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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 7
Galerien, Privatsammlungen; aber der Handel mit ihnen
spielte sieh anderwärts ab. Jetzt hat sich die junge Stadt
auch der Kunstauktionen angenommen. Sammlungen
von Weltruf, von einziger künstlerischer Bedeutung
kommen in Berlin zur Versteigerung. Und kaum ist die
Erregung der Weberschen Auktion verebbt, so bereitet
sich ein neues Ereignis vor. Berlin, seiner banalen
Sensationen müde, sucht höhere und geistige Erregungen.
Kämpfe um ein Bild, ein Statue, eine Schnitzerei ent
fachen die Gemüter endlich stärker als Ringkämpfe im j
Zirkus und Mordballaden aus der Alten Jakobstraße. •
Um die Mitte des April wird zusammen mit den Samm
lungen zweier Münchener Künstler und Kunstfreunde
der künstlerische Nachlaß von Reinhold Begas zur
Versteigerung kommen.
Im letzten Sommer ist Begas gestorben, der Michel
angelo Berlins, mehr als 80 Jahre alt. Sein Atelier,
mit seinem Bewohner auch seines heiteren Lebens be
raubt, still, leer, eine Gruft marmorner und eherner Ge
stalten zeigt uns nicht nur den Denkmal-Begas, sondern
den Meister der Kleinplastik, der in seinen Statuetten
unübertroffen ist. Diese entstanden aus einem Geist her
aus, der, klassisch geschult, Barock und Zopf liebt, der
hellenistische Formengebung mit Rokoko-Anmut und
frauenhafter Liebenswürdigkeit erfüllt und diese Wider
sprüche harmonisch löst. Der junge Begas war solcher
weise ein Revolutionär. Er brachte malerische Elemente
in die Plastik, indem er nicht nur etwa Böcklin-Szenen
meißelte, sondern Form und Kreatur impressionistisch
löste, in eine Art efamato tauchte.
Damit vereinte Begas eine Technik, der das letzte
möglich war. Seine Fähigkeit, Frauenfleisch wiederzu
geben, zarte, straffe Haut in Marmor auszudrücken,
Haar in Bronze zu lockern, war unübertrefflich.
Souverän behandelte er sein Material, die Wiedergabe
alles Stofflichen gelang ihm mit seinen herben Mitteln.
Das Schönste leistete er im Frauenakt. Wie ein Wunder
erscheint es, daß aus den großen Händen dieses weiß
bärtigen Recken Frauenleiber hervorgingen von zer
brechlicher Feinheit, von anmutigster Verklärung, scheu
aufknospend, zierlich bewegt. Und ebenso gelangen ihm
Kinderkörper, jene kleinen, fleischverhüllten Formen,
weich in den Gelenken, fett in der Haut, naiv in der
Phase.
Der Nachlaß dieses Künstlers enthält so die
schönsten Werke seiner Meisterschaft: seine Jugend
arbeiten. die er, römischer Eindrücke voll, sie mit seiner
Jünglingsanmut erfüllend, liebenswürdig in der Erfin
dung, Gricchengötter in französische Grazie tauchend —
und die Werke seiner Altmeisterschaft, seiner letzten
Jahre, einer ganz geläuterten, kunstsicheren, dabei an
neuen Anregungen reichen Periode.
Da stehen seine frühen Faun- und Kentauren-,
Venus- und Pangruppen, heitere Einfälle verkörpernd,
eine klassische Leiblichkeit versinnlichend, schon diese
organisch durchempfunden, selbstverständlich und not
wendig-frei in der glücklichen Kompensation, noch ver
hältnismäßig streng in Form und Umriß. Wie von
anderer Hand dagegen wirken die Figuren seiner letzten
Zeit, die nicht ganz vollendet, in der Fläche aufgelockert
sind, in der Silhouette zerrissen, von Leben erfüllt und
Leben ausstrahlend, impressionistische Gebilde, Kinder
der Moderne. Eine kleine Adam und Eva-, eine Kain
und Abel-Gruppe, ein Ringerpaar sind die charak
teristischen Werke dieser Schaffenszeit. — Und ;
zwischen Rokoko, Hellenismus und Impressionismus
stehen ganz beruhigte, klare, klassizistisch reine
Figuren:.ein Brunnenknabe in Bronze, ein meisterliches
Werk wie aus dem Geiste Donatellos, eine einfach voll
endete Figur in Behandlung und Durchbildung; ein
Merkur, der in ruhender Haltung eine organische Durch
arbeitung zeigt, in der fünfzigjähriges Studium sich in
schlackenlose Kunst auflöst. Diese antike Ruhe von
plötzlicher tnichelangelosker Empfindung aufgewühlt,
zeigt sich weiter in einem gefesselten Prometheus,
einer Bewegungsstudie größter Art, die mit fast unge
stümen Können den Mechanismus des menschlichen
Körpers aufdeckt.Und zuFüßen diesesRiesen dann wieder
i eine lieblich bewegte schwebende Tänzerin, den Schleier
vom nackten Körper hebend; eine andere, die ihr Gewand
schalkhaft-hold rafft; ein Hal'bakt, der aus geöffneten
Tüchern hervorblüht, goldenes Bronzefleisch, das aus
dunklen Bronzegewändern leuchtet, die Illusion einer
göttlich geklärten Lieblichkeit.
In der antikischen Heiterkeit dieser Werke eine
ernste, schicksalsdüstere Szene: ein Sarkophag. Ein
Bronzekatafalk mit der Leiche eines Jünglings, die
Genien mit Kränzen schmücken und über die sich,
zweifelnd noch immer an den Verlust, das Leben beugt,
ein ewig junges, strahlendes Weib. Eine Trauer, die
danach nicht trostlos, sondern erhebend und veredelnd
wirkt, strömt aus diesem Werk, dessen Naturalismus
durch Reinheit und Strenge der Form verklärt wird.
Eine Moltkc- und eine Bismarckbüste, ausdrucksvoll und
prägnant, eine Kolossalgrupe zweier Menschen, vielleicht
allzu reich und kompliziert im Spiel der Glieder, ver
vollständigen das hinterlassene Oeuvre des Meisters.
Das Oeuvre seiner fertigen Werke. Denn daneben
finden sich Modelle und Studien in Gips, schnell ent
worfen, nie ausgeführt, oder zur Vollendung bestimmt
und nicht mehr fertig geworden. Hier wird der Blick frei
ins schöpferische Handeln des Bildhauers; die Spuren
seiner Finger und Modellhölzer weisen den Weg, auf dem
seine Werke wurden. Das wundervolle Geheimnis des
Werdens entschleiert sich; und erst unvollkommen aus
dem Stoff gerungen, halbfertig aus der Materie
steigend, nach dem ersten Atemzuge schmachtend, ver
raten diese werdenden Figuren Begas’ schöpferisches
Prinzip.
Der Versteigerung dieses Nachlasses, mit der das
neue Berliner Kunstauktionshaus Gebrüder H e i 1 b r o n
in Berlin seine Tätigkeit vielversprechend eröffnet,
schließen sich unmittelbar die der Sammlungen des
Münchener Kunstfreundes Karl Elch in ger und des
Münchener Malers und Sammlers Alfons Spring an.
Sammlungen, die nicht nur den Ehrgeiz hatten, durch
einzelne Namen zu frappieren und durch besondere
Sensationsstücke zu blenden, sondern bemüht waren, ein
gleichmäßig hohes, künstlerisch ernstes Niveau herzu
stellen. So kamen denn Sammlungen zustande, die
einen feinen Privatgeschmack verraten, fern von allen
Zugeständnissen an Rede und Partei, und die einen echt
münchnerischen Charakter zeigen. Diese 300 Bilder
demonstrieren die Münchener Kunst von dem alten
Rottmann an über Leibi und Lenbach bis zu
Stuck, Dill und Exter. Landschaft und Genre sind
der Inhalt der Werke, Themata, Szenen, Situationen,
Veduten, Ausschnitte, wie sie die gute alte Kunst, weit
ab vorn Begriffe der hart pour hart, liebte. Es sind also
nicht Sammlungen, um die Museumsdirektoren und
Dollarkönige kämpfen werden, sondern bestimmt
scheinen, wieder in Privathände zu kommen, den Bild
wunsch eines einzelnen zu befriedigen, die Wand eines
; Wohnraumes, nicht die anspruchsvolle Fläche einer
Galerie zu schmücken. Mit ihnen käme wirklich eine echt
empfundene und echt gestaltete, gute deutsche Kunst
ins Haus.