MAK
Nr. 8 
internationale Sammler-Zeitung. 
Seite 115 
Morgans Kunstsammlungen. 
Von Adolf Donath (Berlin). 
Mit Pierpont Morgan, der dieser Tage in Rom 
starb, verliert der Kunstmark seinen größten Förderer 
und seinen — gefährlichsten Gegner. Fr ist es gewesen, 
der die »amerikanische Gefahr« beschwor, die flutartig 
über Museen und Sammlerwelt hereinbrach und mit 
ihren ungezählten Millionen alle am Golde gemessene ; 
große Kunst verschlang. Aber Pierpont Morgan hat 
zweifellos auch mit seinen Millionen eine Kulturtat voll 
bracht, indem er Großes und Bedeutendes, um das sich j 
Amerika vielleicht nie gekümmert hätte, für sein Land 
gewann und dann schließlich durch sein Verketten von j 
Kunst und Geld doch wieder das Kulturbewußtsein der i 
Europäer gestärkt hat. Europas Opfermut entriß ihm 
manches »Opfer«. Holbeins »Königin Christine« oder 
V e 1 a s q u e z’ »Venus und Cupido« wären für die Na 
tional üalery in London verloren gegangen, wenn die j 
Engländer sich nicht zusammengetan und die 2 Millionen 
für Holbein und die 1,200.000 Mark für Velasquez ge 
zeichnet hätten. 
Pierpont Morgan ist der temperamentvollste unter 
den neuen Sammlern gewesen, und kein Parvenü des j 
Kunstmarktes, sondern einer, dem das Sammeln im Blute [ 
saß. Sein Vater hatte ihm stattliche und wertvolle Kunst- j 
schätze hinterlassen, die Mr. Pierpont eifrig studierte 
und mit Hilfe der Kenner sicher und stark auszubauen 
suchte. Und daß er für manche Gebiete des Sammler 
wesens sogar eine nicht gewöhnliche Kennerschaft be 
saß, beweist seine systematisch angelegte Kollektion von 
alten Handschriften und Drucken. 
Den umfangreichsten 'Feil seiner Sammlungen bildet 
die des alten Kunstgewerbes. Hier hat Morgan 
im Laufe von knapp zwei Jahrzehnten dank seinen | 
Riesenmitteln Stücke von allererstem Rang zusammen- ^ 
gebracht. In keiner Privatsammlung der Welt steht eine j 
so erlesene Serie alter Liinusiner E m a i 1 s — man kennt 
sie schon aus dem Londoner Kensington-Museum, wo sie 
bis zum Dezember 1912 mit dem größten Teil des übrigen 
Morganschcn Kunstgewerbes ausgestellt waren — keine 
Privatsammlung enthält eine so köstliche Kollektion von 
Majoliken, Gläsern, Goldschmiedearbeiten. Und viele 
Hauptstücke dieser und anderer Abteilungen stammen 
aus Berliner Privatbesitz. Sein altdeutsches Silber hat 
Morgan von Geheimrat Eugen Qutmann erworben, 
viele von seinen italienischen Renaissancearbeiten, wie 
die Skulpturen und etliche Kleinbronzen, stammen aus 
der Sammlung Oskar Hainauer, deren wissenschaft 
liche Bedeutung in Bodes Katalog gewürdigt wird, seine 
seltensten Uhren aus der Berliner Sammlung M a r f e 1 s. 
Und man weiß auch, daß Pierpont Morgan wiederholt 
auf den großen Berliner Kunstauktionen vertreten war. 
In den denkwürdigen Auktionen Lanna bei Lcpke zahlte 
für ihn Jacques Seligmann in Paris manchen Rekord - 
preis. 
Morgans Bronzen, die wir zum Teil in Paris ge 
sehen haben, stellen einen ebenso unvergleichlichen 
Kunstbesitz dar wie seine Handschriften, Drucke, Emails 
u. s. w. Und auch seine Gemäldesammlung steht an der 
Spitze der hervorragendsten Privatgalerien der Welt, 
wenn auch ihr Besitz an R e m b r a n d t s nicht den der 
amerikanischen Sammlungen Altmann, Widcner, Heve- 
meier erreicht. Aber Morgans Italienerkollektion, in der 
Raffaels Madonna di St. Antonio das Glanzstück ist 
— er hat hiefür 2 Millionen Mark gezahlt — steht einzig 
da. Ebenso bilden seine Holländer Hals, Vermeer, 
Pieter de Hooch und Hobbema sind hier qualitativ und 
quantitativ am stärksten vertreten — eine Sammlung von 
unerreichter Schönheit. 
Schließlich befindet sich in Privatbesitz kaum eine 
Engländer - Sammlung, die so erstklassige Quali 
täten aufzeigt, wie die Morgansche. G a i n s boroughs 
Herzogin von Devonshirc, Lawrences Miß 
Farreri, Reynolds Lady Demle sind die Haupt 
werke dieser englischen Großmeister des achtzehnten 
Jahrhunderts. 
Die Sammlung Dr. Oertel. 
Von Theodor Demmler (München). 
Die Sammlung Oertel erhält ihren Charakter 
durch die Ausschließlichkeit, mit der der Besitzer sich 
jahrelang den Werken der deutschen Plastik, vornehm 
lich der süddeutschen Altarbildnerei, zugewendet hat. 
Sein Sammelgebiet umfaßte vor allem Ober- und Nieder - 
bayern, Schwaben und den Oberrhein. Daß dabei die 
Stücke stark überwiegen, die zwischen 1480 und 1530 
entstanden sind, versteht sich von selbst. Ueberraschend 
ist nur die Fülle von bodenständiger Eigenart und 
quellender Schaffensfreude auf einem stofflich, zeitlich 
und örtlich so eng begrenzten Gebiet. Aber nicht bloß 
von der Entstehungszeit dieser Schöpfungen gewinnt 
man ein ungeahnt reiches und deutliches Bild, auch der 
Wandel des Interesses für diesen Zweig unserer heimat 
lichen Kunst spiegelt sich in dem Zustand der Figuren: 
die naive Freude des 18. Jahrhunderts, das den alten 
Statuen so oft das Gewand neuer, dem eigenen Ge 
schmack entsprechender Farbe aufnötigt, die Nüchtern 
heit des frühen neunzehnten, das sie verstümmelt und ver 
schleudert, die historische Stimmung des späteren, das 
sie ergänzen und stilgerecht erneuern will und in wohl 
gemeintem Eifer fast ebenso oft unersetzliche Werte 
vernichtet und der Geist unserer Tage, der mit ein 
dringenderem Verständnis der künstlerischen Absicht 
des Schöpfers nachspürt, von dem ursprünglichen Zu 
stand soviel wie möglich zu retten sucht, und je länger 
je mehr den Resten deutscher Holzbildnerei denselben 
Schutz vor unbefugten Eingriffen sichern möchte, den 
der antike Torso längst genießt. Es ist ein Glück für die 
Sammlung Oertel, daß sie ihre Entstehung dieser letzten 
Periode verdankt, und daß mit wenigen Ausnahmen die 
| Stücke nicht älteren Sammlungen entnommen, sondern, 
an der Quelle erworben sind. So fehlen jene auf den 
| Liebhabergeschmack zurechtgestutzten, jene allzu stark 
i »zusammengestimmten« Figuren fast ganz. Die Er- 
| neuerungen, die der Katalog verzeichnet, sind fast durch-
	        
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