Nr. 12
Internationale Sammler-Zeitung.
Seite 185
Satzung der Deutschen Bücherei wird außerdem an Beiträge
des Deutschen Reiches und anderer Staaten, Gemeinden,
Körperschaften und Privatpersonen gedacht, auch an aufge
sammelte Fonds und Stiftungen.
Soviel über die Entstehungsgeschichte der Deutschen
Bücherei, ihre Organisation und ihre Einrichtungen. Im An
schlüsse daran möchte ich mir noch ein paar kritische Be
merkungen erlauben. Da erhebt sich nun zunächst die Frage:
ist es überhaupt nötig, verlohnt es sich der Mühe, das deutsche
Schrifttum in dieser Vollständigkeit zu sammeln? Die voll
ständige Sammlung der deutschen literarischen Produktion ist
in der Tat ein wichtiges, erstrebenswertes Ziel. Mit Recht hat
inan gesagt, daß die literarische Produktion einer Zeit oder einer
Nation ihr geistiges Gewissen geworden ist. Die wissenschaft
lichen und literarischen Werke sind die zuverlässigsten Zeugen
für das geistige Leben eines Volkes, und die von ihm erworbene
■Bildung. Deshalb müssen die schriftstellerischen Werke der
heutigen Generation als Dokumente ihrer Anschauungen und Be
strebungen kommenden Geschlechtern überliefert werden. Da
mit wird zugleich auch einer Reihe praktischer Zwecke genügt.
Wer will sich vermessen, schon heute zu sagen, welche
Schriften für die Wissenschaft künftiger Zeiten wertlos sein
werden? Die Anschauungen der einzelnen Perioden sind zu
verschieden, und ein Buch kann später aus einem Grunde
wichtig 'werden, an den heute noch niemand zu denken ver
mag. Namentlich gilt dies von der belletristischen Literatur,
dern Stiefkind der Bibliotheken. Wird alles, was in Deutschland
an Büchern erscheint, in der Deutschen Bücherei gesammelt,
so wird auch der jetzige Zustand, daß in Sachsen und einer
Reihe kleinerer Staaten keine Pflichtexemplare bestehen,
einigermaßen erträglich.
In der öffentlichen Erörterung ist wiederholt behauptet
worden, daß bei einer Sammlung der deutschen National-
literatur, die mit dem Jahre 1913 anhebt, viele Jahre vergehen
würden, ehe sie einen gewissen Gebrauchswert erlangt. Ich
kann mich dieser Ansicht nicht anschließen, wobei ich ganz
davon absehe, daß der Deutschen Bücherei in den nächsten
Jahren voraussichtlich noch große Massen älterer deutscher
Literatur zufließen werden. Wichtige ältere Werke werden in
großer Zahl neu gedruckt. Vor allen Dingen darf aber nicht
vergessen werden, daß gerade die neuesten Werke in allen
Bibliotheken am stärksten begehrt und benützt werden. Auch
für den wissenschaftlichen Forscher ist im allgemeinen di;
Arbeit seiner Zeitgenossen das Wichtigste, wichtiger als die
Arbeit früherer Epochen. Auch die vielen Zeitschriften, die in der
Deutschen Bücherei zu finden sein werden, dürften zahlreiche
Leser finden.
Den größten Vorteil wird die Königliche Bibliothek in
Berlin von der Deutschen Bücherei haben. Der Vermehrungs-
ionds dieser Bibliothek ist jetzt um 83.000 Mark erhöht worden,
so daß er fortan fast 310.000 Mark jährlich beträgt. Die Ein
bände allein werden jährlich gegen 90.000 Mark kosten. Für
Bücherkäufe sind 172.000 Mark ausgesetzt. Dieser scheinbare
Reichtum bekommt aber ein anderes Gesicht, wenn man in
Betracht zieht, daß die Königliche Bibliothek, ähnlich wie die
Deutsche Bücherei die gesamte deutsche Bticherproduktiou
aufnehmen soll. Zahlreiche Zeitschriften und Serienwerke, die
neu angeschafft worden, sind nach rückwärts zu ergänzen. Auch
die ausländische Literatur, besonders auf dem Gebiete der
Technik, verlangt erheblich höhere Mittel. Unter diesen Um
ständen bleibt für antiquarische Ankäufe nur ein verhältnis
mäßig geringfügiger Betrag übrig. Die Königliche Bibliothek
hat also allen Grund, mit ihren Mitteln hauszuhalten und so
sparsam wie möglich zu wirtschaften. Sie fühlt sich durchaus
nicht in der Rolle des Milliardärs, der über ungezählte Summen
verfügt. Wenn jetzt die Deutsche Bücherei das Ziel verfolgt,
alle deutschen Bücher, auch die geringsten und unbedeutendsten
zu sammeln, so ist die Königliche Bibliothek in Berlin in der
Lage, sich dadurch zu entlasten und so nicht nur Anschaffungs
kesten, sondern auch Katalogisierungsarbeit zu ersparen. Gewiß
wird sie künftig alles anschaffen, was im eigentlichen Sinne zur
deutschen Literatur gehört. Aber die sogenannte kleine und
minderwertige Literatur, wie Schulbücher und gewisse Er
bauungsbücher, wird sie nicht jin absoluter Vollzähligkeit
sammeln; es genügt, wenn dies an einer Stelle in Deutschland
geschieht. Auch die amtlichen Drucksorten der außerpreußischen
Staaten werden in Berlin nicht sämtlich aufbewahrt zu wer
den brauchen. Ebenso wenig besteht die Absicht, die Privat-
dtucke, namentlich die Vereinsschriften, in so großem Um
fange zu sammeln, wie dies für die Deutsche Bücherei in Aus
sicht genommen wird. Die Königliche Bibliothek in Berlin be
trachtet die Deutsche Bücherei also keineswegs als ein un
bequemes Konkurrenzunternehmen. Die Deutsche Bücherei, bei
der der Archivcharakter in erster Linie steht, ist vielmehr nach
ihren Zwecken und Zielen eine Anstalt wesentlich anderer Art.
Beide, die Königliche Bibliothek und die Deutsche Bücherei,
ergänzen sich in der glücklichsten Weise.
Bei der Errichtung der Deutschen Bücherei ist unter
anderem der ausgesprochene Zweck verfolgt worden, Leipzig
als Vorort des deutschen Buchhandels zu stützen, durch eine
neue, große Anstalt des Börsenvereines den Buchhandel ge
wissermaßen in Leipzig zu verankern. Das ist wohl ein Haupt
beweggrund für den sächsischen Staat und die Stadt Leipzig
gewesen, so große Summen zu bewilligen. Es fragt sich, ob und
wieweit jener Zweck erreicht werden wird. Bis vor kurzem
hatte Leipzig auf allen Gebieten des deutschen Buchhandels
die Führung. Der Leipziger Verlag wurde von dem keiner
anderen Stadt in Deutschland übertroffen. Dort allein sind die
großen. Import- und Exportgeschäfte. Der Leipziger Kommis
sionshandel ist so bedeutend, daß die anderen Kommissions
plätze daneben kaum in Betracht kommen. Ein Barsortiment
gibt es eigentlich nur in Leipzig. Auch das Leipziger Buch
gewerbe stand früher an der Spitze, und ist auch heute noch
dem Berliner in mancher Beziehung überlegen. Woher also die
Besorgnis, daß der Buchhandel von Leipzig abwandern
könnte? Es ist das Aufsteigen des Berliner Buchhandels, das
den Leipzigern Besorgnisse macht. Was den buchhändlerischen
Zwischenhandel, also das Kommissionsgeschäft und das Bar-
sortiment betrifft, so halte ich diese Besorgnisse für unbegründet.
Die Ueberlegenheit Leipzigs auf diesen Gebieten beruht nach
meiner Ansicht vor allem auf seiner geographischen Lage. Es
liegt im Herzen Deutschlands und hat bequeme Verbindungen
nach Berlin, München, Stuttgart und Dresden, nach Breslau,
Hamburg, Köln und Frankfurt. Wie Steht es aber mit dem
Verlag? Wir besitzen jetzt eine genauere Statistik der deutschen
Bücherproduktion. Danach hat Berlin im Jahre 1908 verlegt:
5600 Werke mit 74.000 Bogen, die einen Ladenpreis von 21.700
Mark hatten. Leipzig verlegte in derselben Zeit 5200 Werke mit
66.000 Bogen zu einem Ladenpreise von 22.300 Mark. Berlin
steht also etwas voran, was die Zahl der Werke und der Bogen,
Leipzig dagegen, was die Summe der Ladenpreise betrifft. Ganz
anders stellt sich das Verhältnis bei den Zeitschriften. In
Berlin erschienen 1380 Zeitschriften für 12.600 Mark, in Leipzig
dagegen nur 600 Zeitschriften für 6090 Mark. Es zeigt sich hier,
daß Berlin in viel höherem Maße als Leipzig ein Brennpunkt
des geistigen Lebens und jeder gewerblichen Tätigkeit ist.
Rechnet man Bücher und Zeitschriften durcheinander, so er
geben sich für Berlin 7000 Verlagsartikel im Preise von
34.300 Mark, für Leipzig nur 5800 Verlagsartikel für 28.400
Mark. Von der gesamten Bücherproduktion des Deutschen
Reiches macht die Berliner 237 Prozent, die Leipziger nur
19 8 Prozent aus. An dem Gesamtpreise der deutschen Bücher
produktion ist der Berliner Verlag mit 28'4 Prozent, der
Leipziger mit 23’5 Prozent beteiligt. Mit anderen Worten: der
Berliner Verlag hat heute schon den Leipziger überflügelt. Aller
Wahrscheinlichkeit nach wird diese Entwicklung weiter fort
schreiten. Sie wird auch durch die Gründung der Deutschen
Bücherei nicht aufgehalten werden.
Man hat öfter gefragt, ob denn die großen Aufwendungen,
die für die Deutsche Bücherei gemacht werden, in einem
rechten Verhältnis stehen zu dem Nutzen, den sie stiftet. Diese