geschiedene sich zurücksehnt nach dem Leben, ist es fromme Pflicht,
seine Existenz förmlich fortzusetzen und zu einer bleibenden zu machen,
ihm das zu wahren, was er im Leben verlangte, Behausung, die Freuden
des Mahles und das, was ihm die Krone des Daseins bedeutete, die Ge-
selligkeit. Man wird sich der Rührung nicht erwehren können, wenn
man sieht, wie der Todte den Verkehr sucht, die Aufmerksamkeit auf
sich zu lenken strebt. Behagliche Bänke und Sitze sind an und vor den
Grabmälern angebracht, den Wanderer einladend, hier eine Weile auszu-
ruhen, Schatten zu suchen und dem Bilde des Abgeschiedenen einen
Blick zu schenken. Man stelle sich nun, um so recht das Verhältniss der
antiken Menschen zu ihren Todten zu verstehen, über die Zerstörung
und das Schweigen der Gegenwart hinweg, die Gräberstraße in alter
Zeit vor. Ein Kommen und Gehen an dieser Stelle, welche die Pulsader
des Verkehres nach außen bedeutet, ein slidländisch gescbäftiges Treiben,
Lärmen, Feilschen und Streiten; dort aus der Einkehrschänke dringt
fröhliches Lachen und wir vernehmen die Stimme der Tänzerin, die das
in Worte zusammenfasst, was die Grabmäler stumm predigen, wenn sie
zur Castagnettenbegleitung singt:
Eia, dehne die Glieder zur Rast im Schatten des Weiniaubs,
Und mit Rosengewind' kränze das trunkene Haupt.
Willst du den duftenden Kranz für ein fohllos Restchen von Asche
Sparen und wähnst für das Grab unsere Blumen gepüückt?
Wein und Würfel daher! Wer gramt sich um Morgen! lm Nacken
Steht uns der Tod und raunt: Lebt! Ich bleibe nicht aus!
Den vollsten Gegensatz zu den Anschauungen der Antike kündet
mit gleicher Ueberzeugungstreue die zweite Stätte, zu der wir uns begeben,
der Friedhof eines unserer Alpendörfer. Ein gothisches Kirchlein, malerisch
aufgebaut auf einen vorspringenden tannenbewachsenen Felsen, schaart
um sich die Gräber, die primitiv gefügte Kreuze "aus Holz oder kunst-
voll geschmiedete Crucifixe aus Eisen bezeichnen. Eine Mauer umgibt
den geheiligten Bezirk und trennt ihn von der Außenwelt, damit die
hier Bestatteten das finden, was der Name des Ortes besagt, Frieden.
Alles ist hier tiefste Ruhe, und selbst die Natur scheint mit ihrem Athem
stille zu halten, um die nicht zu stören, die hier schlafen. Denn sie sind
nicht todt, das verbürgt ihnen das Gotteshaus, in dessen Schutz sie sich
gestellt haben und die Symbole, die ihre Gräber schmücken; sie ruhen
nur aus von des Daseins Mühen und Lasten und erwarten den Tag, der
sie zu einem neuen, schöneren Leben erwecken wird.
Und nun der Friedhof der modernen Großstädte. Er liegt weit
abseits von der Geschäftigkeit des Tages und bildet eine stille Stadt für
sich, die sich mit einer Stelle begnügen muss, wo sie die Rechte der
Lebenden am wenigsten kreuzt. Unsere Todten sind abgeschlossen von
dem Verkehre mit den Ueberlebenden, aber, dass für sie auch jene Ueber-
zeugung, welche der Friedhof des Alpendorfes mit seinen einfachen Kreuzen
so eindringlich predigt, die gewaltige, aufrichtende Lehre des Christen-