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Wir haben in dieser Erzählung unstreitig eine Erklärung vor uns,
mit welcher man die seltsamen Formen - halb Mensch und halb PHanze
- des Groteskenornamentes auf eine geschichtliche Basis setzen wollte.
Die Renaissance bildet das Groteskenornament in den mannigfaltig-
sten Formen und Gestaltungen weiter." In Verbindung mit Thier- und
Menscheniiguren, in Verbindung mit Masken, Inschrifttafeln u. a. tritt es
auf in den schönen Glasgemälden der Bibliothek in Florenz, welche dem
Giovanni da Udine zugeschrieben werden.
Hier macht sich das Groteskenornament zunächst in den Widdern mit
Fischschwänzen und in den geflügelten Hermen geltend, welche aus Blu-
menkelchen hervorwachsen. Etwas entwickelter sehen wir dieses Ornament
in Zeichnungen von Serlio, in welchen häufig der untere Theil von
Menscheniiguren in graziöse Pßanzenspiralen mit Blumen und Blättern
auswächst.
In ausgepräglester Weise tritt das Groteskenornament auf, wenn es
in möglichst freier und phantasievoller Behandlung die Thier- und Men-
schenform dem Pilanzenorganismus so einverleibt, dass beide mit einander
eine und dieselbe Structur und organische Entwickelung zeigen. Da wächst
der Blumenstengel in eine Blüthe aus mit menschlichem Gesicht oder' in
eine phantastische Thierform, da trennen von den Pilanzenstengeln sich
Zweige los, die im Allgemeinen den Charakter gewisser Thierbildungen
annehmen, im Besonderen aber dem Pf-lanzencharakter so Rechnung tragen,
dass eine völlig neue Erscheinung entsteht, eine pflanzliche Thierform mit
den bizarrsten und wunderlichsten Auswüchsen.
Der wunderbare Zauber der italienischen Arabeske ist wesentlich von
der gelungenen, dem Material so völlig entsprechenden Ausführung und
Composition abhängig. Ganz anders stellt sich dieselbe dar im Relief be-
handelt, ganz anders als Flachornament; in Marmor, Holz oder Metall
ausgeführt, hat das Relief wieder Eigenheiten und Schönheiten, die auf
das Material formbedingend zurückgreifen. Im Buchdruck, als Marmor- oder
Holzeinlage ist die italienische Flacharabeske unter sich wieder verschie-
den, aber stets auf möglichst feine und wahrhaft künstlerische Wirkung
berechnet.
Am schönsten und herrlichsten - wenn man überhaupt eine Scala
der schönen Darstellung aufstellen kann - repräsentirt sich die italienische
Reliefarabeske in Marmor. Die wunderbare Feinfühligkeit der italienischen
Bildner kommt hier zum vollendetsten Ausdruck. Die Arabeske gestaltet
sich in der feinen Abstufung von leichten und feinen Spiralen bis zum
fest und energisch vordringenden Blätter- und Blumenbüschel, zu einer
Art Musik, die in Piano und Forte abwechselnd zum stärksten Fortissimo
fortschreitend und in heiteren Accorden schließlich, wie im Nachhall der
Töne ersterbend ausklingt. Wesentlich wirkt hier auch der angenehme
Wechsel von Licht und Schatten mit und gerade durch diese Berechnung
unterscheidet sich diese Arabeske von der einer späteren Zeit.