
mals in England klassischen Tendenzen huldigten (Queen
Anne Stil). Aber mehr und mehr wurde Louis Quatorze,
Louis Quinze und Chippendale Mode.
Hiezu kam die Gotik, die in England bis zum heutigen
Tage eigentlich immer modern geblieben ist. Jeder Stil
hat sich in England etwas von der Gotik genommen.
Chippendale geht darin soweit, daß er einige Möbel aus
drücklich im gotischen Stil entwirft. Welcher Art dieser
gotische Stil war, darauf kommen wir noch zurück.
Einstweilen wollen wir, bevor wir an die Betrachtung
der einzelnen Chippendaleschen Möbelformen gehen, den
Mann, der diesen Stil kreierte, ins Auge fassen.
Themas Chippendale, »Uphclsterer«. stammte aus
einer alten Tischlerfamilie. Sein Vater hatte sich durch
seine geschnitzten Bilderrahmen und Spiegel einen
Namen gemacht. Die Daten der Geburt und des Todes
Chippendales sind merkwürdigerweise verloren ge
gangen. Er war geboren in der Provinz Worcestershire.
Seine Werkstatt und Wohnung befanden sich in der
Straße St. Martins Laue, damals eine Kunstgegend. Hier
hatte der berühmteste englische Anekdoten- und Sitten
bildmaler H o g a r t h in Thornhilles Atelier studiert und
hier entstand die Kunstakademie.
Die erste Auflage seines Werkes erschien, wie er
wähnt, im Jahre 1754, die zweite 1759, die dritte
1762. Das Buch kostete dabei nicht weniger als 3)4 Gui
neen, das ist 73 Mk. 50 Pf. Das Format war Folio, die
Anzahl der Platten betrug 160. Die erste Auflage war
dem Prinzen William Henry gewidmet. Die Sub
skribenten setzten sich aus Personen des Adels wie der
Zunft zusammen.-
Ein bedeutendes Maß von Selbstgefühl scheint dein
großen Meister Thomas innegewohnt zu haben. Denn
an der Stelle, wo er von Louis Quatorze Ornament
spricht, und den Stühlen, die er in diesem Stil entwarf,
sagt er von den letzteren: »Sie sind die besten, die ich
je gesehen habe (vielleicht auch je gemacht worden
sind).« Nun, sicherlich, unsere heutigen Herren Tischler
meister wären einer derartigen Emphase von Selbstlob
ganz und gar unfähig. Wer wollte wohl daran zweifeln?
Und an einer anderen Stelle wendet sich Chippen
dale an diejenigen Kollegen, die ihm seine besten Ideen
wegschnappen (auch so etwas kommt in unserer honetten
Zeit nicht mehr vor), mit den Worten: »Einige der Pro
fession sind klug genug gewesen, meine Zeichnungen,
namentlich diejenigen im gotischen und chinesischen Stil
nachzumachen, um sie von einem xbeliebigen Mechani
ker ausführen zu lassen. Ich trage kein Bedenken, dies
auf Rechnung von Bosheit, Unwissenheit und Unfähigkeit
zu setzen. Und ich bin meinerseits sicher und kann alle
vornehmen Herren davon überzeugen, daß jede Zeich
nung des Buches verbessert werden kann, sowohl was
Schönheit, als was Reichtum der Ausführung anbetrifft,
von Ihrem ehrerbietigsten Diener Thomas Chippen
dale.«
Man sieht: nichts von Schlauheit und Geschäfts
klugheit wohnte diesem geschickten Tischler inne. Er
hatte es nicht auf den Geldbeutel der Leute abgesehen.
Er war ein Idealist, wie heute noch alle Tischler von Ruf
Idealisten sind. Wer wollte es leugnen?