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Internationale Sammler-Zeit u.n g
Nr. 1
zu dieser schönsten der Ruinen Schottlands geführt
haben, da er sich entschied, an den Grundmauern der
zerstörten Kathedrale seine letzte Ruhestätte zu finden.
Fürwahr, ein mächtiger Ausklang einer rauschenden
Lebenssymphonic.
Unendlicher Stimmungszauber webt um die
verlorenen Steinquadern, aufrecht ragenden Tor- und
Fensterbogen. Dichtes Gras und üppige Schlingpflanzen
wuchern zwischen den Resten des Querschiffes, den
übrig gebliebenen Säulenschäften. Diese Kirche ist vor
vielen Jahrhunderten durch Feuer vernichtet worden,
aber ihre Trümmer werden ewig bestehen. Einen er
habeneren Sarkophag hätte die britische Nation ihrem
großen Sohn nicht bauen können.
Style de la regence.
Von Dr. Heinrich Pudor (Leipzig).
Anläßlich der Berliner Rokoko-Ausstellung hat es
sich gezeigt, welche Unsicherheit im Publikum, ja selbst
bei Kennern, gegenüber den französischen Königsstilen
herrscht, derart, daß nicht nur Louis XIV., Louis XV.,
Louis XVI, sondern auch der Style de la Regence und
der Rokokostil nicht genügend auseinandergehalten
werden. Vor allem übersah man bei dieser Gelegenheit,
daß das, was man in dieser Ausstellung an höchster
Kunstblüte sah, wie zum Beispiel einige Gemälde von
W a t t e a u, gar nicht zum Rokokostil, sondern zu dem
uns weit sympathischeren, der Zeit nach vorgehenden
Stile de la Regence gehörte. Während nun der Barock
stil prächtig und pompös, schwer und überladen ist, ist
der Rokokostil graziös und zierlich, leicht und spielend,
der Stil der Regence aber elegant, vornehm und maß
voll. Der Barockstil ist protzig, der Rokokostil kokett,
der Stil der Regence elegant. Während der Maler par
excellence des Stiles Louis Quatorze Lehr.un ist, ist
derjenige des Rokoko Boucher, derjenige des Stiles
der Regence aber Watteau. Was Boucher betrifft, er
innere ich nur an sein Bild »Die Toilette der Venus«
oder »Venus und Amor«, was Watteau betrifft, an seine
Paneele von der großen und kleinen »Singerie« im
Schloß Chantilly.
Barock und Rokoko, beide sind üppig und beide aus
schweifend, der Barockstil aber in männlichem, der
Rokokostil in weiblichem Sinne.
Wer es liebt, eine Jahreszahl als Anhaltspunkt sich
einzuprägen, möge sich merken, daß die Jahre 1715
(Todesjahr Louis XIV.) bis 1730 den Stil de Rc-
g e n c e* — 1720, das Jahr der höchsten Blüte des Law-
schen Finanzsystems und damit einer, wenn auch nur
scheinbaren Blüte Frankreichs 1730 bis 1755 den Stil
Louis XV. erste Periode, 1755 bis 1774 Louis XV. zweite
Periode, 1774 bis 1792 Louis XVI. bezeichnen.
G e y m ü 11 e r führt in seiner Geschichte der fran
zösischen Architektur als Kennzeichen des Stiles d c
Regence treffend u. a. folgende an: die Umwandlung
des ganzen Charakters der Innendekoration und ihre
Ausbildung als Salon- und Boudoirstil« und die Steige
rung des legitimen und illegitimen Einflusses der Frauen
in der Architektur und des Charakters — ich will nicht
sagen der Weiblichkeit, sondern des »feminin«. Er
führt als einen der ersten, die sich vorn »steifen Pomp«
Louis XIV. entfernten, Claude Gillot (1673 bis
1722) an, ferner Claude An dran (1658 bis 1734), den
mehrfach erwähnten Antoine Watteau (1684 bis 1721),
ferner den Sohn des oben erwähnten Oppenordt, Gilles
Marie O p p enor d r* (1673 bis 1742) an.
Herzog von Orleans führte die Regierung für den minder
jährigen Louis XV. von 1715 bis 1723.
Kronthal schreibt Oppenort.
Es soll wahrhaftig nicht geleugnet werden, daß der
Rokokostil, rein ästhetisch genommen, eine große Blüte
des französischen Kunstgeistes bezeugt, speziell nach
der dekorativen Seite hin. Und hierauf haben wir ja auch
schon hingewiesen. Woher aber nahm der Rokokostil
das Positive, das Belebende, das Fruchtbringende, das
es doch in dem versumpften Hoflcben Louis XV. gewiß
nicht finden konnte? Die Antwort muß lauten: in der
Natur. Soweit man in der Unnatur ging, so predigte man
dennoch die Rückkehr zur Natur (vergl. Rousseau) und
zog aus ihr Quellen zum dekorativen Schaffen. Ohne
diese Rückkehr zur Natur wäre weder die reizvolle
Rokokofigur Watteaus noch die ganze Rokokoblüte mög
lich gewesen.
Speziell für die Dekoration wirkten außerdem die
Grotesken der Raffaeischen Loggien im Vatikan aufs
neue befruchtend. Einen außerordentlichen Einfluß aut
den Möbelstil jener Tage, ebenso wie auf das gesamte
Kunstwerk und die Architektur hatte der schon flüchtig
genannte Juste Aurele Meissonier. Meissonier gilt
als derjenige, welcher den Stil und Geschmack ß o r r o-
m i n i s auf Frankreich übertrug, der grundsätzlich die
gerade Linie aus der Dekoration verbannte und die ge
schwungene Linie in der S-Form als Leitmotiv einführte.
Er bedeutet aber nicht den Gipfel des Rokokostiles.
Seine ürottenkomposition (s. Abb. bei Gurlitt, S. 277) ist
eine Ausartung des Stiles der Ausartung, eine Karikatur
des Karikaturstiles. W'ie dünne Bäume und Aeste, die
sich im W'indc krümmen und biegen, oder gar wie
Wellengekräusel und Wogenschaum muten seine Formen
an, selbst in den konstruktiven Gliedern.
Wir wollen hier bemerken, daß bei der Bildung des
Rokokostiles eine Modeliebhaberei für den Orient, im
besonderen für China Dienste leistete. Die Jesuiten und
später die Holländer hatten diese Kenntnis Chinas, die
übrigens eine ziemlich oberflächliche war, vermittelt.
Besonders Gillot und Watteau frönten in ihren Kom
positionen dieser »Affen- und Chinesenmode«, wie sie
Geymüller nennt. Von nachhaltender Wichtigkeit war
diese Mode um dessentwillen, als das Porzellan, das
man von China erhielt und in Europa nachmachte, großen
Einfluß auf den dekorativen und selbst architektonischen
Stil ausübte kann man doch den Rokokostil geradezu
einen Style ä la porcelaine nennen. Und ähn
lich verhält es sich mit der Palmbaummode, welche
sich gleichfalls im Dekorativen geltend macht und be
sonders von V erberckt gepflegt wurde. Hiezu kam
die Muschel, die dem Porzellan nahe steht; beide Moden
verbinden sich. Geymüller unterscheidet eine Muschel-
werkmode, also r o c a i 11 e - Mode von dem eigentlichen
Rokoftosth Grottenwerkstil. In Frankreich bezeichnet
bekanntlich r o c a i 11 e das, was wir Rokoko nennen,