Nr. 17
Internationale S a tn m 1 e r - Z e i t u n g.
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Eine Sammlung von Tonmodellen Michelangelos.
Michelangelo hat in dem Wunsche, die Spuren seiner |
Arbeit den Augen der Menschen zu entziehen, fast alle
seine Modelle selbst vernichtet; deshalb ist jeder Fund, j
der uns einen Blick in die Geheimnisse seiner Schöpfer -
Werkstatt gewährt, von größter Bedeutung, und die
schlecht erhaltenen Modelle, die man vor einigen Jahren
in Florenz entdeckte, erregten allgemeines Aufsehen in
der Kunstwelt. Wer möchte bei dieser ungemeinen Selten
heit erhaltener Michelangeloscher Modelle nun glauben,
daß sich in Deutschland, und zwar in Dresden, von 1
Sammlung des bekannten Kunstfreundes Paul v. Praun
(1548—1616), der in Bologna lebte und seit 1576 die
Kunstschätze sammelte, die dann seit 1616 als das unter
seinem Namen berühmte Kunstkabinett zur Zierde Nürn
bergs wurden. .Da er bei seinen Einkäufen von den besten
Künstlern beraten wurde und sehr sorgsam zuwege
ging, läßt sich schon aus dem guten Ruf dieses ersten
Erwerbers ein Schluß auf die Echtheit der Stücke ziehen,
die nicht allzu lange nach dem Tode ihres Schöpfers noch
recht wohl im Handel sein konnten. Daß damals Modelle
Fig. 16. Ward, The Birth of an Heir.
der modernen Forschung fast vergessen und wenig be
achtet, eine Sammlung ausgezeichneter Modeile des
Meisters befindet, die ein wunderbarer Zufall bis auf
unsere Zeit erhalten hat?
Der vorzügliche Biograph Michelangelos, Henry
Thod e, der seine langjährigen, in einem vielbändigen
Werk über den Meister niedergelcgten Studien nunmehr
zum Abschluß bringt, weist in einem Aufsatz nachdrück
lich auf diesen kostbaren Schatz hin, der nach seiner An
sicht die verdiente volle Würdigung noch nicht erhalten
hat. — Es handelt sich um die Tonmodelle, die Professor
Ernst Julius Hähnel in den Vierzigerjahren des
19. Jahrhunderts von dem Antiquar Oberstleutnant von
Qcmmingen in Nürnberg erwarb, und die er sowie
ihm befreundete Künstler, darunter Peter Cornelius,
in leidenschaftlicher Bewunderung für die wertvollsten
Werke seines 'bedeutenden Besitzers hielten. Die Stücke
stammen, wie bereits Hähnel richtig erkannte, aus der l
Michelangelos im bolognesischen Kunsthandel auf
tauchten, beweist die Tatsache, daß der ausgezeichnete
Bildhauer Alessandro Vittoria 1563 das Modell zum
linken Fuß des »Tages« in der Medici-Kapelle erwarb.
Da nach dem Tode Paul v. Prauns keine weiteren Er
werbungen für sein Kunstkabinett gemacht wurden,
müssen die Modelle alle von ihm erworben wmrden sein.
Die Sammlung, wie sie noch heute im Besitze der
Nachkommen Hälmels bewahrt wird, umfaßt Modelle zu
Statuen der Medici-Gräber, dann zu anderen be
kannten Statuen des Meisters, Studien nach der Antike
oder von antikisierendem Charakter und andere nicht
näher zu bestimmende Entwürfe. Diese »verschiedenen
Modelle« von Teilen des menschlichen Körpers, die von
Murr in seiner Beschreibung des Praunschen Kabinetts
verzeichnet, müssen mit wenigen Ausnahmen alle von
der gleichen Hand herrühren. Dafür sind nach Thode
1 übereinstimmende Eigentümlichkeiten der Technik be-