MAK
Seite 56 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Nr. 4 
Die Porträt-Galerie in der Leipziger Handelskammer. 
Von Dr. Ludwig 
Das alte Leipzig gewinnt mehr und mehr ein anderes 
Gesicht im Lichte der Forschung. Man kannte es als eine 
Handelsstadt mit regem, flottem Lehen, der ein Kräng von 
Gärten und Villen die Anzeichen äußerer Schönheit verlieh; 
man wußte auch,. daß berühmte Maler vor etwa hundert 
Jahren hier tätig gewesen sind, und man kennt eine Anzahl 
guter architektonischer Leistungen aus früherer Zeit. Aber 
das ist schließlich nicht mehr, als auch viele andere wohl 
habende Städte ins Treffen zu führen wissen. In unseren 
Tagen erst sind Tatsachen bekannt geworden, die eindring 
lich genug dafür sprechen, daß das Leipzig um die Wende 
des achtzehnten Jahrhunderts innerhalb der damaligen Ver 
hältnisse auch Kunststadt gewesen ist, daß cs eine Stätte 
war, an der Kunst und Künstler weidlich gefördert wurden. 
Vor kurzem erst, gelegentlich der Eröffnung des Stadtge 
schichtlichen Museums haben sich Perspektiven genug nach 
dieser Seite hin aufgetan. Zugleich sind eine Menge wert 
voller Kunstgegenstände aus dem älteren Leipzig bekannt 
geworden, die der Vergessenheit bereits überliefert waren, 
und nun führt der neu eingerichtete große Sitzungssaal der 
Handelskammer, der heute seiner Bestimmung übergeben 
wird, mit seinen reichen Schätzen an alten Porträtwerken 
abermals ein gutes Stück weiter auf dem Wege der Ent 
deckungen. 
Die Notwendigkeit einer Erweiterung unserer Handels 
kammer lag vor. Die Räumlichkeiten w r aren knapp und man 
hat die akut gewordene Frage nach neuen Räumen dadurch 
gelöst, daß man dem schönen Bau im Stile eines gemäßigten 
klassischen Barock ein Stockwerk aufsetzte. Nicht in jener 
Höhe und Weiträumigkeit geschah es. wie das Barock sie liebt. 
Es galt, Arbeitsräumc zu schaffen, und so hat man sich denn 
mit einem abschließenden niederen Stockwerke in den ge 
gebenen architektonischen Formen begnügt. Dabei konnten bei 
der Deckung des Hauses heimatliche Motive in Anwendung 
gebracht werden, eine neue Tönung, die man dem Bau ge 
geben. verdeckt die Unterschiede, die zwischen den alten und 
den neuen Teilen des Hauses hätten zutage treten müssen. 
Ist der ausführende Architekt Schmidt der Außenarchitektur 
mit viel Glück gerecht geworden, so kann man das erst recht 
von jenen Räumlichkeiten sagen, in denen er als Innenarchitekt 
zu arbeiten hatte. Da galt es zunächst die Umgestaltung dreier 
Räume im Hauptgeschoß, die jetzt die Bestimmungen eines 
Ausschußzimmers, eines Beratungszimmers und eines großen 
Sitzungssaales übernehmen. Ueberall waltet ein vornehmer 
Geschmack, selbst da noch, wo sich das Wesen der dekorativen 
Elemente, wie in dem kleinen Beratungszimmer, dem Stil der 
anderen beiden Räumlichkeiten nicht recht hat cinfiigen wollen. 
Als eine vollwertige Leistung ist indes der Plenarsaal an- 
zusehen. 
Der Architekt ging hier zunächst auf eine farbige Wirkung 
aus und das Braun der polierten Täfelung in Nußbaum und das 
warme Rot der Wände gehen zu einem schönen Akkord zu 
sammen, zu dem allerdings das Gold 'der Bilderrahmen ein 
wertvolles Wort mitredet. Ueber der Täfelung steigt eine Ord 
nung etwas schwach profilierter Pilaster in die Höhe, die die 
Wände in größere und kleinere Felder teilt, in denen die 
Porträts der Kramermeister von den Jahren 1630 bis 1870 — 
im ganzen 118 an der Zahl — Unterkunft gefunden haben. Wer 
die Kramermeister sind, und was dazu berechtigt, ihre Bild 
nisse hier aufzuhängen, darüber ist noch zu sprechen. Zunächst 
sei festgestellt, daß bei der von Professor Dr. Julius Vogel 
vorgenommenen Sichtung dieser Bilder wieder neun vorzüg 
liche Porträts von Anton Graf f, vier ausgezeichnete Bilder 
von Fr. Aug. Tischbein und Originalwerke anderer aner 
kannter Maler für die Kunstgeschichte gewonnen wurden. 
Weber (Leipzig). 
Weitaus die meisten der Porträts sitzen noch in den Original- 
rahmen ihrer Zeit, für die wenigen, bei denen die echten 
Rahmen nicht mehr vorhanden waren, sind neue in den ge 
gebenen alten Formen hcrgestellt worden. Zwei kleinere Ovale 
an der unteren Leiste des Rahmens führen die Namen des 
Dargestellten und des Malers, dazwischen sitzt ein Medaillon, 
das auf rotem Felde die Hausmarke, die Geschäftsmarke des 
betreffenden Kramermeisters führt. So präsentiert sich das 
Ganze in einer absoluten Einheit, in der es denn auch einen 
durchaus festlichen und großzügigen Eindruck macht. Man 
kann es unverhohlen aussprechen: dieser Plenarsaal der 
Leipziger Handelskammer hat seinesgleichen nicht in Deutsch 
land, und es ist durch ihn eine Sehenswürdigkeit mehr in 
Leipzig geschaffen. 
Diese Galerie von hundertachtzehn Porträts 
bedeutet ja zugleich einen Beitrag zur Geschichte der Bildnis 
malerei in Leipzig. Denn nicht nur die schon genannten Graft 
und Tischbein, auch Samuel Bottschild t, David H o y e r 
und Ernst Gottlob Hau ß mann, der besonders durch seine 
beiden vortrefflichen Porträts von Gottsched und der Gott 
schedin im Katalogsaal der Universitätsbibliothek sich seinen 
Nachruhm geschaffen hat, sind hier vertreten. Die Porträts 
von Anton G r a f f sind alle aus der besten Zeit des Malers, 
aus den Jahren 1775 bis 1798, in der der Künstler auf der Höhe 
seines Schaffens stand. Es war die Zeit, in der Graff im Auf 
träge des Leipziger Buchhändlers Philipp Erasmus Reich nicht 
weniger als 25 Gelehrte und Dichter malte, deren Bildnisse 
heute alle der Universitätsbibliothek gehören. Friedrich August 
Tischbein kann als Porträtmaler, und besonders mit den 
vortrefflichen Arbeiten, die die Handelskammer besitzt, fiiglieh 
an die Seite von Anton Graff gestellt werden. Freilich kommt 
es darauf an, seine Bilder aus der Masse dessen zu scheiden, 
was unter dem Kollektivnamen Tischbein bekannt ist; die 
Kunstgeschichte kennt ja nicht weniger als 22 Träger dieses 
Namens, die fast alle gemalt und meist auch porträtiert haben. 
Jedenfalls ist der Leipziger Friedrich August Tischbein nicht 
mit Wilhelm (dem Goethe-Tischbein) und nicht mit Johann 
Heinrich Tischbein (dem sogenannten Kasseler Rat) zu ver 
wechseln. Er kam 1801 als Nachfolger des 1799 verstorbenen 
Adam Fr. Oeser als Direktor der königlichen Akademie der 
Künste nach Leipzig, wo er bis zum Jahre 1813, allerdings mit 
vielen Unterbrechungen, tätig war, und starb in Heidelberg 
bei seiner Tochter. Ein in Bälde zu erwartendes Buch eines 
hiesigen Gelehrten wird noch mancherlei Aufklärung über den 
Künstler bringen. Ueber die drei Bottschildt, die sieben Hoyer 
und die sieben Haußmann, die bei dieser Gelegenheit der 
Kunstgeschichte zurückgewonnen wurden, braucht nicht be 
sonders gesprochen zu werden. Es sind gute Bilder innerhalb 
der besonderen Fähigkeiten dieser Maler. Aber den Dar 
gestellten, den Kramermeistern selbst, seien noch einige Worte 
gewidmet. 
Ueber den Begriff eines »Kramermeisters« liegt für die 
große Allgemeinheit heute bereits ein völliges Dunkel. 1870 
noch gab es einen Kramermeister in Leipzig, und heute, nach 
einem knappen Menschcnalter schon erinnern sich nur noch 
die Alten und Aeltesten, was denn ein Kramermeister eigent 
lich w r ar. - Er führte den Vorsitz der Innung der Kleinkauf 
leute, der Detailhändler, und hat zeitweilig, je nach der Be 
deutung seiner Persönlichkeit, eine Stellung von nicht ge 
ringem Einflüsse auf Handel und Verkehr gehabt. Das Markt- 
wesen und auch einzelne Verkäufe sind seit den 
Jahrhunderten des Mittelalters herauf von den Kramenneistern 
in Ordnung und Regeln gehalten worden. Seit dem letzten 
Drittel des siebzehnten Jahrhunderts aber berieten die Kramer 
meister gemeinsam mit den Vertretern des Großhandels. Es
	        
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