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Internationale S a rn m 1 e r - Z e : t u n g.
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Insbesondere war ihm durch die einheitliche Licht
wirkung die Möglichkeit geboten, an, Stelle der bis dahin
üblichen reliefartigen eine in die Tiefe erweiterte Dar-
stellungsweise, treten zu lassen und die Trennung des
Vordergrundes von dem Hintergründe gleichsam aufzu
heben. Diesen in die Tiefe erweiterten und belebten
Raum brachte er in Beziehung zur Handlung und be
wirkte damit eine Einheit von Raum und Vorgang, mit
einem Worte eine szenische Darstellungsweise. Dadurch
wurde den einzelnen Figuren der weiteste Spielraum in
der Bewegung, eine Fülle von verschiedenen Motiven
der Handlung, kurz, dem Meister die freieste plastische
Gestaltungsweise ermöglicht.
Die Betätigung der Seele dieser mannigfach be
lebten freien Figuren weiß er in Beziehung auf den
Hauptvorgang der Darstellung zu bringen und so die
dramatische Handlung zu verdeutlichen.
Dieser in den handelnden Gestalten sich betätigende
Seelenausdruck ist aber keineswegs ein äußerlicher,
gemachter, unwahrer, sondern er entspringt aus dem
Innersten der am dramatischen Vorgänge unmittelbar
Beteiligten, gleich der Handlung in den besten modernen
und antiken Dramen, die den Beschauer so ergreifen, ■
daß er sich momentan als Augenzeuge eines wirklichen
Vorganges dünkt.
Und doch gibt es vielleicht keinen großen Meister
der bildenden Künste, über den so widersprechende Ur
teile gefällt worden wären wie über Tintoretto. Wäh
rend sich die einen in maßlosen Lobeserhebungen über
seine Werke ergehen, sind die anderen voll herben
Tadels und lassen nicht einmal seinen vielen unleug
baren Vorzügen, wie der dramatisch lebendigen Auf
fassung, dem Phantasiereichtum, der bedeutenden
malerischen Erfindungsgabe, der oft tüchtigen Zeich
nung, überhaupt seiner allseitigen Begabung, Gerechtig
keit widerfahren. Insbesondere wird ihm Flüchtigkeit,
krampfhafte Hast, Zügellosigkeit der Phantasie, ja selbst
eine handwerksmäßige , Praxis und von dem Kunst
forscher Jakob Burkhart sogar Roheit und Barbarei
der Empfindung, Verachtung aller höheren Auffassung
und dergleichen zur Last gelegt.
Dieses traditionell befestigte Urteil, welches den
Meister als eine Erscheinung der Verfallszeit der italieni
schen Malerei kennzeichnet, vermochten die Stimmen
begeisterter Verehrer, welche sich unter den neueren
Künstlern erhoben, nur wenig umzuändern und selbst
der englische Aesthetiker John Ruskin, der dem
Meister eine höhere Würdigung zollte, fand keine Be
achtung. Erst in neuester Zeit hat Henri T o d e in der von
ihm verfaßten und unter den Künstlermonographien
erschienenen Abhandlung über Tintoretto seine Ver
dienste um die Malerei voll gewürdigt, indem er ihn in
Bezug auf Kraft der Seele, die Größe und Tiefe des
Geistes, die Erhabenheit der Erfindung und Gewalt der
Formensprache dem Michelangelo gleichzustellen sucht
und ihn überhaupt als einen der größten Genies der
bildenden Künste aller Zeiten bezeichnet. Dann bemüht
er sich an einzelnen Werken nachzuweisen, daß alles
»Seltsame«, scheinbar Maßlose, was V a s a r i irrtüm
licherweise als Flüchtigkeit, Zügellosigkeit, Bravour
bezeichnet, ebensowenig wie bei Michelangelo das
Uebermäßige, als ein Anzeichen des Verfalles der Kunst
zu betrachten, sondern vielmehr als eine Aeußerung des
ungeheuren Dranges der Gestaltungskraft, die bis an
die äußerste Grenze reicht, aufzufassen sei, und daß
dieses virtuose Können immer nur einem rein künstleri
schen Ideal, einer höheren seelischen und geistigen Auf
fassung des Vorwurfes dienstbar gemacht werde, und
daß das technische Vermögen nur ein Mittel zu einem
höheren Zwecke, nicht Zweck an sich sei.
Ferner behauptet der Verfasser, daß zur richtigen
Würdigung der Ideen J'intorettos eine ebenso große An
spannung aller seelischen Kräfte erforderlich sei wie bei
der Betrachtung und Beurteilung der Werke Michel
angelos.
Das Mangelhafte im Kolorit entschuldigte J’ode mit
Tintorettos Malweise, die darin bestand, daß er seine
Malleinwand nicht zu grundieren pflegte und die Farben,
ohne eine Untermalung zu geben, aufgetragen habe, was
ein schnelles Nachdunkeln der tieferen Töne und eine
Veränderung der Farbe zur Folge hatte. Nicht minder
sei die feuchte Seeluft Venedigs vom nachteiligen Ein
fluß auf manche Farben, besonders das Ultramarinblau
gewesen, wie auch nicht minder die alles zerstörendt
Zeit. Was ferner die technische Ausführung seiner Ge
mälde anbelangt, so versucht Tode die Flüchtigkeit der
selben mit der Neigung Tintorettos zur Freskomalerei,
die seinem auf das Große, Monumentale, Einfache ge
richteten Sinne mehr entsprach und den Charakter
seiner Darstellungsweise bestimmte, zu erklären und
mit der Behauptung zu rechtfertigen, daß, wenngleich
sich der Meister der Wandmalerei wegen des ungünsti
gen Seeklimas nur vorübergehend widmen konnte,
dennoch der Geist und Stil der monumentalen Fresko
malerei in seinen Tafelgemälden nicht zu verkennen sei.
Den dem Meister zur Last gelegten Vorwurf, daß
er in seinen religiösen Darstellungen die bei den
anderen großen Malern im wesentlichen sich gleich
bleibende, typische Gestaltung Christi, Mariä und der
Heiligen nicht beibehält, sondern sie verschieden und
mannigfaltig darstellt, daß er ferner die von innen her
aus durchgebildete Charakteristik in der Physiognomie
als Vermittlerin des Seelenausdruckes vernachlässigt,
will der Verfasser mit der Behauptung entkräften, daß
der Meister die Seele und das Wesen seiner dar
gestellten Gestalten vorwiegend in die Bewegung des
ganzen Körpers hineinlegte, um damit eine große
packende Wirkung des Ganzen, analog dem Wesen der
antiken Tragödie zu erzielen.
Zugleich tritt bei Tintoretto eine ganz neue Auf
fassung der überlieferten Stoffe auf. Durch die Vernach
lässigung des von der Kirche traditionell vorgeschriebe
nen Typischen, menschlich Göttlichen in der Gestaltung
der Heiligen und durch die Rückkehr zum Ursprüng
lichen einer einfach natürlichen Lebensanschauung wird
nämlich die historisch religiöse Darstellung zur Legende,
eine unkirchliche und doch tief religiöse Kunst, wie bei
Michelangelo, der mit gleicher Freiheit christliche Ideen
behandelte, das historisch Beschränkte zum unbe
grenzten rein Natürlichen erweiterte und es zum allge
meinverständlichen Gemeingut aller Menschen machte.
So gelang es Tintoretto, durch die Nutzbarmachung der
Errungenschaften aller früheren Meister, der getrennten
Bestrebungen einzelner Gruppen derselben, durch Er
weiterung dieser Bestrebungen und endlich durch die
Vereinigung alles dessen zu einem einheitlichen Ganzen
etwas Eigenes, ganz Neues, eine solche Allseitigkeit
jener Vorzüge Umfassendes zu schaffen, wie wir sie an
seinen Werken bewundern, und so das angestrebte,
jedoch bis dahin in seinem ganzen Umfange und in
solcher Vollständigkeit noch nicht erreichte Ideal der
romanischen Renaissance zur Vollendung zu bringen.