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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
4. Jahrgang. Wien, 1. November 1912. Nr. 21.
Johann Orth.
Von Felix Salten (Wien).
Johann Nepomuk Salvator, Erzherzog von Oester- i
reich, Prinz von Toskana, Kaiserliche Hoheit, Ritter vom
Goldenen Vließ und Feldmarschalleutnant. Dann aber
nichts weiter als Kapitän eines kleinen Handelsschiffes.
Eine mühselig rühmlose, fragwürdige Existenz. See- |
fahrender Kaufmann und abenteuernder Unternehmer, i
Hineingewürfelt in die von
tausend Zufällen durcheinander
gemischte, mehr als zweifel
hafte Gesellschaft südamerika
nischer Hafenstädte. Gleich bei
der ersten Ausfahrt alle Segel
angesetzt zu einer tollkühnen
Reise auf Leben und Tod, die
keiner von den abgebrühten
Jungen der neuen Kamerad
schaft riskieren möchte, die
aber der Mann, der kurz zuvor
noch österreichischer Erzher
zog und Feldmarschalleutnant
gewesen ist, eben deshalb
wagt, weil sie Kühnheit ver
langt, weil sie nicht bloß um
Profit und Frachtlohn, sondern
um Leben und Tod geht. Dann
ein Verschwinden auf weitem
Ozean, ein Ende, das geheim
nisvoll umschleiert ist, ohne
Zeugen, ohne Boten, lautlos
und unsichtbar. Ein Hinweg
genommenwerden von der
Erde, das der Entrückung bibli
scher Gestalten gleicht. Wie
eine phantastische Ballade hört
sich dieses Schicksal an und ist öliger,
doch voll moderner Wirklich
keit. — Lange zögert das Volksempfinden und wehrt sich,
Johann Orth für tot zu halten. So stark und lebendig er
scheint seine Gestalt, so heftig aufglühend in ihrem Willen
zum Dasein. Die unvergeßlich stürmische Gebärde, mit
der er den fürstlichen Purpur hinschleudert und ausholt
wie zu großen Taten, hat atemlose Spannung erregt, hat
ungemessenes Erwarten an ihn geheftet. Und das stöbert
und sucht, das fragt und späht, das hofft und bangt noch
lange hinter dem Verschollenen her, wie eine Verpflich
tung, die er übernommen und die er doch erfüllen muß,
wie ein Versprechen, das von ihm zurückblieb und das er
sicherlich eines Tages einlösen wird. Das Drama, das man
ihn aufführen ließ, hat keinen Aktschluß. Die Tür ins Freie,
die Tür ins Leben, die er mit so viel dringender Ungeduld
aufstieß, klafft noch immer weit offen. Niemand hat ge
hört, daß sie hinter ihm ins Schloß fiel. All dies ist ein An
fang gewesen, nicht mehr als
ein überwältigender, verblüf
fender Anfang. Aber das deut
lich sichtbare Punktum fehlt.
All dies ist nur der fabelhafte
Anlauf zu einem fabelhaften
Sprung gewesen. Aber der
Sprung ist nicht gemacht wor
den. Deshalb will man lange
nicht daran glauben, daß es nun
mit Johann Orth vorbei sein
soll. Für immer vorbei. Ent
täuschtes Erwarten flüchtet zur
Phantasie, und so stark ist die
Lebendigkeit des Entschwun
denen, daß ihr Abglanz und
Echo noch legendenbildende
Kraft hat, daß die Erinnerung
an ihn die Menschen antreibt,
sein Schicksal weiter zu dich
ten. Er ist ein Mann, dem sie es
Zutrauen, daß er tief unter
taucht im Tumult und Chaos
der Welt, hinabsteigt zu denen,
die namenlos sind und ohne
Vergangenheit, daß er sich mit
romanhafter Bravour verbor
gen hält, die Spur seiner
Leopold II. Schritte auslöscht auf allen
seinen Wegen. Sie fragen gar
nicht weiter, zu welchem Zweck er das tun sollte, denn
auch der Zweck seines Handelns wird offenbar werden
an jenem Tage, an dem er beschließt, wieder hervorzu
treten. Sie erwarten, daß er dann irgend eine Tat voll
bracht haben werde, in deren strahlendem Spiegel sich
die Menschheit entzückt und erhoben betrachten könne;
eine J'at, um die es sich lohnt, von der Gipfelhöhe eines
habsburgischen Prinzen herniedergestiegen zu sein in
den Abgrund der Welt. Sie erwarten, daß er dann etwa
auch ein Leben vor ihnen ausbreiten werde, voll hin-