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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Ungarn, Band 1

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bitterer Melancholie; meistens ist Italien ihr Entstehungsort. Ein solches Lied ist das 
folgende: 
Lieber säh' ich dort die zwei, das weiß ich. 
Als in Mailand diese zweiunddreißig." 
„In Nagy-Abony nur zwei Thürme ragen, 
Mailand kann von zweiunddreißig sagen; 
Unter den Spottliedern findet sich noch die eigenthümliche Abart der Korteslieder, 
welche in der heißen, mit Wein berieselten Jahreszeit der Abgeordnetenwahlen zu 
erblühen pflegen. Es gibt darunter witzige Reime, die den Nagel auf den Kopf treffen, 
die meisten reichen aber nicht über die Linie des Gelegenheitspasquills hinauf; ihre 
Melodien sind gewöhnlich allbekannten Volksweisen angepaßt. Ein ihnen verwandtes 
Genre bildet das Trinklied, auch ein Lieblingsgewächs der Volksdichtung, und desgleichen 
die Hochzeits-„Rhythmen" (riAirnrs), die aber keine Melodie haben. Aus der Unzahl von 
Trinkliedern wählen wir eines, das bisher in keiner Sammlung zu finden, obgleich es in 
den Dreißiger-Jahren dieses Jahrhunderts das verbreitetste war. Es ist übrigens schon 
darum merkwürdig, weil es einen ganz eigenthümlichen metrischen Bau aufweist, welcher 
dem ganzen Trinkliede den Rhythmus eines Trommelwirbels verleiht. Nach dem schwer- 
müthigen Andante der zwei ersten Verse: 
„Schattengleich hinschwindet ja das Dasein, — > — j — >""> — 
Eh' man's merkt, muß Freund Hein ja schon nah sein", — j - s — — 
(bis hieher könnte es auch als Trauergesang gelten) folgt das Allegro: 
„Ei ja wie — thöricht, wer — trauert, da — herzlich ja 
Er in Frohsinn ^ ^ — 
Kann scherzen und sich sreuen. - s ^ - j ^ ^ 
Eh' er es — merkt, ist vor — über sein — Leben und 
Ist zerronnen 
Gleich des Herbstes Nebelstreif. 
Länger doch nur wird uns der Lebensfaden, 
Wenn wir recht oft so zu dem Krug uns laden, 
Alles heran drum und im Kreistrunk lustig, 
Wer noch nicht des regeren Sinns verlustig. 
Auf und die Becher ergreift, 
Auf und die Zecher ersäuft, 
Über die Leber was laust, 
Spült's baß fort!" 
Das beigefügte rhythmische Schema beweist, mit welcher Geschicklichkeit im Original 
(im Deutschen freilich nur annäherungsweise) eine Menge Pyrrhichien zusammengehänft 
sind. Dem entsprechend ist auch die Melodie gesetzt. 
Geläufig sind, besonders der Schuljugend, die patriotischen und kriegerischen 
Volkslieder; unter diesen das Lied: „Schon ist Belgrad unsre Burg", unter jenen das
	            		
353 berühmte RäköcztpLied: „Hei, Räköczy, Bercscnyi!" und die folgenden: „Ungrisch Herz, treu wie Erz." — „Segne, Herrgott, den Magyaren! Weil die Welt lebt, woll' ihn wahren. In der Heimat Paradeis, Leb' er wie Fisch' in der Theiß." — „Mit den Greisen klug im Rathen, Mit den Jungen kühn in Thaten, Schöne Jungfrau'n sei'n ihm hold, Schmucke Weibchen blank wie Gold." — „Guten Wein her aus den Kufen, Wollen unfern Trinkspruch rufen: Gott erhalte König, Land, Und uns alle miteinand!" In dieser Art gibt es auch einen Marsch mit eigenthümlicher Melodie über Napoleon I.: „Zurück ins Vaterland nun eil', mein geschlagenes Heer." Der berühmteste Marsch trägt den Namen Näköczys; es sind ihm wiederholentlich Verse unterlegt worden, er eignet sich jedoch nicht für den Gesang. Zu den Volksliedern von nationalem Gepräge kann man noch die Gedichte des fahrenden Sängers Sebastian Tinödi zählen; einige davon pflegt man im Chorus zu singen, so das folgende: „Die alten, schlimmen Zeiten ich singe. Guter Török Jänos, all deine Tinge, Deß Ruf und Nam' ich ins Gedächtniß bringe, deines Vaters Tod auch traurig mir erklinge." Unter den Volksliedern müssen ferner die volksthümlichen Psalmodien andächtigen Inhalts erwähnt werden, deren Ursprung in die ältesten Jahrhunderte der christlichen Epoche zurückreicht: „Folgen wir Marien, Stern der Hellen Sonnen." — „Jesus du mein Heller Stern!" — „Anbeten wir dich heilige Hostie, du wundersames Manna." - „Komm' o König Stefan, der Magyare ruft dich!" — „Weinet ihr Christen!" — und die Weihnachtslieder: die Spielreime der Bethlehemgänger und heiligen drei Könige. Die Verfasser der Volkslieder sind meist unbekannt. Text und Melodie werden, wie es scheint, gleichzeitig geboren. Die Schnitter auf dem Felde, die Mägde in der Spinw stube greifen beide auf und geben sie weiter, von Dorf zu Dorf, von Feld zu Feld, bis sie im ganzen Vaterlande verbreitet sind und sogar in die Salons hinanfdringen oder auf der Bühne das Bürgerrecht erlangen. Zuweilen aber geht es umgekehrt, Dichtungen von hohem Fluge erhalten durch begabte Componisten eine volksmüßige Melodie und verbreiten sich dadurch im Volke, das sie sich aneignet. Unter diesen zur Allgegenwart des Volksliedes gelangten Knnstgedichten sind vorerst zu nennen: Michael Vörösmartys „82»^nt (Aufruf): „Dem Vaterlande unverzagt treu bleibe, o Magyar!" — dann Kölcseys Hymnus: „Segne den Magyaren, Gott, mit gutem Muth und Überfluß"; unter Petöfis Liedern: „Mein Flötchen ist ein Tranerweidenzweig", — „Nieder senket sich die Wolke", — „Lieb' ist eine finstere Grube" und besonders folgendes zweistrophige Lied: „Höre, Schafhirt, armer Schafhirt höre, Daß dich dieser Beutel Geld bethöre; Deine Armuth gib für meine Habe, Doch dein Liebchen drauf als Nebengabe." Ungarn l. 23
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