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Metadaten: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 5)

des Mittelalters - der deutsch-romanische, der französisch-romanische, 
die italienische Protorenaissance u. s. w. - thatsächlich ihre Wurzel 
hatten. Diese, somit im Grunde nächstverwandte Antike war es nicht, 
die man sich in Deutschland gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zum 
Vorbilde einer Renaissance genommen hat, es war vielmehr eine ganz 
neuentdeckte, erst frisch aus dem Jahrtausende alten Schutt der Ver- 
gangenheit ausgegrabene: die altgriechische, die hellenische Antike. 
Auf die Ursachen dieser höchst auffallenden Erscheinung 'und ihre 
entscheidenden Folgen für die ganze moderne Kunstentwicklung werden 
wir sofort ausführlicher zu sprechen kommen. Doch sei vorher noch 
eine Einschaltung gemacht, die nicht die deutsche Kunst betrifft, die 
aber lehrreich ist für das Verständniss dieser modernen Kunstutnwälzung. 
Wenn die Antike für Deutschland zweifellos einen völlig neuen Stil 
bedeutete, so könnte man meinen, für Italien wäre dies nicht in demselben 
Maße zugetrolfen. Die italienische Kunst war durch ihre Renaissance des 
15. Jahrhs. keineswegs aus dem Gleichgewicht gebracht worden, wie es 
bei der deutschen Kunst durch die Renaissance des 16. Jahrhunderts 
zweifellos der Fall war. Der Barockstil war vielmehr in Italien die echte 
Frucht der selbständigen nationalen Kunstentwicklung gewesen, die reife 
Spätfrucht der Renaissance des rS. Jahrhunderts. Auch in Italien empfand 
man nun in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das Bedürfniss, 
die überlebte Barocke kunstweise wieder aufzufrischen, durch eine Re- 
naissance zu verjüngen. Aber den Italienern war ihre hergebrachte Kunst- 
weise nicht so wie den Deutschen nur ein geborgter Rock, den man 
ohne Weiteres abzulegen geneigt war, sobald man einen neuen, schöneren 
erhalten konnte. Was die Italiener mit ihrer Kunstveränderung in der 
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts beabsichtigten, war in der That 
eine Renaissance in dem alten hergebrachten Sinne, d. h. blos eine Ver- 
besserung des bereits Bestehenden, das man im Grunde gar nicht preis- 
zugeben beabsichtigte. Dieses Verhältniss lässt sich am besten klarstellen 
durch den Hinweis auf den größten Künstler, den Italien in der zweiten 
Hälfte des vorigen Jahrhunderts hervorgebracht hat: Antonio Canova. 
Canova hat in der Sculptur sich wiederum vielfach die Antike zum 
Vorbilde genommen, z. B. das Gewand, die Draperie ist bei ihm nicht 
mehr nach so rein malerischen Gesetzen behandelt, wie bei Bernini; 
aber mit echten antiken Figuren wird man diejenigen des Canova kaum 
je verwechseln. Die großen Kunstziele sind auch für Canova noch immer 
diejenigen des italienischen Barockstils gewesen; noch immer ging er aus 
auf die überwiegende Betonung des Charakteristischen, und nicht allein 
des Idealen, wie es der griechischen Antike entsprochen hätte. An seinen 
männlichen Figuren erscheint einseitig die kraftvolle Körperbildung betont, 
an seinen weiblichen Figuren das Zarte, der Liebreiz, die kokette Grazie. 
Die Canova'sche Sculptur zeigt also noch wesentlich eine Fortbildung 
des Alten, allerdings unter Zuhilfenahme der Antike. Aber diese vor-
	        
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