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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 18
es kamen zur freudigen Ueberraschung der Kommission der
grünliche Flügel eines zweiten Engels und das architektoni
sche Motiv eines Triumphbogens sowie ein Teil des Buches,
das der Heilige in der Hand halt, zum Vorschein, so daß
die scharfsinnige Annahme des deutschen Gelehrten ihre
Bestätigung fand. So darf sich die Gemäldesammlung
Tosio-Martinengo nunmehr zweier Werke des großen Meisters
von Urbino rühmen, da sie außer dem neu entdeckten eine
zweifellos von Raffael herriihrende Tafel besitzt, die den Er
löser darstellt.
Das Raffael-Bild hat folgende interessante Geschichte.
Die Kirche S. Agostino in Cittä di Castello, in der sich das
Bild befand, stürzte im Jahre 1789 bei einem Erdbeben ein.
Um die Kirche wieder aufbauen zu können, verkaufte nun
das Bild, nachdem eine Kopie für den wiederhergestellter
Altar gemalt war. Raffaels Werk gelangte schließlich in den
Besitz des Papstes Pius VI., der den oberen Teil, der
schwer beschädigt war, in Stücke zerschneiden und die Fi
guren Gottvaters, der Maria und des Augustins als Einzel
bilder herrichten ließ. Bei der Plünderung des päpstlichen
Palastes durch die französische Revolutionsarmee im Jahre
1796 fielen auch diese Bilder der Beutegier der Eindringlinge
zum Opfer.
Ein Bruchstück hat Fischei im Neapeler Museum
liachgewiesen, vielleicht gelingt es nun auch die anderen zu
finden.
Eine Danziger Kunstsammlung.
Von H. Karl Krüger (Berlin).
Die Methode, eng begrenzte Einzelgebicte künstleri
scher oder kunstgewerblicher Produktion zum Gegen
stand wissenschaftlicher Forschung zu machen lind die
Ergebnisse in kurzen Umrissen in den leicht zugänglichen
Fachzeitschriften zu publizieren, hat viel dazu beige
tragen, fortschreitendes Verständnis auch in solche
Kreise zu bringen, die großen, wissenschaftlichen Spe
zialwerken im allgemeinen fernstehen. Einen praktischen
Vorteil hieraus hat zunächst der provinzielle Kunsthan.de!
gezogen. Kann der Händler in den Kunstzentren, dem all
gemeinen Spezialisierungssystem folgend, es sich leisten,
seiner Neigung und seinen Mitteln entsprechend sein
Lager nach einer bestimmten Richtung hin auszubauen
- seien es frühere Epochen oder das 18. Jahrhundert,
seien cs Stiche, Skulpturen oder Gemälde - so muß im
allgemeinen der Provinzhändler sein Lager mit allem
füllen, wa ihm Gewinn verspricht. Jetzt pflegt er aber
fast überall ein Spezialgebiet, entsprechend der künstleri
schen Vergangenheit seines Landes oder seiner Stadt;
er wird ein wenig zum Schatzgräber des spezifisch pro
vinziellen Kunstschaffens, wozu ihm die vielen Spezial
arbeiten den Wegweiser abgeben.
Von diesem Standpunkt aus darf man den jetzt zur
Versteigerung gelangenden Antiquitätenbestand des
Herrn Louis ß e r g h o 1 d beurteilen, der seit vielen
Jahren Danzigs Kunsthändler war und der in seiner
Heimat den vielen Freunden alter Kunst häufiger Berater
und Besorger war. Von dem Grundsatz ausgehend, daß
auch die beste Imitation in ein Antiquitätengeschäft nicht
gehöre, war es sein Stolz, bei jedem einzelnen Stück
seines Bestandes die. Echtheit betonen zu können. Mit
Bedauern wird seine zahlreiche Klientel die lediglich aus
Altersrücksichten erfolgte Auflösung seines Antiquitäten
lagers vernehmen. Wie jeder Händler allmählich auch
zum Sammler wird, der sich nicht entschließen kann, ihm
besonders liebe Stücke auch für hohen Gewinn herzu
geben, wollte auch Louis Berghold in den letzten Jahren
immer nur das verkaufen, was er ohne besondere
Schwierigkeiten wieder ergänzen konnte. Auf diese
Weise ist in den Bestand eine gewisse Einheitlichkeit
gekommen. Einmal ist es die bodenständige Kunst Dan
zigs, die in ihrem Hauptgebiet, den Möbeln des 17. und
i8. Jahrhunderts in vorzüglichen Exemplaren vertreten
ist, und die uns nicht nur kunstgewerblich, sondern auch
kulturhistorisch interessiert. Die Schränke in der Art des
»Hamburger Schapp«, die tief gebauchten und geschweif
ten Rokokokommoden und Eckschränke mit geschnitztem
Rahmenholz auf der Verglasung, mit dunkelbraunem, ge
flammtem Nußholzfurnier, kann man ohneweiters als
charakteristisch für die Danziger Werkstätten bezeich
nen ; weniger die interessanten Möbel mit süddeutschen,
holländischen und englischen Einflüssen, die teilweise den
Vorbildern ohne eigenen Zutaten entlehnt sind. Die ge
schnitzten Verzierungen im sogenannten Knorpelstil, die
farbigen Intarsien mit durchbrochenen Laubsägeblenden,
die reichliche Verwendung von blankem Messingblech an
Kästen und Truhen zeigen deutlich die Beziehungen spe
ziell zu Holland, das die ganze Raumausstattung Dan
zigs im 17. Jahrhundert beeinflußte. Im 18. Jahrhundert
war es England, das besonders bei Sitzmöbeln und
Tischen für die kleineren Räume vorbildlich wurde: die
typischen Formen, wie sie Sheraton und Chippen
dale erdacht, sind von den Danziger Werkstätten getreu
übernommen und vielleicht nur etwas massiver ausge
bildet worden.
Eine weitere Konsequenz der Handelsbeziehungen
Danzigs sind die dort völlig heimisch gewordenen Kunst
töpfereien Hollands und teilweise auch Siiddcutschlands:
die Delfter Fayence, das japanische und chinesische Por
zellan, Krüge und Kannen vom Westerwald und den
Werkstätten des Niederrheins, sowie die englische Stein
gutware und die farbigen Stiche vom Ausgang des 18.
Jahrhunderts.
In der Zusammenstellung des so mannigfaltigen
Materials, das viele einzelne Kuriosa enthält, dürfte die
Reichhaltigkeit des Porzellans aufiallen, darunter
das köstliche Meißener Figürchen einer Dame mit
Maske, bekannt unter dem Namen der Gräfin Brühl,
sowie einige seltene Wegeli- und Berliner Modelle; unter
den Silbe rarbeiten vor allem der imposante Zunft-
willkommen der Zimmergesellen mit der Signatu 1 ' des
Meisters Gottlieb Ungcr (1711), sowie vom Zinn die Tauf
schüssel von Kaspar E n d e r 1 e i n aus der evangeli
schen Kirche zu Neufahrwasser.
Alles in allem — es ist ein Bestand von gutem, teil
weise sogar vorzüglichem, altem Kunstgewerbe, in seiner
Gesamtheit dadurch noch von lokalgeschichtlicher Be
deutung, daß er fast ganz und gar aus der Heimatprovinz
geschöpft wurde.