MAK
Nr. 12 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Seite 183 
Spitzenindustrie von neuem beleben wollte, entdeckte 
man mit Mühe einige alte Frauen, die sich noch der 
»Point de France« erinnerten. Er schenkte der Kaiserin 
Marie Luise eine prächtige Bettgarnitur, in diesem 
berühmten Muster hergestellt, das aber mit der kaiser 
lichen Biene übersät war. Auch der dritte 
Napoleon versuchte die alte Kunst wieder einzuführen 
und bestellte für die Kaiserin E u g e n i e ein Spitzen 
kleid im Werte von Zweimalhunderttausend Franken. 
Doch man verstand es nicht mehr, die herrlichen Gewebe 
in einstiger Schönheit herzustellen und manches Ge 
heimnis in der Kunst, den Faden zu schlingen, blieb 
verloren. 
Die Sammler und Kenner alter Spitzen wissen, daß 
bis zum 18. Jahrhundert nur handgesponnener Faden 
verwendet wurde, der nicht länger als 20 bis 25 Zoll war 
und immer wieder angeknüpft werden mußte. Für 
Brüsseler Spitzen spannen fleißige Frauen den aller- 
feinsten Flachs in Kellergewölbcn , weil eine gewisse 
Feuchtigkeit nötig war, ihn zart und dünn genug geraten 
zu lassen. Im Dunkeln wurde der Wunderfaden ge 
sponnen, so daß nur auf die Spindel ein Lichtstrahl aus 
dem kleinen Kellerfenster fiel, und Zoll für Zoll mußte 
nachgeprüft werden, damit er gleichmäßig und fein wie 
Spinnweb in der hellen Werkstätte erscheine. Dem Auge 
fast unsichtbar, wurde er mit den Händen nur dem Ge 
fühl nach verarbeitet. Ein Pfund solchen Flachsfadens ge 
nügte, um Spitzen im Werte von ungefähr viertausend 
Mark auszuführen. 
Diese Arbeit, die flämische Geduld ersonnen hatte 
und nur flämische Zähigkeit vollenden konnte, sollte 
neuen Aufschwung in England nehmen, wohin während 
der Religionskriege viele Arbeiterinnen geflohen waren. 
Doch man vermochte es nicht, in England Flachs von ge 
nügender Feinheit zu erzielen, so daß neue, kräftigere 
Spitzenarten entstanden. 
»Point de Bruxelles« und »Point de Valenciennes« 
waren die zartesten und duftigsten. Sie galten während 
der eleganten, reichen Zeiten vor der Revolution als 
»Sommerspitzen«, während »Point d’Alengon.« und 
Venezianer Spitzen wegen ihrer stärkeren Fäden und 
kräftiger gezeichneten Muster im Gesetzbuch der Mode 
»Winterspitzen« hießen. Es stand mit dem guten Ton und 
der einem Kavalier oder einer Dame gebührlichen 
Eleganz im strengen Widerspruch, diesen Unterschied 
leichtsinnig zu mißachten. 
Auch in Italien gelangten die Spitzen zu hoher Be 
deutung. ln einem Inventar der Familie Sforza- 
Visconti aus dem 15. Jahrhundert sind verschiedene 
Arten als wertvoller Besitz angeführrt. Auf Gemälden 
begegnet man ihnen zuerst bei Carpaccio, später in 
mühevollster, genauester Ausführung bei Franz Purbus 
und H o 1 b e i n. Doch in wahrhaft königlicher Pracht er 
scheinen sie auf den vornehmen Porträts des Vau 
Dyck, zu dessen Zeit die Herrscher ihren Lieblingen 
kein schöneres Geschenk machen konnten als Spitzen 
schmuck. Van Dyck malte meistens »Genueser Guipure«, 
die kostbarste Art zur Zeit der italienischen Renaissance. 
Reiches geometrisches Ornament — die sogenannte 
Reticella — bildet die Grundlage des prunkvollen Ge 
webes, das trotz seiner Zartheit steif sein mußte, wie es 
die hochstehenden Mediceerkragen verlangten. Helene 
Fourment, Rubens Gattin, englische und französische 
Könige sind in dieser Tracht dargestellt. Als die herab 
hängenden Kragen aufkamen, griff man zur Technik der 
»Piombini«, bei der die Fäden, um sich straffer zu 
spannen, mit Blei beschwert wurden. Fast überreich 
schmückten Ornamente dies neue Muster, den »Point 
d’esprit«, der für eine sehr wertvolle Abart der Genueser 
Spitze gilt. 
Was man in der Gegenwart Kunstguipure oder 
»Filetguipure« nennt, ist ein schwacher Ausläufer dieser 
herrlichen Arbeit, die, aus Gold, Silber und Seide ge 
fertigt, als unnachahmlich reiche und edle Zier für die 
Porträts Van Dycks charakteristisch ist. Seltsam genug 
mutet in der nüchternen Gegenwart diese Mode für die 
Männerwelt an, die einzuhalten in der Zeit der 
»Precieuses« unumgänglich war. Die Köpfe ernster 
Krieger erscheinen auf alten Bildern spitzenumrahmt 
und zartes Gewebe fällt auf die Hand, die trotzdem stark 
und willcnskräftig den Degenknauf umspannte. Welcher 
Gegensatz zu dem gesucht schlichten und aller Anmut 
entbehrenden Wesen heutiger Männertracht! Doch wer 
die Physiognomien der verschiedenen Zeiten aufmerksam 
studiert, wird auch durch anscheinend geringfügige Dinge 
über ihren wahren Charakter belehrt. Jene Männer aus 
ernsten, oft blutig ernsten Epochen, die für ihren Anzug 
mit Kennerblick schöne Spitzen wählten, trugen nicht nur 
äußerlich vornehmen Schmuck, sondern ein Instinkt der 
Schönheit gab ihnen trotz aller Rauheit und Unvoll 
kommenheit damaliger Kultur auch moralisch ein vor 
nehmes Gepräge. 
Gelassenheit, Würde, schwärmerische Zärtlichkeit, 
Treue in Liebe und Freundschaft, endlich die schöne 
Tugend, ein edler Feind zu sein, waren Vorzüge der 
Menschen aus den Zeiten von Spitzenkragen und Man 
schetten. Der Sinn für äußere Schönheit ist oft mit einem 
Sinn für gewisse innere Schönheiten gepaart. 
Nicht unerfreulich als Zeichen der Zeit ist das all 
mählich wieder erwachende Interesse an der Kunst, 
Spitzen zu verfertigen und die Freude, sie wieder zu 
tragen, nachdem eine philisterhafte Epoche auch dieses 
kleine Kunstwerk vergessen hatte. Viele Schätze aus 
alter Zeit gingen im 19. Jahrhundert verloren, und viele 
Frauen rasteten müßig und fanden keine Gelegenheit, ihre 
geschickten Finger in sogenannter praktischer Tätigkeit 
zu beschäftigen. In Venedig, dem historischen Ausgangs 
punkte der Spitzenkunst, ist der Belebungsversuch er 
folgreich ausgefallen. Unter Gesang und Scherz sieht 
man in Burano die zierlichen Mädchen an der zier 
lichen Arbeit, den braunen Nacken mit den flatternden 
Härchen, die bald dunkel, bald goldig gekräuselt sind, 
graziös vornübergebeugt, die braunen Fingerchen in leb 
haftem, tätigem Spiel zwischen weißen Fäden, klöppelnd, 
netzend, kunstvoll verschlingen. Und da sieht man Sterne 
entstehen, Blumengewinde, strenge und neckische 
Arabesken in ewig reizvoller Abwechslung, bestimmt 
schillernde prunkvolle Stoffe zart zu verschleiern und 
dem Gewände schöner Frauen die Weihe eines Kunst 
werkes zu geben.
	        
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