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Internationale Sammler-Zeitung;.
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sind, so unartig wäre es; sie schlankweg als Fälschungen zu be
zeichnen. Die ein paar Jahrhunderte anhaltende, ständig
wachsende Nachfrage nach chinesischem Porzellan, die Monstre-
besteilungen nicht nur des chinesischen Hofes (der Auftrag des
Kaisers Wan li vom Jahre 1583 auf 96.000 Stück Porzellan
aus den kaiserlichen Oefen ist ein Musterbeispiel), sondern
auch der den Export vermittelnden Kaufleute des Abendlandes
mußten notwendigerweise zu übereilter Produktion, zur Wieder
holung vorhandener Formen und Motive führen. Dennoch
haben Porzellane der Regierungszeiten Yung Cheng, Ch ien
lung und Chia Ch’ing, selbst noch Tao Kuang (1821 bis 1850)
ihren bestimmten, leicht abgrenzbaren Stil. Innere Unruhen
legten in der Mitte des 19. Jahrhunderts die kunstgemäß be
triebene keramische Produktion völlig lahm, und mit dem Nien
hao Kwang Sü (1875), als die vertrocknete Phantasie Eigenes
nicht mehr hergab und für Kopien leichtere Verkaufsmöglich-
keiten bestanden als für moderne Experimente, beginnt die
Aera verblüffend geschickter, aber auch unfreier Wiederholungen.
Man begnügte sich nicht mit der Nachahmung der mit
Unterglasurblau, mit Eisenrot, mit gespritztem Blau, mit
drei und fünf Farben dekorierten Porzellane aus der Zeit
K’ang-hsi, man imitierte Ming-Porzellane und Fayencen
(wozu die Töpfer Kiotos ihr Scherflein beitrugen), man be
mühte sich um den Glanz und das Feuer der monochromen
Glasuren des 17. Jahrhunderts, um das aus edelstem Rubin
rot am Hals und Fuß in Zwiebelgrün übergehende sang de
boeuf, um das spiegelglatte Schwarz, um Apfelgrün, um das
peach bloom (Himbeeren in Milch-Tönen, mit pfirschgrüner
Wölkung) der kaiserlichen Oefen K’ang-hsis, freilich mit einem
recht bescheidenen Erfolge. Immerhin: dreißig oder zwanzig
Jahre genügen, um einer Porzellanvase eine gewisse Alters
patina zu verleihen, und da Museen in China fehlen, ein gutes
Vergleichsobjekt also selten zur Hand ist, mögen auch geübtere
Augen von der Fülle der auf dem Markt befindlichen Kopien
getäuscht werden. Ein echtes Stück kommt alle drei vier Monate
einmal auf den Markt.
Wer die Quantitäten kennt, die berühmte europäisch
amerikanische Sammlungen (Grandidier, Johanneurn, Morgan,
Walters) aufweisen, wer sich vergegenwärtigt, daß gewisse
Typen von Händlern seit Jahrzehnten die kostbarsten Arten
aufkaufen und »cornern« (oder, um das drollig-melancholische
Wort eines unserer geistreichsten Sammler zu wiederholen:
»China systematisch von allem edlen Porzellan entblößen«),
wer an die T^evolten, an die Bombardements kaiserlicher
Schlösser, an Vandalismen aller Schattierungen der letzten
Jahrhunderte denkt, wundert sich, daß dieses merkwürdige
Reich, Hellas für Rom-Japan, bereist, beschnüffelt und be
raubt von den kurzbeinigen Söhnen Neil-Preußens, überhaupt
noch echte keramische Objekte sein eigen nennt. Wie könnte es
auch den verlockenden Preisen widerstehen, mit denen vor
allem Länder angelsächsischer Zunge es versuchen: mit Tausen
den von Dollars selbst für eine moderne Vase auf grünem oder
schwarzem oder zitronengelbem Grunde, mit Blumen und
Schmetterlingen, Vögeln und Früchten bemalt in nicht viel
schlechteren Schmelztönen, als sie die Musterzeichner der kaiser
lichen Manufakturen K’ang-hsis für ihre bis zu monotoner Voll
kommenheit durchgeführten Prunkvasen ersannen?
»W i e d e r h o 11«, nicht gefälscht, werden in China vor
allem Gemälde. Soli man den Japanern glauben, die
anzunehmen scheinen, daß im Reiche der Mitte überhaupt keine
Sung- oder Prae-Sung-Arbeiten hervorragender Qualität mehr
zu finden seien? Zweifellos hat das Inselvolk seine eigenen
und die China entführten Kunstschätze besser bewahrt, sie fein
sinniger restauriert als die Chinesen, die Porzellane wie irdene
Töpfe flicken und es fertig bekommen, disiecta membra
antiker Skulpturen mit einem schusterpechartigen Kitt zusammen
zusetzen, der sich über alte Vergoldungen und Bemalungen
wie eine trübe Sauce ergießt. Doch: Konservatorengeist ist
nicht immer der Ausdruck eigenen Reichtums, und wer die tiefe
Abneigung kennt, die Chinesen aller Stände japanischer Neu
gierde entgegenbringen, zweifelt, ob gerade Japaner berufen
sind, über den gegenwärtigen Kunstbesitz Chinas ein end-
giltiges Urteil abzugeben. Was der Pekinger Markt an Ge
mälden in Umlauf setzt, macht japanische Skepsis allerdings
begreiflich. Giles, der eine ganze Reihe kunsthistorischer
Quellen Chinas exzerpiert hat, erwähnt von dem großen Sung-
Maler Li Lung M i e n (gestorben 1106), daß er sich eine
regelrechte Sammlung eigener Kopien alter Meister angelegt
hatte, und Mi Fei (1051 bis 1107), ein Stern ersten Ranges
am Himmel chinesischer Malerei, dessen Werke mit Gold auf
gewogen wurden und heute völlig verloren zu sein scheinen,
verbreitet sich in seinem Traktat über die Malerei (Hua. Shih)
über ein schon vor 800 Jahren zeitgemäßes Thema, nämlich
über die Unterscheidung von echten und unechten Bildern. Die
Ming-Zeit (1368- bis 1628) — durchaus nicht, wie fälschlicher
weise von vielen Autoren unserer Breiten angenommen wird,
eine Periode künstlerischen Niederganges, auch nicht auf dem
Gebiete der Malerei — hat in ihrer Fruchtbarkeit Myriaden
von neuen Kopien hervorgebracht, wenn man will, Phantasien
im Geiste der Sung- und Yuan-Maler. Ihre vielseitigste
Begabung war C h’i u Y i n g (um 1550). Die Behandlung
seines oeuvre wäre ein herrlicher Stoff für eine wirklich nütz
liche Doktordissertation. Ch'iu Yings Name findet sich auf
vielen Rollbildern, die Frauengruppen in pittoresken Parkland
schaften oder Gebirgsszenen (oft mit goldkonturierten Hügel
ketten) in Malachitgrün und Blau als koloristischen Haupt
akzenten darstellen. Er war, wie jeder gute chinesische Künstler,
ein meisterhafter Kopist, der sich sicherlich nicht gescheut hat,
auf einem besonders gelungenen Werke den Namen eines großen
Sung-Meisters anzubringen. Dasselbe Schicksal, das er seinen
klassischen Vorläufern bereitete, widerfuhr auch ihm nach seinem
Tode, mit dem Unterschiede allerdings, daß er, der fein
sinnig, ja selbst geistvoll nachempfand, von Nachfahren gron
und kunstlos imitiert wurde. Kaiser Hui Tsung, Li Ti, Li Lung
Mien, Mi Fei, Ch’ien Shun Chü und vor allem der Koloß
Chao Meng Fu (in Peking bekannt als Chao Tze Ang, Vulgär
sprache: Chao Tze Nang), das sind Maler, deren Werke, durch
Kopien oder dreiste Taufen vulgär gemacht, beinahe ins Legen
däre entrückt sind, Chao Tze Ang hat einen Ruf als Pferde
maler, obschon er alles mögliche andere ebenfalls gemalt hat,
und man kann daher sicher sein, daß sein Name auf jedem
dritten Pferdebilde wiederkebrt. Man erstaunt stets aufs neue
über die sich darin audrtickende intellektuelle Faulheit. Wie
Chao Tze Ang geht es dem Kaiser Hui Tsung. Seine Falken
sind von jedem kleinen Talentchen nachgeahmt worden, bis auf
die Inschriften und die Kaiseisiegel. Namen also sind Schal!
und Rauch und ebenso beweisen Stempel der Künstler, von
Experten oder von Mitgliedern eines Kaiserhauses selten etwas
für, häufig gegen die Echtheit und Qualität eines Bildes. Längere
oder kürzere Huldigungsinschriften, die sich bei Rollbildern
am linken Ende der Rolle, bei Hängebildern gewöhnlich im
»Bildhimmel befinden, sind oft berühmten Persönlichkeiten
untergeschoben. So müssen die Namen von Mi Fei oder Chao
Meng Fu, als Experten in China geschätzt wie in Japan
Kobori. Enshiu, häufig herhalten, damit ein Bild zweiten Ranges
einen gewissen Echtheitsglanz gewint. Anzunehmen, daß
jeder Künstlerstempel, überhaupt jede Signatur lediglich dazu
angebracht sei. die Prüfung zu komplizieren, heißt natürlich
gesunde Skepsis ins Absurde treiben: es gibt auch echte
Künstlerstempel, echte Dokumentieruugen, echte Kaisersiegel,
und vor allem noch einige gute Bilder in China, mögen sie dem
asketischen Geschmack der Japaner auch nicht Zusagen. Kunst-
historie sollte objektive Würdigung des künstlerisch Geschaffenen
sein. Von chinesischer Malerei weiß man bei uns nur aus
japanischen, in ihrer Art vorzüglichen, aber einseitig ausge
wählten Reproduktionen, also unendlich wenig, was nicht
hindert, daß die Vertreter der Hauptepochen (jene nämlich die
in Giles, Chinese Pictorial Art oder in den japanischen
Reproduktionswerken aufgeführt sind, etwa 300 von 10.000
Künstlern) vom bureaukratischen Deutschland bereits Zensuren
erhalten, und in einem unendlich kunstfremden Buche, das sich