Nr. 20
Internationale Sammler-Zeitung.
Seite 305
Boden, gefüllet mit Urväterhausrät, pflegen am Abend, da es
kühle wird, die Herren Härtel und Breitkopi Arm in Arm sich
zu ergehen, von des Tages Last und Hitze zu plaudern, hier eine
alte Scharteke anzublättern, dort eine Schieblade auszuziehen,
oder auch in der Ecke einen Ballen Druckpapier zu lupfen, um
zu sehen, ob nicht gar eine Portion von Goethes Neuen Liedern
oder Corona Schröters 25 Liedern sich darin verberge, die man
denn schnell in eitel Gold könne verwandeln. Eines solchen
Abends geschah es, daß die beiden Freunde ein verstaubtes
Schublädchen und darinnen die Matern einer Schrift fanden,
dergleichen sie nie gesehen zu haben sich entsannen. Es war
das die Schrift, in der du dieses liesest, mein Bibliophile. Sie
hat ein sonderliches Wesen, diese Schrift: nicht nur ist sie über
die Maßen schön, sondern auch stellet sie den ersten Versuch dar.
die überlieferten Formen der deutschen Schrift fortzuentwickeln
und dem neuen Geschmacke anzubilden, wie dies in unseren
Tagen die Herren Ehmcke, Behrens, Weiß und Tiemann —
um ihrer nur einige zu nennen — sich vorgesetzt haben. Ist’s
am Ende gar Friedrich Unger, glorreichen Angedenkens, selbst
gewesen, der damals mit der ehrwürdigen Schwabacher Schrift
das gleiche versucht, was er zu immerwährendem Ruhm kurz
zuvor mit der Fraktur getan? Ach, wärest du doch, Meister
Unger, der du so schöne Lettern geschnitten und so herrliche
Druckwerke vollbracht, wärest du doch bei deinem Leisten, oder
besser, bei deinem Winkelhaken geblieben, und hättest den Ver
legern überlassen, ihre Haut zum Markte zu tragen, statt selbst
es zu tun! Dann hättest du nicht aufs Gericht zu gehen ge
braucht, um dich zu offenbaren, hättest nicht nötig gehabt zu
sehen,- wie das Papier, das du fiir dich selbst so schön bedruckt,
wieder im Holländer umgetrieben wäre, der Justizrat Bitkow
hätte nicht bei einem Berliner Spezereiwarcnhändler um zehn
Silbergroschen die Briefe Goethes, Schillers und Wielands an
dich erstanden, die auf der Ladentafel lagen, um zu Verkaufs
tüten gemißhandelt zu werden, und die Ungerschen Typen wären
nicht nach langer Irrfahrt außer Landes nach Haarlem gewandert
zum Mynheer Enschede. —
Da nun die auf dem Boden lustwandelnden Freunde mit
ihren schweifenden Gedanken bis zu Mynheer Enschede ge
langt waren, kam ihnen die Erleuchtung, daß, wenn einer, Myn
heer Enschede (der alles weiß, der sogar aufs genaueste weiß,
daß nicht der vermaledeite Gutenberg die edle Kunst des
Drückens erfunden, sondern sein Landsmann Coster, der stolz
wie eben nur ein Holländer vor der Groote Kerk zur Haarlem
steht) wissen müßte, was an den geheimnisvollen Lettern sei.
Und sie schrieben einen Brief an Mynheer Enschede und sandten
ihm ein Bild, das sie von der wiedergefundenen Schrift hatten
machen lassen; aber auch Mynheer Enschede wußte nicht, wann
und wie sie zur Welt gekommen.
Nun aber führte der Zufall in eben dem
Augenblick, da Mynheer Enschede in seinem Museum
jenen Brief studierte, den Dr. Insulanus zu ihm, und
dieser entsann sich alsbald eines Buches seiner Bibliothek, das
ihm, weil in der gleichen, unbekannten Schrift gedruckt, längst
merkwürdig geworden. Es waren die »Palingenesien« des
Meisters Jean Paul, und die Herren Härtel und Breitkopf waren
froh, da der Dr. Insulanus sie ihnen brachte, und man be
trachtete mitsammen das Buch, innen und außen. Und da ge
schah es nun, als ob ein Wunsiedeler Chirurgus, der die Men
schen, wie noch heutigen Tages an seinem Schild zu lesen, von
allem befreit, von Zähnen, Haar, Bart, Blut und sonstigem, einen
Zahn anbohret: er meinet, es sei ein kleines Löchlein, und plötz
lich ist er mit seinem Marterzeug mitten drinnen — wie du,
lieber Leser, nun in der Antwort auf deine Fragen! Denn da
man das Buch aufschlug, fand man, daß die Ahnen der Herren
Härtel und Breitkopf dem Meister Jean Paul die Ehre angetan,
aus den Palingenesien der alten gotischen Schrift, die nun im
Jahre 1913 ihre Palingenesie erlebet, seine Palingenesien, die
freilich seitdem Fossilien geworden, zu allererst zu drucken.«
Chronik.
Autographen.
(Eine Autographensammlung im Oester-
reichischen Heeresmuse u m.) Erzherzog F r i e d-
r i c h hat als Protektor des Heeresmuseums die Anregung ge
geben. die authentischen Unterschriften militärischer Persön
lichkeiten in leitenden Stellungen zu sammeln. Die Sichtung und
Bereithaltung des gewonnenen Materiales für künftige Be
nützung wird das Heeresmuseum durchführen, dem die im
Kriegsministerium und bei den Korpskomrnandos zu sammeln
den Autogramme einzusenden sein werden. Für die Sammlung
kommen zunächst die Unterschriften der Generale, Obersten
und Gleichgestellten des aktiven und nichtaktiven Standes,
dann der gegenwärtigen und früheren Korpsgeneralstabschefs
in Betracht. Die Anlage dieser Sammlung hat in der Weise zu
geschehen, daß die Korpskommandos die ihnen zugänglichen
Autogramme der bczcichneten Kategorien sammeln. Es handelt
sich dabei hauptsächlich um die authentische und originale
Form der Unterschriften. Schon gegebene Unterschriften, die
aus etwa zur Skartierung bestimmten Akten zur Verfügung
stehen, sind den für die Sammlung eigens produzierten Unter
schriften vorzuziehen, weil in diesen mancher charakteristische
Zug verloren gehen könnte. Die bis Ende April 1914 erstange
legten Autographensammlungen sind dem Heeresmuseum an
fangs Mai, die seit der letzten Abgabe gesammelten Auto
gramme alljährlich am 15. Jänner zur Verfügung zu stellen.
(Ein Geschenk an die Berliner Stadt
bibliothek.) Prof. Dr. Rudolf Ge n ee hat der Berliner
Stadtbibliothek wertvolle Briefe von Fr. Bodenstedt, Bogumil
Dawison, Emil Devrient, Gutzkow, Karl v. Holtei, Josef Joachim,
Ernst Kossak, K- Freih. v. Perfall, Franz Duncker, Georg Ebers,
Theodor Fontane, Gustav Freytag, Marie Seebach, Spielhagen,
K. Maria v. Weber, M. Wesendonck, Ernst Wiehert, Ad. Wil-
brandt, E. v. Wildenbruch u. a. überwiesen. Auch vom Herzog
Ernst II. von Sachsen-Koburg-Gotha hat Genee teils selbst
geschriebene, teils nach Diktat verfaßte Anweisungen des
Fürsten der Bibliothek dediziert.
Bibliophilie.
(Die Bibliothek einer Bibliophilen auf der
Buchgewerbeausstellung.) Die Gruppe »Biblio
philie« der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und
Graphik, Leipzig 1914, wird auch die Bibliothek einer Biblio
philen zeigen, die noch dadurch an Interesse gewinnt, daß sie
nicht eine für Ausstellungszwecke besorgte Zusammenstellung,
sondern »echt« ist. Die bekannte rheinische Büchersammlerin,
Frau Ida Schoeller (Diiren) wird einen großen Teil ihrer
wertvollen Bücherei mit der dazugehörigen Einrichtung aus
stellen. Der Bibliotheksraum, der erst nach Schluß der Buch
gewerbeausstellung seiner eigentlichen Bestimmung im Hause
der Sammlerin übergeben wird, ist vom Regierungsbaumeister
Wilhelm Schleicher (Düsseldorf) geschaffen, dem Er
bauer der Düsseldorfer Kreuzkirche und vieler besonders durch
schöne Innenräume ausgezeichneter Privathäuser im Rhein
lande. Der Raum wird mit alten Möbeln aus dem 18. Jahr
hundert und dazu passend geschnitzten Schränken ausgestattet,
und Frau Schoeller wird hier die besten Stücke ihrer Sammlung
»Die Kunst im deutschen Buche des 15. bis 18. Jahrhunderts«