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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 8
»Aus dir wird nix!« An der Vorderseite der Regale, auf
denen das Gesamtwerk von Strauß in ersten Aus
gaben aufgestellt ist, ist ein schmales Blättchen geheftet,
das in wenigen Zeilen den ersten Versuch einer Kompo
sition von Strauß enthält. Die Notenköpfe zeigen schon die
Eigentümlichkeiten der Straußschen Schrift, wie sie in
den irti Manuskript erhaltenen Partituren sich uns dar
bietet. Diese sind in ihren Korrekturen und Einschaltungen
charakteristisch für seine Arbeitsweise und sind von
intimstem persönlichen Reiz. Da sind mit Bleistift aller
hand Unterweisungen und humoristische Bemerkungen
an die Dirigenten an den Rand hingeschrieben, ebenso
humorvolle Grüße an Simon, dem er das eine und andere
Manuskript dedizierte, so als wertvollstes »Eine Nacht in
Venedig«.
Zwei Raritäten sind besonders bemerkenswert. Sie
zeigen den jugendlichen Brausekopf als Komponisten re
volutionärer Melodien. In Wien beginnt es zu gären
und auch der junge Musiker wird von der allgemeinen
Stimmung der Zeit erfaßt. Er komponiert einen Re
volutionsmarsch und ein Studentenlied, dessen Titel-
Illustrationen dem Zensor schon verdächtig erscheinen.
Die beiden Arbeiten werden inhibiert und eingestampft,
so daß Strauß selbst nicht ein einziges Exemplar behält.
Simon hat sie noch ausfindig zu machen vermocht und
hat sie seiner Sammlung als interessante Beiträge zur
Biographie des Meisters eingereiht.
Zu den interessantesten Raritäten gehören auch die
gemeinsamen Kompositionen von Johann und Josef
Strauß, vor allem aber eine Lithographie, die Strauß
sen. und jun. an der Spitze zweier Regimentskapellen
vor dem Kriegsministerium vorbeiziehend zeigt. Es ist
um die .Zeit nach 1848, wo das Verhältnis zwischen
Vater und Sohn noch ein sehr wenig freundliches war.
Hier erscheinen sie wie im zwei feindliche Lager ge
trennt, wie Symbole einer alten und neuen Zeit. Ich ent
falte ein etwas vergilbtes Blatt: es ist ein Oktober 1844
datierter Vertrag von Strauß mit seinen Orchester
mitgliedern. Er ist das erstemal Dirigent einer Musik
kapelle, die im Hietzinger Kasino sich produziert. Der
Vertrag ist von vierundvierzig Musikern unterzeichnet.
Auf mehrfachen Blättern sehen wir Strauß hier und im
Volksgarten den Dirigentenstab schwingen. Unter den
Photographien fällt mir dann das markant geprägte Profil
eines Mannes auf, eines musikalischen Hochstaplers, der
im Elsaß als Johann Strauß auftrat und als solcher Sen
sation erregte, bis er entlarvt wurde. Gill hieß dieser
Mann, der seine Rolle mit großer Geschicklichkeit
spielte. Ich halte ein ungedrucktes und unveröffentlichtes
Manuskript in der Hand: einer, zweiten Csardas zur
»Fledermaus«, der für die Renard bestimmt war, aber
aus irgend einem Grunde von ihr nicht gesungen wurde.
Das Notenblatt schlummerte lauge im Archiv der Hof
oper und cs gehört zu den posthumen Werken von
Strauß. Unter den vielen Theaterzetteln zu Straußauf
führungen interessiert mich einer, der in diesem einzigen
Exemplar noch vorhanden ist und die Premiere von
»Tausend und eine Nacht« verzeichnet. Achtzehn aus
ländische Orden für Strauß, die nicht zurückgestellt
werden mußten, w'erden mir gezeigt, eine Anzahl von
Medaillen und Büsten, die zu verschiedenen Gelegen
heiten und Jubiläen angefertigt wurde. Zahlreiche
Strauß-Karikaturen und viele Rollenbilder aus Strauß
schen Operetten erinnern an längst verrauschte Fest
tage heiterer Kunst und bringen uns die G eist in g er.
den jungen Girardi und viele andere Wiener Kory
phäen der klassischen Operette näher, nahe Vergangen
heit und schon ferne.
In die intimsten Dokumente bleibt uns der Einblick
jedoch verschlossen: in die umfangreiche Mappe von
Briefen von und an Strauß, letztere von seinen berühm
testen Zeitgenossen und Freunden herrührend. Viele der
Briefschreiber weilen noch unter den Lebenden und die
Diskretion verbietet noch die Veröffentlichung. Und noch
ein Letztes entzieht sich unserer Kenntnis: das, was die
Erinnerung dieses Sammlers an persönliche Erlebnisse
mit Strauß bewahrt. Mehr als die Stücke, die er ange
häuft, könnte er ia selbst über das Wesen des Freundes
aussagen, den Schlüssel zum Innersten des Menschen
Strauß uns bieten.
Josef Simons Heim in der Schottengasse gibt den
stimmungsvollsten, ergänzenden Rahmen zu diesem
privaten Archiv. Die Bildersammlung, die ältere und
neuere Wiener Malerei neben sonstigen Köstlichkeiten
in erlesenen Werken uns vorführt, verdiente eine be
sondere Würdigung. Mehrere der Bilder und Blätter sind
wie Illustrationen zum einstigen Wiener Kunst- und
Theaterleben. Da ist irrt Original ein Titelblatt zu den Wer
ken Haydns von Hermann K a u 1 b a c h, der junge
Lanner von Kuppelwiese r, Lanner während einer
Probe von T r e m 1, der erste Entwurf zum Zauberflöte-
Vorhang von Schilcher, das Theater an der Wien in
mehrfachen Wiedergaben. Ein Bild von Franz Gaul
zeigt uns Saphir am Vorlesetisch.
Die Besichtigung dieser Sammlung wird mir zu
einem Erlebnis, zu einem Gang durch eine vergangene
Zeit mit einem Leben von geringerer Erdenschwere,
von süßen Liedern und Melodien umrauscht.
Die Frau als Sammlerin.
Aus'Berlin wird uns geschrieben:
Eine Gruppe in der Ausstellung »Die Frau iri Haus und
Beruf« in Berlin zeigte die Frau als Sammlerin. In schönen
Vitrinen hatten in der Empfangshalle eine Anzahl bekannter
Sammlerinnen unserer Zeit ein Teil ihrer Schätze den Augen
des Publikums preisgegeben.
Die Einleitung zu der Gruppe int Katalog schrieb Frau
Anna Michaelson-Jessen, die die Frau als Sammlerin
in folgender Weise charakterisierte: »In der Tätigkeit der
Frau als Sammlerin kommt keine berufsmäßige Arbeit zum
Ausdruck. Es sind auch keine gemeinnützigen Impulse am
Werk, in überwiegendem Maße handelt es sich nur um eine
feinsinnige Liebhaberbeschäftigung.«
Und auf die Frage, welchen Kulturwert das verständnis
volle Sammeln hat, antwortet Anna Michaelson-Jessen, »daß
es ein Mehrer der Glückswerte des Lebens und ein Förderei
der Kunst und Wissenschaft sein kann.« Tn hohen Kulturphasen
der Weltgeschichte haben hervorragende Frauen das Sammeln
ausgeübt, und sie nennt Eleonora Gonzaga und Isabella
d'E s t e, die großen Frauen der Renaissancezeit, voll Be
wunderung. Später sammelte Amalie Dietrich botanische
und zoologische Kollektionen für die Stadt Hamburg. Die
Kaiserin Friedrich war eine Sammlerin voll Zielbewußt
sein und regem Eifer. Frieda v. Lipperheide brachte syste
matisch die vollkommensten Textilsammlungen zustande, und
das gesamte vaterländische Altertumsmuseum in Kiel ist die
Schöpfung einer Frau, des Fräuleins Johanna Mestorf.