MAK
Nr. 5 
internationale Sammler-Zeitung. 
Seite 67 
Die Inkunabeln der Berner Stadtbibliothek. 
Von Dr. C. Benzinger (Bern). 
Der Inkunabelreichtum der Berner Stadtbibliothek 
Kann sich mit dem manch anderer gleichbedeutender 
Institute nicht messen. Der Grund dafür liegt in erster 
Linie darin, daß die Bibliothek sich seit den ersten In- 
kunabclbereicherungen im 15. und 16. Jahrhundert mit 
einer einzigen Ausnahme in diesen Beständen nur wenig 
mehr verändert hat. Bern besaß auch keine Inkunabel- 
Druckerei, die der Stadt schon frühzeitig die Bücherliebe 
eingepflanzt hätte. Der Sammeleifer für die frühesten 
bernischen Preßerzeugnisse setzte verhältnismäßig spät 
ein und beschränkte sich auf Werke aus der ersten ein 
heimischen Offizin des Matthias Apiarius. Ebenso gingen 
die andernorts so erträglichen Klosteraufhebungen der 
Revolutionszeit wie die Säkularisationen der Achtund 
vierzigerjahre am protestantischen Bern vorüber, ohne 
den erwünschten Zuwachs an seltenen Drucken zu 
bringen. Die Stadt hatte sich ihren Teil bereits in der j 
Reformationszeit geholt. Leider war das Interesse da- ; 
rnals noch gering und die staatliche Ausbeute zeitigte in- i 
folgedessen keinen sonderlichen reichen Gewinn. 
Aus dem Predigerkloster in Bern besitzt die Biblio- j 
thek nur einen einzigen Frühdruck, eine venetianische j 
Ausgabe der Opuscula des hl. Thomas von Aquin. Aus j 
den übrigen Gotteshäusern der Stadt ist nichts auf uns 
gekommen. Auch Berns geistliche Nachbarschaft findet 
sich nur spärlich mit Inkunabeln vertreten. Dem Priorate 
in Herzogenbuchsee gehörte eine Etymologie des Isidorus 
Hispalensis vom Jahre 1472 an. Einzig das Karthäuser 
Kloster Thorberg hat der Bibliothek einige wertvolle Be 
stände seiner einstigen Sammlung zurückgelassen. Wir 
zählen heute freilich nur mehr dreißig Bände dieser ver 
mutlich an die 600 Bände umfassenden Bücherei, die 
meist wissenschaftliche theologische Werke enthielt. Die 
Bücherzahl scheint vielleicht etwas hochgegriffen, sie er- j 
gibt sich aus der Zusammenstellung der Zahlen der für 
das Stift eigens hergestellten Buchsignaturen, die sich 
heute noch größtenteils auf den Einbänden vorfinden. Die 
in roter Farbe aufgetragenen Inskriptionen wurden sämt 
liche längs der Buchrücken aufgekleht, so daß für die 
Leserlichkeit unbedingt eine liegende Lage angenommen 
werden muß. Diese Aufbewahrungsweise bestätigen 
auch viele Bände, die noch heute mit eisernen Ringen 
versehen sind und einstens zur Sicherung mittelst Ketten 
an die Regale festgebunden waren. Eine solche Immobili 
sierung scheint aber vermutlich nur in der Ausleihe der 
mittelalterlichen Bibliotheken zur Anwendung gekommen 
zu sein, da eine derartige unbewegliche Aufstellung der 
Codices catcnati, wie sic genannt wurden, sonst einen 
viei zu großen Raum beansprucht hätten. Auch wäre 
eine freie Benützung damit allzusehr verumständlicht 
worden. Wir brauchen übrigens heute nur nach Florenz 
in die Laurentiana oder nach Oxford in die Universitäts 
bibliothek zu gehen, um uns von der absoluten Unmög 
lichkeit einer angeketteten Gesamtaufstellung der mittel 
alterlichen Bibliothek zu überzeugen. Die dort noch in 
ihrer ursprünglichen Anlage vorhandenen Büchereien 
liefern uns den besten Beweis zum Gesagten. An Eianden 
einer Zusammenstellung sämtlicher Signaturfragmente 
ergab sich die merkwürdig hohe Bücherzahl von nahezu 
600 Bänden. 
Eine Erklärung für diesen Reichtum mag vielleicht 
darin zu suchen sein, daß Thorberg mit der bücher 
freundlichen Karthause zu Kleinbasel in besonders guten 
Beziehungen stand; einige der noch heute vorhandenen 
Bände stammen überhaupt daher. Als ein weiterer Grund 
für die beträchtliche Vermehrung des Klosterbestandes 
kann auch die Sitte angeführt werden, wonach die 
Konventualen bei ihrer Aufnahme oder bei anderen An 
lässen gehalten waren, dem Orden eine Anzahl von 
Büchern geschenkweise zu überlassen. Auch dafür ent 
halten die Thorberger Bände sichere Anhaltspunkte. 
Weitaus den besten Beweis liefert freilich eine Urkunde 
des Berner Staatsarchives (A. 47. Fach Erlach), wonach 
der Konventuale Agmo von Charbilliac, Grivatti ge 
nannt,' der Klosterbibliothek St. Johannsen bei Erlach 
bei seiner Aufnahme im Jahre 1523 nicht weniger als 
94 Werke schenkte. Da der neue Klosterangehörige die 
Bücher persönlich um den Preis von 200 Florin erstanden 
und wie er sagt, dem Orden mitgebracht hat, dürfen wir 
annehmen, daß er als Professor und Doktor diese vor 
Fig. 2. Tasse und Untertasse, AVien, um 1802. 
seinem Eintritt für den eigenen Gebrauch erworben hatte. 
Das Verzeichnis wird also auch insoferne bleibendes 
Interesse haben, als es uns mit dem wissenschaftlichen 
Rüstzeug eines gelehrten Thäplogen jener Zeit bekannt 
macht. Wir machen bei diesem Anlasse den Leser darauf 
aufmerksam, daß die Pruntruter Bibliothek, ehemals dem 
Bischof von Basel gehörig, eine auffallend stattliche Zahl 
der hier genannten Bücher besitzt, da uns aber ein 
Augenschein bis dahin noch nicht möglich war, lassen 
wir die Frage einstweilen dahingestellt, ob ein Teil der 
Bibliothek von St. Johannsen nicht vielleicht dahinge 
wandert wäre. Ueber das Schicksal anderer bernischer 
Klosterbibliotheken sind wir ohne jede Nachricht ge 
blieben. Interlaken und Brunnadern sind mit einzelnen 
Handschriften auf der Stadtbibliothek vertreten. 
Eine weitere Gruppe, die annähernd die Hälfte 
unseres heutigen Inkunabelbestandes ausmacht, gehört 
ihrem ursprünglichen Standorte nach zwar nicht nach 
Bern, fällt aber als Schenkung eines Berners doch in 
direkt unter die aus heimischem Besitz überkommenen 
Bücher. Jakob Gravisset, der Sohn eines reichen, aus 
der Pfalz stammenden Juweliers, vergabte bei Anlaß 
seiner Aufnahme in das heroische Bürgerrecht 1628 der 
städtischen Bibliothek die berühmte, von seinem Vater
	        
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