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Seite 162 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Nr. 11 
Antiquitäten des Botschafters gegen Gemälde des 
Meisters, in welchem Briefe er die von ihm dazu be 
stimmten Bilder taxativ aufzählt, beschreibt und be 
wertet. 
In diesem kunsthistorischen Dokument ersten Ranges 
bekennt nun Rubens selbst, daß unter den 24 Stück »die 
Blüte meiner Sachen«, welche er aus »eigenem Wohl 
gefallen« im Hause zurückbehalten haben will, daß also 
unter dieser Auslese von 24 Werken nur 12, sage z w ö 1 f 
Stücke, vorhanden waren, welche er ausdrücklich a 1 s 
Originale von seiner Hand bezeichnet, wäh 
rend die andere Hälfte von ihm ebenso ausdrücklich, als 
»von einem meiner Schüler«, oder »von meinen Schülern«, 
oder in einem Falle »von einem meiner besten Schüler« 
gemalt, oder erst begonnen, bezeichnet wird. 
Das ist somit ein Bekenntnis des Meisters aus seiner 
ersten Schaffensperiode, wonach genau die Hälfte seiner 
Werke schon damals von Schülern ausgeführt wurde, 
allerdings mit dem Vermerk, daß er dieselben »mit eigener 
Hand übergangen« oder erst »übergehen« werde, so daß 
sie »für Originale meiner Hand gelten« 
können. Im Laufe der folgenden zwanzig Jahre hat sich 
seine Tätigkeit noch mehr ausgebreitet, so daß mit voller 
Berechtigung angenommen werden muß, daß die 
größere Hälfte seiner Werke von der Hand seiner 
Schüler ausgeführt wurde. 
Den Kern dieses so wichtigen Briefes bildet aber ein 
anderes bedeutsames Geständnis des Rubens, das einen 
wichtigen Stützpunkt für unsere Untersuchung abgeben 
wird. Unter jenen zwölf Bildern von Rubens eigener 
Hand ist nur ein einziges, von dem er besonders hervor 
zuheben sich veranlaßt sieht, daß es »nach dem Leben« 
gemalt wurde! 
Wonach hat er dann die anderen gemalt? Wie hat 
sich der Meister geholfen, und wie erst seine Schüler bei 
der Bewältigung einer solchen Unzahl von Werken? Da 
mit sind wir der uns beschäftigenden Frage nahegerückt. 
Der Künstler arbeitet entweder nach dem Modell, das ja 
allemal wechselt und schon gar nicht jahrzehntelang her- 
halten kann, oder er modelliert und zeichnet, was man 
als Ausnahme bezeichnen kann, seine Figuren aus dem 
Gedächtnis, oder kopiert sie nach einer Vorlage. Auf 
andere Weise kann ein Kunstwerk nicht entstehen. Nun 
haben wir aber schon gesehen, daß bei Rubens und ins 
besondere bei seinen Schülern die ersten zwei Modali 
täten fast gar nicht in Betracht kommen, es bleibt also 
für ihn und Sein Atelier — nur das M o d e 11 b i 1 d übrig. 
Was waren das aber für Bilder und wie kamen sie 
zustande? Das Genie Rubens' und sein prophetischer 
Seherblick ließen ihn sich bei Zeiten nach Feststellung 
eines mustergiltigen Kanons für die in seinem Geiste 
vorschwebenden Titancngesta-lten umsehen und rein 
typische Ausdrucksformen von Macht, Kraft und Größe 
schaffen. 
Aber nicht in der Prosa des Alltags, nicht in dem 
lebenden Menschenmaterial suchte und fand er die Ver 
körperung seiner hochgespannten Ideale, zu kongenialen 
Geistern ging er auf die Suche. Seine Reise nach Italien 
1600 brachte ihm die erwünschte Gelegenheit, und — 
Titian hat's ihm angetan. Nicht das, was er nach Titian 
kopiert hat, bildet die Schwelle zu seinem Ruhm, aber 
das, was er ihm an Ideen abgeguckt, in seinem Geiste 
verarbeitet, in seine Kunstsprache übersetzt, das hat 
Rubens groß gemacht. Dem tiefen Ideengehalt Titians 
hat er monumentalen Ausdruck gegeben, die Ideen Titians 
in monumentale Formen gekleidet, mit einem Worte, 
Titian in die Barocksprache der Kunst übersetzt, wie ich 
denn überhaupt das Gefühl habe, daß Rubens den Barock 
stil in der Malerei geschaffen habe. So hat also Rubens, 
wo ihm etwa ein titianischer Kopf besonders bedeutungs 
voll erschienen ist, oder er in demselben Lineamente und 
Keime zur Schaffung eines neuen Kanons für gewisse 
Schönheitsideale gewahr wurde, denselben nicht etwa 
kopiert, sondern im Geiste verarbeitet und auch schon 
alla prima in wuchtigen markanten Pinselstrichen auf die 
nackte (ungrundierte) Holztafel fixiert — für sich als Vor 
bild, für sein Atelier als Modell. 
Denn der Meister konnte und durfte diese seine Vor 
bilder aus dem Gedächtnis in alle beliebigen Stellungen 
transponieren und ihren Ausdruck nach Bedarf ändern, 
während die Schüler sich streng an das Modellbild halten 
mußten und keine sonstigen Veränderungen an demselben 
vornehmen durften, wie wir davon bald ein klassisches 
Beispiel kennen lernen werden. 
Diese Tatsache konstatiert zu haben, ist insbesondere 
für die Kunstforschung von Wichtigkeit, weil in derselben 
unter Umständen ein neues Kriterium zur Unterscheidung 
von Atelierbildern von den selbsteigenen des Meisters ge 
boten wird. 
So entstanden wahrscheinlich noch in Venedig 
jene grundlegenden Typen, welche wie ein roter Faden 
die ganze künstlerische Produktion des Meisters durch 
laufen. Ich rechne darunter den Jupiter tonans, von 
dem noch die Rede sein soll, den Typus eines Kraft 
menschen und Kriegers, der in Hunderten von Bildern 
immer wieder vorkommt, und den jugendlichen, mild und 
liebevoll in die Welt blickenden Apostelkopf, welch beide 
uns heute speziell beschäftigen sollen. So mußte nach 
und nach eine kleine Kollektion von solchen Modell 
bildern zusammengekommen sein, und es dürften sich 
noch heute in den öffentlichen Sammlungen eine erkleck 
liche Anzahl derselben nachweisen lassen, wo sie aller 
dings in den Katalogen als selbständige Bilder 
unter eigenen Benennungen oder als »Bildnisse« 
evident gehalten werden. 
So wird in München das »Bildnis einer alten 
Frau« auch für Rubens Mutter gehalten und die Ent 
stehung in die Zeit von 1615 bis 1618 verlegt, wäh 
rend es in Wirklichkeit ein »Modcllbild« des Meisters ist. 
nach welchen er bereits im Jahre 1606 die heilige Elisabeth 
modellierte und seither wiederholt als Modell verwendete. 
Auffallend und charakteristisch, wenn auch leicht er 
klärlich ist es, daß diese »Alte« das einzige weibliche 
Modellbild des Meisters ist. 
Ein Zufall will es, daß wir gerade an einem Bilde 
unsere Untersuchung vornehmen können, das dem 
Meister und-seinen Schülern ungezählte Male während der 
ganzen langen Arbeitsperiode Modelldienste geleistet hat, 
so daß dieses Modellbild als ein Schulbeispiel der kunst 
geschichtlichen Forschung dienen kann. 
Das in Fig. 1 abgebildete Exemplar — 55 Zentimeter 
hoch, 40 Zentimeter breit — ist von durchschnittlicher 
Größe aller Modellbilder des Rubens, auf Pergament 
von der reichen, samtartig anzufühlenden Gattung des 
18. Jahrhunderts, wie es heute auch in der besten und 
teuersten Sorte nicht mehr produziert wird. Die Aus 
führung des Bildes, das zwei Charakterköpfe im Profil 
hintereinander zeigt, wie es Rubens öfters in seinen 
Bildern zu arrangieren pflegte, ist in Pastell und von einer 
solchen Meisterschaft, daß nur die Verwendung jenes 
Malgrundes (Pergament) und dieses zarten und vola- 
tilen Farbstoffes, welcher seinen pfirsichroten Hauch 
oder Flaum noch an manchen Stellen deutlich sehen läßt - 
also rein äußere und zufällige Umstände — uns zur An 
nahme zwingen, daß wir es hier mit einer Nachbildung 
oder Kopie nach einem verschwundenen oder ver 
borgenen Original zu tun haben mögen. 
Was haben nun diese zwei, in ihrer Ruhe so aus 
drucksvollen Charakterköpfe — Studien nennen wir es 
heute — zu bedeuten, und warum sollen sie Modellbilder
	        
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