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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 8
weg in den engsten Grenzen gehalten. Sie wollen den
alten Bestand an Farbe und Form sichern und freilegen,
nicht ihn nach dem Geschmack des Besitzers ergänzen.
Dem Streben nach umfassender Kenntnis unserer
Holzplastik, dem die Sammlung ihre Entstehung ver
dankt, entspricht auch der Eifer, mit dem der Besitzer den
nicht selten absichtlich verschütteten Quellen nach der
Herkunft der einzelnen Stücke nachgegangen ist. Die
Absicht, in einer ausführlichen Beschreibung seine
Forschungen der Oeffentlichkeit vorzulegen, konnte er
bisher nicht verwirklichen. Der Katalog, der zunächst
ohne seine Mitwirkung entstanden ist, gibt in den An
gaben über Entstehungszeit und künstlerische Herkunft
die Anschauungen des Verfassers wieder. Dieselben
haben aber durch eine große Anzahl von genauen
Provenienzangaben, die Herr Dr. Qertel noch während
der Drucklegung zur Verfügung stellte, fast in allen Fällen
eine vollkommene Bestätigung erfahren. Ein paar Stücke,
bei denen ich auf Grund der Provenienzangaben meine
Bestimmung nachträglich geändert habe, sind angeführt
worden, weil sie zeigen, wie sehr es noch der plan
mäßigen Veröffentlichung und Vergleichung des
Materiales bedarf, bis wir selbst in dieser Zeit, wo die
Quellen reichlich fließen, zu ganz sicheren Unter
Scheidungen gelangen. Die »Beweinung Christi«, die im
Gefühlsausdruck so stark fränkische Züge aufweist, ge
hört in die Gegend von Mindelheim in Schwaben, wo
sich in einigen hervorragenden Werkstätten mannigfaltige
Einflüsse zusammengefunden haben müssen. Die Georgs
gruppe stammt vom Elsaß, obgleich die Behandlung des
Hintergrundes mit dem naiven Aufbau seiner Kleinwelt
Fig. 3. Kniende Madonna.
auch au den Niederrhein denken läßt. Die späte Madonna,
bei der das Temperament in der Gewandbehandlung
vergessen läßt, daß das Gefühl für den Gegenstand schon
etwas erstarrt ist, wird nicht an den Mittelrhein. sondern
nach Passau, also unter die Ausläufer des Donaustiles,
zu versetzen sein.
Neben solchen Beispielen enthält aber die Sammlung
einen großen Bestand von Werken, die als Muster einer
Fig. 4. Heiliger Nikolaus.
landschaftlichen Stileigenart angesprochen werden
dürfen, auch wenn wir über Meister und Werkstatt nicht
einmal Vermutungen aussprechen können. So innerhalb
der schwäbischen Figuren die reizvollen Stücke vom
oberen Donautal, also aus dem Gebiete zwischen Ulm
und Rottweil, aus dem Ulmer Kunstkreise die lieblichen
»Drei Schwestern« und den ernsten »Evangelisten am
Pult«, sowie charakteristische Stücke aus der Nachblüte
der Ulmer Schule, die schon im Gesichtstyp den
Renaissancegeschmack widerspiegeln. Ulm und Augs
burg können beide den Meister Gregor Erhärt für sieb
beanspruchen, dessen Werk seit Julius Baums
Forschungen sicherer als früher umgrenzt werden kann.
Die nicht bloß im Maßstab große Madonnenstatue, die
vor zwei Jahren die Zierde der Stuttgarter Ausstellung
für christliche Kunst bildete, hat in der Madonna des
Augsburger Maximilianmuseums ein so nahe verwandtes
Seitenstück, daß die von Baum ausgesprochene Zu
schreibung keinem Zweifel begegnen wird. Der vor
erst noch namenlose »Meister mit den Längsfalten«, in
dessen Kreis eine Reihe trefflicher Stücke des Kaiser
Friedrich-Museums und des Germanischen Museums ge
hören, ist mit einer Christophorusstätue vertreten, deren
Provenienz es von neuem wahrscheinlich macht, daß wir
seine Werkstatt im bayerischen Schwaben, und zwar in
dem südwestlich von Augsburg gelegenen (iebiet (viel
leicht in Kaufbeuren?) zu suchen haben.
Innerhalb der bayerischen Arbeiten besticht
die niederbayerische Gruppe durch ihren Wert und ihre
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