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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 5
Zucht seine alle Grenzen überspringende Sehnsucht
steht; daß die Romantik überhaupt, von Haus aus ein
süddeutsches Gewächs, an der Spree sein heimisch
ward und eine eigene Sonderspielart ausbildete. So ist
es nicht minder in der bildenden Kunst, und in dem be
deutsamen Ausschnitt, den die vorliegende Sammlung
darbietet, spiegeln sich diese Züge.
Die Realisten stellen natürlich die Haupt- und Kern
truppe. Der alte S c h a d o w, der den von Chodowiecki
angesponnenen Faden der großen »preußischen Reihe«
fortführt, hält die Tete. Außer seinen Handzeichnungen
machen wir bei der lückenlosen Folge seiner Vigano-
Blätter Halt. Von Franz Krüger ist eine Auswahl
vorhanden, wie man sie nicht oft so antrifft. Der
Hauptteil seines graphischen Werkes ist zur Stelle, das
meiste in besonders schönen frühen Abdrücken, vieles
auch, wonach man
sonst vergebens sucht;
überdies eine Anzahl
erlesener Handzeich
nungen in Blei und
Kreide, die so nahe an
Menzel heranrücken
und. ihn im weiblichen
Porträt fast jedesmal
übertreffen. Um Krüger
bewegt sich die statt
liche Anzahl ähnlich
gerichteter Talente.
Eduard Gärtners
glänzende Zeichen
kunst ist repräsentiert.
Ebenso J. F. B o 1 t,
Fd. M e y e r h e i m,
S. R ö s e 1. Ein reizen
des Selbstbildnis von
Eduard D a e g e, ein
kulturhistorisch inter
essantes, blitzsauber
und doch recht male
risch ausgeführtes
kleines Gemälde von
Z i e 1 c k e, das des
Künstlers eigenes Zim
mer schildert — allem
Anschein nach seine
erste Berliner Woh
nung zu Anfang der
Dreißigerjahre, Ecke
Friedrich- und Leip
zigerstraße — Arbeiten
des Krüger-Schülers
Ludwig E1 s h o 11 z,
darunter ein famoses
Exemplar seines drolligen Malkasten-Festzuges, Blätter
von den beiden E i c h e n s, von Buchhorn
und Theodor Rabe tauchen auf. Seiten begegnet
mann Paul M i 1 a, der am Hofe Friedrich Wil
helms III. als Porträtist eine Rolle spielte, aber trotz
seiner T üchtigkeit bis heute in unverdiente Vergessen
heit geriet. Seltenheiten ähnlichen Ranges sind die fidelen
und geistreichen Aquarelle von Johann Peter Lys'er
oder die historisch bedeutsame Darstellung des badischen
Revoluticnsheeres von dem Wiederum heute zu wenig be
achteten Friedrich Kaiser. Doch das alles sind nur
wenige Stichproben, die von dem Reichtum der Kollek
tion keine Vorstellung zu geben vermögen.
Besonders wird der Historiker der Lithographie
auf seine Rechnung kommen. Außer den Mengen hübscher
Steindrucke, die in den anderen Abteilungen verstreut
sind, finden sich hier hervorragende Dokumente der
Senefelder-Kunst, der Aufseessers Neigung von jeher ge
golten und heute (auch in seinen Plänen für die nächste
Zeit) mehr als je gehört. Vor allem die stattliche Zahi
früher Blätter von Wilhelm Reuter, diese Inkunabeln
der Berliner Lithographie (s. Fig. 10: Badende Nymphe,
Dat. 1805). Dann die Serie Friedrich J e n t z e n s, in der
die Bleistift-Vorarbeiten zu seinen Lithograpien nach
Hasenclever und seine Zeichnung aus der eigenen Werk
statt hervorstechen. Man sieht Proben der ausgedehnten
gesellschaftlichen Kunstübung, die im vormärzlichen
Berlin blühte, namentlich der Tisch- und Fcstkarten, die
damals von der ganzen Zunft mit unerschöpflicher Laune
hingeworfen wurden. (Unsere Fig. 11 entstammt einer
Neujahrskarte für das Jahr 1831 mh aus Scherzfiguren
gebildeten Buchstaben.) Dabei bemerkt man auch hier
Bieistiftentwürfe zu be
kannten Steindrucken;
sc von Wisniewski.
Man sieht ferner Bei
spiele von den dilet
tantischen Bemühun
gen in vornehmen
Kreisen, wie die Litho
graphien der Prinzessin
Elisabeth Radziwili,
deren Gestalt aus der
Geschichte Kaiser Wil
helms I. wohlbekannt
ist. Auch auswärtige
Künstler, die sich vor
übergehend in Berlin
aufhielten, sind ge
legentlich berücksich
tigt. Dazu gehört
Andreas Achen
bach s Lithographie
des gestrandeten Drei
masters »Präsident«.
Der 7 phantastische
Zug der Altberliner
Kunst wird in der
Malerei fast allein
durch Karl Blechen
ausgedrückt, an dessen
Böcklinisfhe Naturan
schauung hier wenig
stens eine felsige
Landschaft mahnt. Um
so übermütiger tollt
sich die Erfindungs
kraft in der Kleinkunst
aus. Namentlich in der
Karikatur, die in unserer
Sammlung mit ihrem interessantesten Vertreter .1. T.
B ö h m e r anrückt. Das ist ein Strich, der gar nichts
mehr von norddeutscher Gebundenheit an sich hat:
diese Lithographien, denen politische Erbitterung und
Verhöhnungslust die zeichnerische Sprache gelöst haben,
dürfen sich, versteht sich in richtigem Abstande, neben
den gleichzeitigen englischen und französischen Kari
katuren getrost sehen lassen. Der Großmeister aber aller
Berliner Laune, Fidelität, Ausgelassenheit und allen
zeichnerischen Witzes, der sich in dieser Stadt entwickelt
hatte, bleibt Theodor Hosemann, den die Kunst
forschung, so sehr sie ihn schon umschmeichelt, noch
immer nicht in die gebührende historische Stellung ein
gesetzt hat.
Es ist bezeichnend für den verständnisvollen Geist,
der die Sammlung Aufseesser bildete, daß diesem kost-
Fig. 10. Reuter: Badende Nymphe.