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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 22
Die Kunstmusterung
Kaiser Nikolaus ). von Rußland, der Erbauer der neuen
Eremitage und Begründer ihrer Sammlungen, hat unter den
Kunstschätzen, die er von seinen Vorfahren geerbt hatte, eine
Musterung gehalten, die in der neueren Geschichte wohl ganz
Eig. 10. de Poorter, Gelehrter.
einzig dasteht. Ueber diese merkwürdige Tätigkeit des so aus
geprägt selbstherrlichen Monarchen berichtet Baron N. W.
W r a n g e 11 auf Grund bisher noch nirgends veröffentlichter
Dokumente in den »Staryje God-y«.
Zar Nikolaus war immer bemüht, Erinnerungen an un
angenehme Augenblicke seines eigenen Lebens oder des
Lebens seiner Vorfahren zu vernichten. Man weiß, daß er Ur
kunden von unschätzbarem Werte dem Feuer überliefert hat.
Ganz besonders haßte der Kaiser alles, was an die Günstlinge
seiner Großmutter erinnerte; er ließ die Bildnisse dieser
Männer aus den kaiserlichen Gemächern entfernen und den Fa
milien der Günstlinge zustellcn. Ein sonderbares Schicksal hatte
es gewollt, daß diese hervorragenden Kunstwerke später den
Weg in das russische Nationalmuseum fanden. Ebenso schlimm
wie den Bildern der Günstlinge erging es den Bildnissen der
Dekabristen (das heißt, Dezembermänner — so nannte man die
Teilnehmer an dem Aufstande, der am 26. Dezember 1825 kurz
nach dem Tode Alexanders I. in Petersburg ausbrach); der
Kaiser ließ sie aus der Galerie der Kriegshelden entfernen, und
die Bildnisse lagerten dann bis 1903 in den Kellern des Winter
palais.
Nachdem die Bilder vernichtet waren, machte der Kaiser
sich an die Vernichtung des in künstlerischer Beziehung ganz
unschätzbaren Silberschatzes seiner kaiserlichen Großmutter.
Im Jahre 1847 ließ er eine ganze Reihe von Servicen ein-
schmelzen. Im ganzen vernichtete er neunzig Pud prächtigen
Tafelgerätes, darunter das berühmte vierzehn Pud schwere
Orlow-Service, von dem sich nur kümmerliche Reste erhalten
haben. Was der seltsamen Geschmacksrichtung des Kaisers
nicht gefiel, wurde vernichtet. So fiel einmal sein Blick auf die
berühmte Voltaire-Statue von Houdon, die sich in der Eremitage
des Zaren Nikolaus 1.
befand. »Vernichtet diesen Affen!« rief der Kaiser. Der Befehl
wäre natürlich unbedingt ausgeführt worden, wenn Graf Andrej
Petrowitsch Schuwalow nicht die Statue insgeheim in einen
Keller des Taurischen Palais hätte bringen lassen; von dort
gelangte sie erst nach vielen Jahren, zur Regierungszeit Alex
anders II., in die Eremitage zurück.
Der Kaiser vernichtete auch alle Erinnerungen an den
Polnischen Krieg. Im November 1832 trafen aus Grodno die
mit Beschlag belegten Sammlungen des Fürsten Sapieha ein.
Ein großer Teil der kostbaren Gemälde wurde vernichtet, ein
anderer versteigert. Bilder von Lampi, der Vigee-Lebrun und
andere wurden mit 1 bis 5 Rubel ausgeboten. Der Kaiser tat
alles, um den aufrührerischen polnischen Adel zu ruinieren, und
die »Zwangsvollstreckungen« nahmen kein Ende. Im Jahre 1834
traf aus Warschau ein ungeheurer Transport von sequestrierten
Gegenständen ein; der größte Teil hievon wurde verbrannt.
Ein Bildnis Alexanders I., das sich unter den mit Beschlag be
legten Gegenständen befand, wurde mit Bimsstein von der
Leinwand entfernt, worauf die Leinwand verbrannt wurde.
Den Beschluß dieser »reinigenden« Tätigkeit des Zaren Nikolaus
bildete die große Versteigerung von Gemälden der Eremitage.
Der Kaiser traf irn Jahre 1853 eine Auswahl aus der Sammlung
der Eremitage und ließ 1212 Bilder als »wertlos« und »un
tauglich« ausschciden. Unter diesem »Ausschuß« befanden sich
zahlreiche Bilder erster Meister; einige von ihnen fanden später
wieder Gnade: sie wurden »korrigiert« und der Sammlung aufs
Eig. 11. Waldmüller, Architekt v. Moreau,
neue einverleibt. Ein Herr Schwarz mußte in Landschaften
von Dietrich und Kügelgen Figuren, die »ihm passend er
schienen«, hineinmalen. Im Jahre 1854 fanden die Versteige
rungen im Taurischen Palast statt. Die Reineinnahme betrug