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Internationale Sammler -Zeitung.
I' 21
Aus den Geheimnissen der Makulatur.
Von Paul Tausig (Wien).
In unterirdischen Kellergewölben, in versteckten
Winkeln des älteren und ganz alten Wien, mag man bei
den Händlern von altem Papier, makulierten Büchern,
vergilbten Zcitungsstößcn umherwandern, wenn man
einmal die »Friedhöfe der Literatur« besuchen will. Staub,
Moder und Stickluft darf man freilich dabei nicht
scheuen, doch der Bücherwurm windet sich leichten
Herzens durch solche Hemmnisse auf seiner Ent
deckungsreise, wenn er nur auch Belohnung für seine
Razzia findet. »Im tiefen Keller sitz’ ich hier und stöbere
im Stampfpapier« — so kann der Don Juan alter Schar
teken singen, um sich beim Forschen nach bedruckten
Schätzen einigermaßen zu trösten. Es muß eigentlich
wundernehmen, daß über diese Makulaturhandlungen
noch nirgends geschrieben wurde, denn man fördert
dort oft reizvollere und seltenere Funde zutage, als in
der Makulatur gesunken sind, dann mag man schon ein
Blättchen oder ein Büchlein erwischen, das durch seine
Rarität erfreut, oder gar auch Manuskripte zu Gesicht be
kommen, die von großem Werte sind.
Zufall! Mit diesem Begleiter muß man ausgerüstet
sein. Wenn ich an diese Zufälle bei meinen Funden denke,
so fällt mir ein, daß ich einstmals unter einem ganzen
Berge — »es sind sechs Zentner«, sagte der papierene
Makulatur-Cerberus — eine Erstausgabe der »Räuber«
fand; wie sanft: sah mich der »In tyrannos« benannte
Löwe auf dem Titelblatte des ausgezeichnet erhaltenen
Buches an! Das also ist die Reise von der Mannheimer
Intendantur hinab zum Orkus, dachte ich mir und legte
das Bändchen ruhig beiseite. Denn: Wiewohl ja die
Makulaturhändlcr ihre geistige Ware, die sic verzapfen,
per Kilo verkaufen, und für ein solches Kilo, ob nun
Fig. 2. Waldmüller: Nikolo.
»wohlassortierten« Lagern der Buchhandlungen und Anti
quariate. Und von meinen Streifzügen, die ich nun schon
an die zehn Jahre in diesen Schlupfhöhlen für Biblio
phile unternehme, und von den Ueberraschungcti, die
mir zuteil wurden, will ich nun einiges erzählen.
Rings um den Stephansturm sind so einige alte
»bouquiniers«, wie sie die Pariser nennen, bei denen ich
Stammgast bin. Man steigt da eine steile und beschwer
liche Treppe anderthalb Stock tief unter die Erde und
das Tageslicht findet man unten durch eine Petroleum
lampe von anno Olim ersetzt. Meterhohe Stöße von
alten Zeitungen, die man einst auch schon vor dem Abend
gelobt hatte, weißes, buntes, dünnes, dickes, zu Streifen
zerschnittenes oder in Bogen gefalztes Papier erfüllt den
hohen gewölbten Raum, der vielleicht einmal ein Wein
keller eines Prälaten zu St. Stephan war. Nun muß man,
wie bei allen Entdeckungsreisen im Leben, glückliche
Tage haben. Oft und oft mag man da in diesen Hades
hinabsteigen und mit leeren, aber geschwärzten Händen
den Rückzug antreten. Dann aber wieder, wenn etwa
buchhändlerisch nicht gewiegte Praktikanten das Waren
lager ihrer Herren makulierten, oder wenn von einem
alten Dachboden Urväter Hausrat (Stiche, Bilder, Bücher,
Broschüren, Zeitungsblättcr, Noten, Hefte) in die Tiefen
Schiller oder Kotzebue, ob nun Beethoven
oder Hans Jörgei, so zwischen 10 und 30 Heller
rechnen, so muß man als gewiegter Käufer dennoch
indiandergleich jede freudige Bewegung bei einem Funde
nicht auf seinem Antlitze widerspicgcln lassen, sondern
gelassen und gemächlich sich des glücklichen Griffes
freuen. Jauchzt man auf, wenn man, wie ich es. in meiner
unerfahrenen Anfängerzeit einmal bei einer Erstausgabe
von Lessings »Nathan« tat, auf einen Schatz stößt,
so wird der Händler gewöhnlich argwöhnisch und gibt
den Fund nur unter sehr schweren Bedingungen her.
Einstmals sah ich in jenem »verfluchten dumpfen
Mauerloch« ein engbeschriebenes Heft vor mir liegen,
blätterte darin und dachte mir, das könne kein unbe
deutender Mensch geschrieben haben, denn die Schrift
züge w r aren nicht alltägliche. Ich schlug das Heft um und
las auf der ersten Seite: »Ueber Rittertum und Minnege
sang« von Robert Hamerling, 1852. Ich hatte eine
niemals gedruckte und bisher unbekannte Jugendarbeit
des Dichters vor mir, die ich natürlich um zwanzig Heller
(ein Ausnahmspreis, was seine Höhe betrifft) kaufte und
dann in Buchform herausgab. Ein anderes Mal stieß ich
auf zwei dicke Bände, die Notenmanuskripte enthielten.
Es war eine geniale Schrift, schwungvoll und sicher, nicht