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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 7
ü. s. w. Und in der Tat kannte die Vielseitigkeit Boulles
kaum Grenzen. Dieselbe fand in dem Verkehr mit Gold
schmieden, Malern, Emailleuren, Bildhauern etc. Nah
rung; auch besuchte Boulle die Akademie de Saint-Luc.
Die wichtigste Arbeit, welche Boulle ausgeführt hat,
war die Einrichtung der kronprinzlichen Gemächer im
Schloß in Versailles. Dieselben werden von den Zeit
genossen als ein Wunder der Kunst gepriesen und wur
den den fremden Prinzen und Gesandten als Sehens
würdigkeit gezeigt. Man sah da reiche Sammlungen
von Edelsteinen, Kristall, Porzellan und Gemälden.
Leider ist all das später in alle Winde zerstreut wor
den und nicht einmal Abbildungen sind uns geblieben.
Im Jahre 1677 heiratete Boulle im Alter von fünf
unddreißig Jahren Anne Marie Le Roux. Doch ist
uns im übrigen über diese Lebensperiode Boulles, wie
gesagt, so gut wie nichts bekannt. Im Jahre 1697 finden
wir ihn in Schwierigkeiten mit dem Geldmann Cro-
zat, für den er Arbeiten zu liefern hatte; er wurde ver
urteilt, die Arbeiten zu dem ausbedungenen Preise ab
zuliefern. Uebrigens war Boulle sein Leben lang in
finanziellen Nöten, denn, obzwar er sehr viel Geld ver
diente, gab er noch mehr aus, um seine Kunstsammlung
zu bereichern, und, wie Emerson sagt, wenn man
noch so viel verdient und nur eine Mark täglich mehr
ausgibt, als man einnimmt, ist das Ende Unglück und
Elend. Schließlich mußte der König für ihn eintreten
und ihn vor seinen Gläubigern schützen. Dazu kam,
daß am 30. August 1730 ein Feuer in seinen Ateliers aus
brach, das alle Reichtümer vernichtete. In dieser Zeit
aber hatte er selbst den Wert seiner Sammlungen an
Stichen, Zeichnungen und Kuriositäten auf 221.380 Pfund,
,..n Möbeln auf 72.000 Pfund und an angefangenen Ar
beiten auf 30.000 Pfund veranschlagt. Der Gesamtver
lust belief sich auf 383.780 Pfund.
Boulle arbeitete auch für das Ausland, so für die
Prinzen von Bayern, den Erzbischof von Köhl, den
König von Spanien, die Herzoge von Savoyen, den Her
zog von Lothringen u. a. Aber seine Lage verschlim
merte sich immer mehr. Dazu kam, daß die Spuren des
Alters sich bemerkbar machten. Auch wandte sich all
mählich der Zeitgeschmack von den eigentlichen Boulle-
Möbeln ab — sie verloren den Reiz der Neuheit und
eine neue Mode löste die alte ab. Andre Charles Boulle
starb am 29. Februar 1732 in den von ihm bewohnten
Räumen des Louvre.
Er hinterließ vier Söhne, Jean Philippe, Charles
Josef, Andre Charles und Pierre Benoit. Die beiden erst
genannten hatten, wie Champcaux berichtet, das Recht
erlangt, nach dem Tode des Vaters dessen Ateliers be
ziehen zu dürfen. Andre Charles Boulle, der jüngere, ge
nannt Boulle de Seve, starb im Jahre 1745. Pierre
Benoit, der jüngste Sohn, starb 1741. Alle vier waren
zu Ebenistes du Roi ernannt worden, arbeiteten für den
Hof, ohne indessen das künstlerische Niveau der Ar
beiten des Vaters zu erreichen. Doch sollen in ihren
Ateliers diejenigen Künstler, die später die reizvollen
Louis Quinze-Möbel geschaffen haben, gearbeitet haben. 5
Schon Champeaux weist darauf hin, daß Boulle
meistens den Zeichnungen Berains (1683—1711)
folgte, dessen Ateliers neben den seinen lagen. Berain
aber wiederum hatte sich im Atelier von Charles
Lebrun, dem Direktor der Manufaktur der Möbel
5 Vergl. J. Guiffrey, Inventaires d'artistes.
und Tapisserien, gebildet. Zugleich aber folgte er natür
lich dem mehrfach erwähnten Jean Le Pautre (1617
bis 1682), den man als den ornamentalen Schöpfer des
Stiles Louis XIV. bezeichnen kann, und der indirekt von
der Renaissance herkommt. Schon Le Pautres Orna
mentstil ist ungemein bewegt, zugleich aber noch kräftig
und etwas massig. Zu diesem Stil tritt durch Vermitt
lung Lebruns das Prächtig-Pompöse, an das Römertum
Erinnernde. Berain wiederum fügt diesem Stil die Vor
herrschaft der geschwungenen Linie, der Wellenlinie
hinzu und nimmt ihm zugleich das Schwere und Massige
— er lenkt also ein nach der Richtung des Graziösen
und bereitet mithin die später erfolgende Umbildung des
Barockstiles zum Rokoko vor. Und auf diesem Berain-
schen Standpunkt eben steht Boulle. Der Einfluß Berains
auf seine ganze Zeit aber war um so größer, als die
Berainschen Entwürfe gestochen und viel verbreitet
wurden.
Außerdem scheint Boulle sich der Mithilfe des oben
erwähnten Domenico, Cucci, weiter Warins, Claude
Bailins, Duvals und van Opstals versichert zu haben.
Was die Bedeutung und Eigentümlichkeit des
Boulleschen Stiles betrifft, so macht Champeaux die
treffende Bemerkung: »Die Kompositionen sind so ge
schickt abgewogen, daß die Grazie des Details niemals
die Harmonie des ganzen Aufbaues und der Hauptlinien
stören kann. Jedes Boulle-Möbel repräsentiert eine
architektonische Form, bei der alle Teile wechselseitig
zur Geltung kommen.«
In der Tat weiß man, wenn man ein Werk wie die
mit dem Triumphwagen gekrönte Uhr im Palais von
Fontainebleau ansieht, nicht, ob man mehr den wie aus
einem Guß entworfenen und dabei, wie immer bei
Boulle, blendend-vornehmen Aufbau des Ganzen — hier
trat der Künstler und Bildhauer Boulle in sein Recht —■
oder die Liebenswürdigkeit und Grazie der technischen
Kleinarbeit bei der Marketeriearbeit bewundern soll.
Was diese letztere betrifft, so ist besonders daran zu
rühmen, wie eng die Kunst, das heißt, der Entwurf sich
an das Material und die technische Arbeit anlehnt. Die
Ornamente sind stets geometrisch, aber dennoch voll
von Phantasie und lebhaft bewegt, vor allem aber
meisterhaft geordnet und gegeneinander abgewogen.
Ein besonderer Reiz dieser Marketerie liegt zudem
in der Abwechslung der hellen und dunklen Flächen und
Linien: und zwar wirkt entweder die helle Linie auf
dunkler Fläche oder die dunkle Linie auf heller Fläche.
Wir haben hier offenbar ein Pendant zu der Spitze und
Gardine, bei denen Aehnliches stattfindet.
Hiezu kam nun, daß das ganze Milieu, für das diese
Möbel bestimmt waren, also das Interieur selbst, vor
züglich für sie paßte. Denn die Grundstimmung eines
Zimmers jener Zeit war Gold in Weiß. LJie Wände waren
im Gegensatz zu der Mode der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts ganz im Stil der Möbel dekoriert. Die
Möbel selbst waren — wie gesagt — Weiß in Gold ge
halten; diese beiden Farben überwogen sogar beim
Polstermöbel. Und in dieses Möbel nun paßte gleichsam
als Akzent ein derartiges Boullesches Möbel vortreff
lich hinein.
Aber man muß freilich zwischen den echten und un
echten Boulleschen Arbeiten unterscheiden. Vieles geht
unter seinem Namen, was seiner nicht würdig gewesen
wäre. Ich fürchte, von seinen besten Arbeiten ist wenig
oder nichts erhalten.