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Internationale S a m m 1 e r - Z e i t u n g.
plastischen Wirkung der übermenschlichen Gestalten
gleichzukommen sich bemühte. Das seitwärts herab
gesenkte Haupt des Erlösers sowie der ganze vordere
Körperteil desselben befindet sich im tiefen Schatten.
Das Antlitz Christi zeigt edlen, wehmütig milden Aus
druck. Ebenso ist die Darstellung Gottvaters, der den
gekreuzigten Erlöser in den Armen hält, in der Art, wie
er sein an die Antike mahnendes, ideal abgeformtes,
umstrahltes Haupt über den Leichnam seines innigst-
geliebten Sohnes liebevoll und huldreich herabsenkt, tief
ergreifend, hoheitsvoll im Ausdruck, groß in den Formen,
erhaben in der Auffassung, majestätisch im mächtigen
Faltenwurf drapierter Gewandung und erinnert an die
gleich tiefsinnige Auffassung Dürers in seinem Ge
mälde der Dreieinigkeit in der kaiserlichen Gemälde
galerie in Wien.
In holdseliger Anmut erscheinen die in den Wolken
schwebenden Engelgestalten. Die Komposition ist
schwungvoll, großartig aufgefaßt und dramatisch
lebendig durchgeführt. Die Stimmung des Ganzen ist
höchst feierlich und tief ergreifend.
Die Ausfüllung des Raumes ist vortrefflich.
Die Zeichnung ist voll Kraft und Energie, die Ver
hältnisse vom vollendeten Ebenmaße; die Modellierung
erscheint plastisch, aber nicht überall gleichmäßig durch
gebildet.
Die Farbe ist im Lichte leuchtend, klar, von goldig
leuchtendem Schimmer im Fleischtone, in den Schatten
tief, kräftig und gesättigt. Die Gesamtwirkung der Farbe
warm, harmonisch, prächtig.
So wird beim heiligen Nikolaus das Blau des oberen
Teiles des Mantels mit dem dunklen Rot der sichtbaren
Rückseite desselben durch das Goldbraun des breiten
Saumes angenehm vermittelt. Dagegen ward der starke
Kontrast zwischen dem dunklen Rot des Mantels und
dem glänzenden Weiß der Alba durch den tiefen grauen
Schatten, den der erstere auf die letztere wirft, abge
schwächt und gemildert. Andererseits stimmt das Blau
des Mantels mit dem gelben Lichtschein des Hinter
grundes harmonisch überein. Von diesem duftigen gelben
Schimmer hebt sich dann das dunkle Braun des be
schatteten Körpers des Heilands durch wirkungsvollen
Kontrast ab. Dieses letztere Braun geht sanft in den
goldig leuchtenden Fleischton der im Lichte befindlichen
Körperteile Christi über, um schließlich wieder in ein
Gelbbraun des Mantels und ein blasses Braunrot des Ge
wandes Gottvaters auszuklingen.
Auch das gesättigte Rot der Ornate der beiden
Schutzpatrone wird harmonisch kräftig vom grünlich
blauen Hintergründe gesondert und abgehoben, während
oben rechts der gelblichgrüne Grund mit dem warmen
Fleischtone der in den Wolken schwebenden Engel einen
reizenden Farbenwechsel bildet und effektvoll belebt
wird. Die Pinselführung ist leicht, flüssig und breit, nur
die Verbindung der einzelnen mitunter mangelhaft, wie
überhaupt die Ausführung des ganzen Gemäldes wenig
durchgebildet, zum Teil flüchtig erscheint, was aber eine
charakteristische Eigentümlichkeit vieler unter den sehr
zahlreich vorhandenen Werken Tintorettos ist. Denn
Tintoretto arbeitete mit fieberhafter Hast, deren Ur
sache zuin Teile in seinem feurigen, leidenschaftlichen
Temperamente, vornehmlich aber in seinem rastlosen,
ideenreichen Geiste, in seiner unermeßlichen Phantasie
und in dem nach Betätigung derselben mächtig ringenden
Drange, keineswegs aber in einer mangelhaften tech
nischen Ausbildung zu suchen ist. Denn schon in seinen
jungen Jahren erwarb er sieh eine solche Herrschaft
über alle Ausdrucksmittel seiner Kunst, wie sie vielleicht
von keinem früheren oder späteren Meister erreicht
worden ist. So sind viele seiner Werke nur flüchtige Be
tätigungen seiner unerschöpflichen Ideen, seiner schöpfe
rischen Kraft. Man kann ihm aber nicht den Vorwurf der
Zügellosigkeit, des Mangels an Studien oder gar der
Roheit der Empfindung machen; denn er selbst pflegte
zu sagen, daß das Studium der Malerei mühevoll sei und
die Schwierigkeiten um so größer erscheinen, je mehr
man sich vertiefe. »Schöne Farben,« meinte er, »seien in
den Läden des Rialto zu kaufen, aber die Zeichnung sei
nur mit viel Arbeit und langem Nachtwachen aus dem
Schrein des Geistes herauszuziehen; darum ver
stünden und üben sie auch so wenige aus.«
Als einige Schwätzer den Meister nach Vollendung
seines großen Werkes. »Das Paradies« in dem großen
Ratsaale im Dogenpalaste zu Venedig fragten, warum er
in der Ausführung seiner Werke nicht so sorgfältig sei,
wie Bellini, Titian und andere alte Meister es gewesen,
antwortete er: »Weil jene Alten nicht so viele hatten,
die ihnen den Kopf zerbrachen.«
Mächtig wirkend ist die Verteilung von Licht und
Schatten, in deren Beherrschung er ein großer Meister
war, und das geistvolle Helldunkel, welches viele seiner
Werke ausstrahlen. Insbesondere effektvoll zeigt sich
ersteres am Körper des Heilands. Die im Lichte sich dar
stellenden Körperteile strahlen einen goldig leuchtenden
Schimmer aus, der sich dann in die beschatteten Partien
sanft verliert.
Die an den vorderen Körperteilen des seitlich dar
gestellten Leichnams Christi befindlichen und von den
Konturen desselben nach außen begrenzten Schatten
partien heben sich von dem gelben Lichtschein, der den
Körper Christi umgibt, schroff ab, wodurch das
mächtige Hervortreten der schön gebildeten Gestalt des
Gekreuzigten bewirkt wird. Dieser Lichtschein ergießt
sich dann über die Gestalt des heiligen Nikolaus, teilt
sich auch den beiden anderen unten knienden Schutz
heiligen mit und bildet zugleich das verbindende, die Ein
heit der Darstellung und Handlung erklärende Element.
Dieser die Handlung einheitlich zu einem Ganzen
verbindenden Lichtwirkung bediente sich der Meister
gerne, ja, sie bildet oft einen solchen Faktor in seinen
Werken, daß er ihr alles andere unterordnet. Zugleich
tritt dieses Licht in vielen seiner Schöpfungen in der
Eigenschaft des Raumbildens, der Luftperspektive in
großem Maße auf.
Während nämlich bei den früheren Meistern der
italienischen Kunst seit Giotto entweder die plastische
oder die koloristische Richtung vorwiegend hervor
traten, suchte Tintoretto diese beiden Richtungen zu ver
einigen, und dies gelang ihm durch die Aufnahme von
zwei anderen Prinzipien, der Raumwirkung und des
Lichtes. So wurde der einzelnen Gestalten Plastik der
einheitlichen Raumwirkung und die einzelne Farbe der
einheitlichen Lichtwirkung untergeordnet.
Daraus entwickelte sich ein neuer, freier, großer
Stil, der die besonderen Vorzüge aller früheren Meister
in sich vereinigt, dabei selbständig und harmonisch aus
bildet.
Die perspektivische Raumwirkung in den Werken
der Meister des 15. Jahrhunderts von Massacio bis
Mantegna, das Helldunkel Lionardos und Correggios, die
Lichtwirkung Gentile Bellinis und Carpaccios, alle
diese besonderen Vorzüge fanden bei ihm ihre Voll
endung und einheitliche Verschmelzung, ohne dadurch
einzeln wesentlich am besonderen Werte zu verlieren.
Das aus der Verschmelzung aller dieser Vorzüge Ge
wonnene war aber eine fast unbeschränkte Freiheit der
dramatischen Darstellungsweisc seiner Aufgaben.