Internationale
$ammler2ei'funß
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
4. Jahrgang. Wien, 15. April 1912. Nr. 8.
Eine Johann Strauß-Sammlung.
Von Hermann Menkes (Wien).
Zur Psychologie des Sammlers ist in diesen Blättern
bereits manch wertvoller Beitrag gegeben worden, aber
ich glaube, es ist von dem einen noch nicht gesprochen
worden, von dem Sammler menschlicher Dokumente,
von Grundlagen zur Lcbcnsgeschichte einer Persönlich
keit.
Einen solchen gibt es in Wien in dein kunstsinnigen
Privatmann .loset Simon, der von der Anhäufung er
lesener Kunstobjekte zum Wahrer äußerlich unschein
barer Zeugnisse über das Leben und Wirken eines
Künstlers geworden ist, in dem die ganze Anmut der
Wiener Kultur ihren reizvollsten und prägnantesten
Ausdruck gefunden hat. Simon ist nicht nur das Glück
zuteil geworden, in verwandtschaftliche Beziehungen zu
Johann Strauß zu kommen, sondern auch zu einer in
timen Freundschaft, der sich im Persönlichen und Künst
lerischen nichts verschloß, was das Wesen dieses ge
nialen Musikers ausmachte. Nur eine innige Liebe voll
selbstloser Hingabe hat eine fast schon lückenlose
Sammlung ermöglicht, wie sie Simon als Quelle zu einer
Biographie von Strauß zusammenbrachte. Spürsinn und
Finderglück haben dieses rastlose Suchen und Forscheti
gestützt und begünstigt.
Diese Sammlung besteht aus vergilbten entschwun
denen Notenstücken, aus Theaterzetteln, Bildern, ver
blaßten Photographien, Verträgen, Privatbriefen, Orden,
Büsten und Medaillen.
Vom Taufschein Johann Strauß, von dem
allerersten Versuch einer Komposition fehlt nichts, was
irgendwie über die Abschnitte und Episoden seines Le
bens, und seiner Entwicklung Bericht geben könnte. Es
ist viel von strenger Methode in dieser Sammlung, die
einen nahezu wissenschaftlichen Charakter hat. Sie ist
nicht aus einem Kult entstanden und es fehlt ihr ganz
das sentimentale Element. Die Reliquien fehlen ganz
und sie sind, sofern cs solche gibt, der Obhut von Adeie
Strauß überlassen, der Witwe des Komponisten, die
diese intimen Dokumente mit rührender Liebe bewahrt.
Nicht, nur von Johann Strauß berichten die einzelnen
Gegenstände und Stücke der Sammlung Simon, sondern
von der ganzen Künstlcrfamilie, der er angehörte, von
Vater und Mutter, von den Brüdern, von den musikali
schen Zeitgenossen Lanner und Drechsler, ja ge
wissermaßen in die ganze vor- und nachmärzliche
Epoche ist mancher interessante Einblick hier gegeben.
Wie kaum einem zweiten Musiker noch ist die nach
bildende Kunst des Zeichners, des Lithographen und
Malers dem Leben Johann Strauß gefolgt. K a 1 i w o d a,
Zampis, Kriehuber, Schließmann und Za-
s c h e haben seine Dirigententätigkeit dargestellt, L e n-
b a c h, Huber, Gaul und Tilgner seine Physio
gnomie in vieleh Nuancen fixiert. Jede Phase seines
Lebens aber haben die Photographen festgehalten. Die
kaum merkliche Veränderung in der körperlichen Er
scheinung von Strauß ist in unzähligen Porträts repro
duziert und wir sehen den Meister von seinen frühesten
Jugendjahren an bis in seine letzte Zeit, bald feierlich
repräsentativ, bald im Milieu seiner Häuslichkeit oder im
Volksgarten, bei Dommayer oder bei Hofbällen diri
gierend, an der Seite seiner ersten Gattin, im Kreise
seiner Brüder und Freunde. Eine Photographie zeigt uns
Strauß an der Seite von Johannes Brahms, zwei
Repräsentanten der ernsten und heiteren Wiener Musik.
Er stand zwischen zwei Epochen, schritt von einer
alten, sich schließenden Zeit in eine neue. Seine Knaben
jahre fallen in die himmelblaue Epoche Alt-Wiens, in die
idyllische Biedermeierzeit, der Lanner seine anmutig
zarten Weisen widmete. Seine beginnende Männlichkeit
füllt die Bürgerrevolution aus und seine großen Triumphe
nehmen ihren Anfang, als in Wien der Gründertaumel
mit einer Börsenkatastrophe in greller Weise abge
schlossen wurde. Im Rahmen dieses Lebens sind alle
Elemente des Dramatischen vereint, das Idyll mit dem
welthistorischen Drama und dieses mit der operetten-
haften Nuance der Geschehnisse. Davon sind allerhand
Bilder und Dokumente in der Sammlung. Da ist das
Häuschen, in dem Strauß geboren wurde, das in seiner
Bescheidenheit und behaglichen Art in das noch kleine,
von Wällen eingeschlossene Wien paßt wie die anderen,
in dem der junge Meister seine erste Wohnstätte auf
schlug. Da sind die beiden Eltern, kleinbürgerliche Leute,
da die ehrwürdige Gestalt des Lehrers Josef Drechs-
1 e r, der zwischen pathetischen Kirchenpompositionen
innige Lieder zu Rairriundschen Dramen schuf, das un
vergessene und liebliche »Brüderlein fein«. Wir wissen,
wie ungebärdig der junge Eleve sich verhielt, der auf
der Kirchenorgel im Walzerrhythmus sich versuchte, und
daß der Lehrer ihn mit dem sorgenvollen Zuruf entließ: