MAK
Nr. 3 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Seite 41 
Die Bücherschatzkammer von Braunau. 
Von August Strobel (Prag). 
Die wissenschaftliche Welt wird mit Interesse er 
fahren, daß es in Deutschböhmen eine Privatbibliothek 
von geradezu unschätzbarem Werte gibt, die deren 
Besitzer seit Jahren mit Liebe, Fleiß und Opfern ge 
sammelt hat, und von der gleichwohl selbst in Fach 
kreisen nahezu nichts bekannt war. 
Es war im Oktober 1909, daß der Forscher Dr. W. 
Dolch im Aufträge der kgl. preuß. Akademie der 
Wissenschaften nach Braunau in Böhmen kam, um 
die dortige Klosterbibliothek nach mittelalterlichen 
Handschriften zu durchstöbern. Er war es nun, der zu 
seiner völligen Ueberraschung erfuhr, daß sich in der 
Privatbibliothek des Braunauer Großindustriellen Dr. 
Ed,. Langer, Mitchef der Firma Benedikt Schrolls 
Söhne, ein reicher, noch ganz unausgebeuteter Bestand 
mittelalterlicher Handschreiben befinde. Je mehr er dann 
diese Bücherei kennen lernen durfte, desto größer war 
sein Staunen, und gegenwärtig macht der Gelehrte in 
einer eigenen Broschüre die wissenschaftliche Welt auf 
diese Schatzkammer seltener und kostbarer Bücher auf 
merksam. 
Dr. Langer sammelt bereits seit vielen Jahren und 
hatte bis 1900 die schon damals ungewöhnlich große 
Bibliothek in seinen Wohnräümen untergebracht. Im 
Jahre 1904 mußte sie in einen eigenen Bibliotheksbau 
übertragen werden. Die Broschüre berichtet über die 
Schwierigkeiten der Katalogisierung und über das nun 
mehr zur Anwendung gebrachte System. Trotzdem die 
Katalogisierung noch nicht beendet ist, können doch die 
folgenden Angaben über den Umfang der Bücherei ge 
macht werden: sie umfaßt in der Handbibliothek des 
Besitzers etwa 4000 Bände, der Handapparat im 
Arbeitszimmer der Bibliothek (Biblio- und Paläographie) 
enthält 1600 Bände, die Hauptbibliothek 21.000 Bände 
gedruckter Bücher (Buchbinderbände; etwa 30.000 
Werke); außerdem etwa 6000 Einblattdrucke. Die Zahl 
der Inkunabeln beträgt 500. Die Handschriften 
abteilung enthält 8 0 0 Handschriften und zahlreiche 
Einzelurkunden und Urkundenfaszikel. Zur Unter 
bringung der wertvollsten Stücke sind 2,50 Meter hohe 
Stahlkammern in die Mauern eingebaut. 
Der wissenschaftliche Wert der Bibliothek ist in 
den einzelnen Teilen ein verschiedener. Es gibt Ab 
teilungen, deren Bedeutung durch die verhältnismäßig 
große Zahl einzigartiger Werke weit über das Maß ge 
wöhnlicher Privatbibliotheken 'hinausgehoben wird. So 
enthält die druckgeschichtliche Abteilung »Oesterreich« 
hundert und aberhundert Unika, die nicht bloß druckge- 
schichtlich, sondern auch kunst- und kulturgeschichtlich 
von höchstem Belange sind. Außerdem beanspruchen 
aber die Erzeugnisse der kleinen böhmisch-mährischen 
Druckereien vielfach dieselbe Wertschätzung, wie Unika 
aus großen Offizinen, und an Büchern aus diesen kleinen 
Druckereien ist die Langersche Bibliothek wahrlich reich. 
Nur die allergrößten öffentlichen Sammlungen besitzen 
ebensoviele Drucke aus Pilsen und Winterberg, Jung- 
bunzlau und Lcitomischl, Nikolsburg, Proßriitz, Kralitz 
u. s. w. 
Den Glanzpunkt der Bibliothek bilden die Hand 
schriften. Der Bestand an mittelalterlichen deutschen 
Prosahandschriften is f so groß und so wertvoll, daß er 
auch der größten Sammlung zur Zierde gereichen würde. 
Die bedeutendsten deutschen Mystiker sind mit ihren 
Werken vertreten. Mehrere der Handschriften, insbe 
sondere Meister Eckhart-Handschriften, nehmen eine 
ganz eigenartige Stellung in der Ueberlieferung ein und 
sind bald für die Textgeschichte, bald für die Texther 
stellung von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Zahl 
reiche ältere Handschriften sind nicht bloß inhaltlich, 
sondern auch paläographisch interessant. Da sind Bibel- 
bruchstiicke, zum Teil von großem Umfange, aus dem 
VIII. bis XII. Jahrhundert, ein. Bruchstück einer Vita 
Rigburgae aus dem VIII. bis IX. Jahrhundert, eine Regula 
ordinis S. Benedicti aus dem Anfang des XI. Jahr 
hunderts (aus der Reichsabtei St. Maximin bei Trier), 
ein Martyro'ogium Usuardi aus dem X. Jahrhundert. 
Von besonderem Werte ist etwa ein Dutzend Manu 
skripte böhmischer Herkunft, darunter tschechische 
Predigten aus dem XIII. Jahrhundert, ein Missale 
Fig. 5. Bergkristallpagode. 
Pragense aus dem XIII. bis XIV. Jahrhundert. Am ein 
drucksvollsten ist die kleine, aber ausgesuchte Samm 
lung von Miniaturhand Schriften. 
Die Bibliothek Dr. Langers ist aus einem regen 
wissenschaftlichen Interesse heraus entstanden. Elf 
Bände »Deutsche Volkskunde aus Ostböhmen« und eine 
Ausgabe der Werke von Uffo Horn legen Zeugnis ab 
von der fruchtbringenden Beschäftigung des Besitzers 
mit seinen Büchern. Weit ausschauende wissenschaft 
liche Pläne beschäftigen ihn noch. Die Bearbeitung der 
druckgeschichtlichen Abteilung soll den Grundstock zu 
einer künftigen österreichischen Bibliographie abgeben. 
Das erste Heft mit dem Verzeichnisse der Druckwerke 
österreichischer Typographen des XV. Jahrhunderts liegt 
bereits im Reindruck vor und erscheint demnächst bei 
Gilhofer & Ranschburg in WJen. 
Mit Stolz kann sich Deutschböhmen des Besitzes 
einer solchen echt heimatlichen Bücherei erfreuen. 
Selbstverständlich ist eine Privatbibliothek keine öffent 
liche. Aber Dr. Langer gewährt gerne jedem, der sich 
über seine wissenschaftlichen Zwecke genügend aus- 
weisen kann, die Möglichkeit, Werke in seiner Bibliothek 
zu benützen. Und so kommt sie in reichem Maße der 
heimatlichen Forschung zugute.
	        
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