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Internationale Sammler-Zeitung.
zuerkennen, denn die Mischung seiner Totentanz
phantastik, die mittelalterliche Konturen zeigt ohne den
ethischen Gehalt Holbeinscher Phantastik, mit satanisch
profilierter Erotik, appelliert wirklich schon ein wenig an
die Fähigkeit, gepfefferte Sensationen schmackhaft zu
empfinden. Nun waren aber nur gegenständlich zähme
Kunstblätter ausgestellt, und es war eine Wahl getroffen,
die das Künstlerische in erste Linie stellte. Nichts
darunter gab Exzeßmöglichkeiten Raum, Geiger zeigte
sich als rassiger Künstler,- der das Anrecht hat, jede
Kunstgemeinde sich zu verpflichten.
Anderen Künstlern, deren Ausstellungen zu einem
gesellschaftlichen Ereignis gemacht werden, wird
moralische und materielle Anerkennung zuteil. In Wien
kann man überhaupt nur durch das gesellschaftliche
Entree ein Ereignis werden. Wo es sich um wirkliche
Künstler handelt, mag schließlich einer solchen, nicht
ganz einwandfreien Methode das Wort gesprochen wer
den. Ich habe mich sogar herzlich gefreut, daß unlängst
im »Verein bildender Künstlerinnen« die hochbegabte,
bisher in der Einsamkeit Wiens verborgene — in Wien
muß immer der Berg zum Propheten kommen — hoch-
begabte Eritzi U 1 r c i c h der Oeffentlichkeit repräsentativ
vorgeführt wurde. Sie verfügt über eine blühende, schön
heittrunkene Phantasie und über einen oft stürmischen
Willen zur Wahrheit. Als Autodidaktin, die sich schul
mäßigem Zwange nie beugen konnte, fällt es ihr freilich
manchmal schwer, den edlen Phantasos stets in die
Kandare zu nehmen; er macht ab und zu seine eigen
willigen Seitensprünge ins schildernd Poetische, doch
fühlt man, daß die hohe Schule des Fleißes die Kunst
dieser Malerin schon heute in einigen Fällen ans Ziel ge
bracht hat.
Schlechter erging es dem gleichfalls begabten Erich
Lamm im Kunstsalon Briiko. Ein Ehrgeiziger, da
nach dem Besten ringt und gegenwärtig in eine Krise ge
raten ist. Lamm ringt um einen persönlichen Stil. Der
Wechsel großer und kleiner Formate, kompositorischer
Probleme, der verschiedenartigen Konzeptionen seiner
Stoffwahl, das Versunkensein still in die Natur lauschen
der Betrachtung und dann der Riesensprung zu dekora
tiver Gesamtwirkung: alles dies zeigt ihn als Experi
mentator, dem nichts entspricht, weil er sich noch nicht
gefunden hat. Sein Ringen wird zum Ziel führen, falls er
seinem Natursinn treu zu bleiben vermag. Technisch ist
er heute schon sehr tüchtig.
Am schlechtesten erging es dem Besten: Franz
Bunke. Die Ausstellung von zwanzig seiner Land
schaften ist ein besonderes Verdienst des Kunstsalons
P i s k o. Seit langer Zeit wird in diesen Werken der
tiefste Sinn der Kunst zum erstenmal wieder schranken
los enthüllt. Wie von einem Alp befreit, die uns der tech
nischen Originalität und Brillanz zustrebende Zeitgeist
aufbürdete, ergehen wir uns in den tiefräumigen, ge-
danken- und gefühlstönenden, in Wind und Wolken,
Wäldern und Ebenen welttief empfundenen Landschaften,
die uns zu gehören scheinen, weif sie uns zum Mitleben
zwingen. Es ist Geist vom Geiste Böcklins oder, wenn
man will, Michelangelos und Beethovens, nicht ein
spezifisch malerischer Geist, sondern jener der wahren
Kunst im weitesten Umfange. Und in Anschauung ver-
_ sunken, bleibt nur ein Rest von Bewußtsein dafür, daß
hinter diesen Verkündungen unserer Weltzugehörigkeit
auch ein großes technisches Vermögen steht, das mit
einer der inneren Aufgabe entsprungenen Disziplin sich
dieser ganz unterordnet. Dieser Meister blieb in Wien
ganz unbeachtet. Der Rest ist Schweigen —.
Der gleiche Kunstsalon schließt nun die Saison mit
einer sehr anregenden Ausstellung »Holländischer Kunst
von 1870 an«, und gibt dazu einen illustrierten Katalog
heraus, aus dem man über die Geschichte der holländi
schen Malerei im genannten Zeitraum das Wesentliche
erfährt. Uns ist wohl Rembrandt bis ins Detail vertraut,
doch von Jung-Holland wissen wir nichts] Zur Not ber
herrschen wir theoretisch Namen, wie Jozcf Israels,
Maris oder Weißenbruch. Nun sind die alle zu
uns gekommen, mit den meisten jener Künstler, die in der
sogenannten Haagschen Schule zu einer im einzelnen
sehr variablen Stilrichtung vereint sind, oder: waren.
Denn gar mancher ist nicht mehr. Dennoch spricht alles
mit unmittelbarem Leben zu uns. Von Israels ist es be
sonders das unglaublich stimmungseinheitliche »Am ein
samen Wege«, das uns bannt. Nicht weniger aus einem
Stück gegossen ist sein »Glaubensvertrauen«, ein Bild,
dem ich nur wegen des fanatisch-religiösen Ausdruckes
im Frauengesicht nicht nahe kommen kann. Gemälden,
wie Jakob Maris’ »Stadtansicht«, begegnet man selten.
Es ist von kleinstem Format. Und doch spricht sich die
ganze, stille Größe eines überragenden Meisters in ihm
aus. Stadtansicht. Das Wort sagt so gar nichts, es streift
nur zur Not die Situation des Themas. Hier ist es wieder
die persönliche Auffassung und die überlegene, jede
Brillanz verachtende Malweise sowie die bewunderns
werte Einfachheit, mit der das Geschaute in künstlerische
Fassung emporgehoben wird, so daß sich ein simples
Naturmotiv zum Erlebnis weitet. Sein Bruder Willem
M a r i s ist im Gegensätze dazu ein echtes, in den Farben
lebendes Malertemperament. Seine Farben sind satt und
doch von flüssigster Leuchtkraft. Die »Weiße Kuh« ver
kündet sich so als magische, der Natur schönheitfreudig
abgelauschte Lichtkomposition. Schade, daß der Dritte
diqses Malergeschlechtes fehlt. Unglaublich ist cs, daß
dieses kleine Holland eine größere Anzahl beachtens
werter Maler besitzt als Oesterreich. Es ist also auch
heute das klassische Land der Malerei. Vor der Unmög
lichkeit zurückschreckend, alle Maler zu nennen, die cs
verdienen würden, zitiere ich zusammenhanglos nur
einige, die mich besonders ansprachcn. So Dirk
Wiggers mit einer in Flcckenteehnik sehr diskret ge
malten Mondlandschaft — »Bei üroesbeek« — deren laue
Sommernachtstimmung ein schönes, inniges Lied ist.
Weiters J. H. Weißenbruchs »Am Strand«: alles
Gegenständliche im Silbergrau der tonigen Farbe
schattenhaft und in der dunstigen Luft zu Schleiern sich
lösend. Von Willem de Z w a r t ein prachtvolles Stück
»Sonniger Tag«. Vom 25jährigen Willem K o r t e 1 i n g
ein »Stilleben«, das in Anlehnung an die Tradition des
17. Jahrhunderts, aber in moderner Verarbeitung eine
Meisterprobe ist. An die Lebenskraft Rubens’, wenn auch
nicht an seine impulsive Bewegtheit, gemahnt Martin
Monnickendam. Unbedingt genannt muß auch
werden J. B. J o n g k i n d, der gegenwärtig in Paris
hohen Ehren entgegengeht. Das »Mondlicht« zeigt ihn als
typischen, französisch beeinflußten Impressionisten, sagt
mir aber nicht mehr, als daß er ein virtuoser, tempera
mentvoller Maler ist. An solchen ist die Ausstellung arm.
Ueber zweihundert ausgestellte Werke, fast alle von
einer gewissen Temperamentlosigkeit, wirken monoton.
Die Modernsten unter ihnen versagen ganz, darunter
auch zwei sehr schwache Zeichnungen van G o g h s.
Im Klosterneuburger Stift hat der Verein »Heimischer
Künstler Klosterneuburgs« vor kurzem seine dritte Aus
stellung eröffnet, und braucht sich nicht zu scheuen, sich
mit dem Künstlerhaus in Wien zu vergleichen. Von dort
weilen auch einige Gäste im Marmorpalast des Stiftes.
Allen voran Max v. Poosch mit entzückend schönen
Interieurs und Landschaften. Knapp hinter ihm eine end
lose Serie Landschaften Max Kahrcrs, worunter zwei
besonders schönen Winterlandschaften die Palme ge
bührt. Einsam thront in der goldenen Flut seiner Farben-