MAK
Internationale 
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
5. Jahrgang. Wien, 1. Jänner 1913. Nr. 1. 
Bei Walter Scott. 
Von Dr. Max Eitelberg (Wien). 
Kaum hat man die südliche Grenze Schottlands 
passiert, da bekommen die Bahnhöfe alsbald eine neue 
Note, ln den Bilderreichtum der Plakate und Zeit 
schriften mengt sich immer häufiger ein lockiger Jüng- 
lingskopi als Rekiärneschild für Gegenstände des prakti 
schen Gebrauches. Seife, Füllfedern und Mctallputzmittcl 
wollen den populärsten Mann Nordbritanniens als Marke 
führen. Schottland ist das Land Scotts, der unseren 
Knabenträumen so unerschöpfliche Nahrung gegeben hat, 
daß wir nicht mehr dazu kamen, seine Werke, unbe 
arbeitet »für das reifere Alter«, wieder zu genießen. 
Aber so wie die Freundschaften am dauerhaftesten sind, 
die in der Jugend geschlossen werden, so wecken auch 
die Bücher, die man zwischen zwei Zügen in den Perron- 
buchhandlungen mustert, unvergessene Erinnerungen. 
»Kenilworth«, »Wawerley«, »Quentin Durvard«, »Ivcn- 
hoe« — ach, da man noch imstande war, so dicke Ro 
mane zu verschlingen . . . 
In Edinburgh, dieser entzückenden Stadt, in die 
ganze Wälder und Berge hineingestreut sind, ist sein 
Denkmal, mitten in der Princcss-Street, flankiert von 
Livingstone und Lord Lister. Er lehnt im Fauteuil, den 
Mantel um die Schultern geschlagen, zu Füßen seinen 
großen Jagdhund; aber als ein ungeheurer Baldachin ist 
über sein Marmorbild ein turmhoher Bau gestülpt, wie 
um den Dichter für alle Zeiten vor Sonne und Wetter 
unbilden zu schützen. 
Hier wirkte er als Advokat und Gerichtssekretär 
und schrieb daneben für einen Verlag, dessen Zusam 
menbruch ihn plötzlich vor eine beispiellose Aufgabe 
stellte. Er unternahm es, eine Schuldenlast von 120.000 
Pfund, das sind 2,880.000 Kronen in unserem Geldc, 
einzig mit seiner Feder abzuwälzen! Ehrfurcht vor dem 
W r alter Scott-Pcncil! Damals gab es weder Operetten 
noch Kinodramen, und dennoch vollführte er das gigan 
tische Werk, das ihn unsterblich machte und an der 
Schwelle des Greisenalters aufs Siechbett war. 
Mein umsichtiger Reisegefährte hatte den Besuch 
von A b b o t s f o r d, der Stätte dieser berühmt gewor 
denen Arbeitsleistung, selbstverständlich in unser Pro 
gramm aufgenommen. Ein dünner lauer Regen hüllte die 
schwarzen, wie aus Felsblöcken gefügten Häuser Edin 
burghs in Schleier, als wir den Ausflug begannen, und 
begleitete unseren Zug bis Melrose. An der Ausgangs 
station harrten die obligaten Coaches, auf die man mit 
Leitern emporklettern muß; dann ging es durch ärm 
liche Dörfer, auf schmalen Straßen weiter. Schottische 
Dudelsackpfeifer und ein tanzendes Pärchen, die auf dem 
Wiesenhang eine Vorstellung gaben, fingen geschickt die 
zugeworfenen Pennys auf. Kinder treiben sieh vor dem 
Wagen herum. Endlich halten wir vor einem uralten 
Parktor. Das ist der Landsitz Walter Scotts. 
Im Vorraume heißt es geduldig warten, bis eine ent 
sprechende Anzahl Besucher beisammen ist. Man löst 
das Billett, beschäftigt sich mit Ansichtskartenschreiben 
und folgt dann der Einladung des freundlichen Herrn, 
der hier die Honneurs macht. 
Man kennt das stolze: »Mein Haus ist meine Burg.« 
Dieser Hausherr ist seit achtzig Jahren tot, aber er 
könnte jederzeit wieder heimkehren und fände seine alte 
Behaglichkeit, seine stattliche Bibliothek, die Waffen und 
Rüstungen, Bilder und Plastiken unberührt wieder. Eine 
Urenkelin, Miß Constable Maxwells Scott, behütet 
nunmehr alle diese Schätze. Es sind lichte hohe Zimmer, 
durch deren Fenster man in einen Garten blickt. Am an 
ziehendsten ist der Arbeitsraum. Hier s-teht noch der ge 
waltige schwarzeichene Schreibtisch, ein schwerer, weit- 
armiger Lehnstuhl, ein Pult und eine endlose Reihe 
sauber gebundener Bände, die der Neugierde der Be 
sucher allerdings durch ein Drahtnetz entzogen sind. 
Scott selbst war ein leidenschaftlicher Kuriositätensamm 
ler: Medaillons, zierliche Nippsachen, Napoleon-Reliquien 
und alte Münzen drängen sich auf Regalen und in Schau 
kästen. Der intime Reiz dieser Häuslichkeit gewinnt an 
Gegenwärtigkeit dadurch, daß man sogar Teile seiner 
Garderobe zu sehen bekommt. Schuhe, Jagdkostüme, 
seidene Westen, alles ist in sorgfältig gepflegtem Zu 
stande vorhanden. Die Liebe höret nimmer auf! Als ob 
der Unsterbliche sich nur auf Momente entfernt hätte 
und die Gäste einstweilen zerstreut werden sollten, er 
zählt der Führer scherzhafte Anekdoten aus Sir Walters 
Privatleben und zeigt das steinerne Abbild seines ge 
treuen Hundes, der in täuschender Lebendigkeit auf dem 
Rasen des Parkes hingelagert ist. 
Wie in Stratford on Avon der Schatten Shakespeares 
alles Gedenken befällt, so spricht hier Walter Scott mit 
unzähligen Stimmen zu uns. Königlich wie sein Monu 
ment in Edinburgh, wie sein Herrensitz in Abbotsford, 
ist auch sein Grab in der Dryburgh A b b e y, die 
wenige Meilen entfernt liegt. Einmal mochte ihn der Weg
	        
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