Nr. 12
Internationale Sammler-Zeitung.
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teilten Beifall, kündigt aber in seiner Abhängigkeit von
Marees noch nicht das eigentliche künstlerische Wesen
Beckmanns an. Es sind die »Jungen Männer am Meer«,
eine Arbeit von erstaunlicher Sicherheit in allem Tech
nischen. Der junge Künstler will alle Malweisen be
herrschen, mit den Erscheinungen der Zeit sich ausein
andersetzen. Dieser Lehrzeit und dem bloßen Experiment
entwächst er mit dem »Drama«, das im Jahre 1906 ent
steht und mit dem er auf heftigen Widerspruch stößt.
Dieses in der höchsten Erregung gemalte Bild enthält
bereits den ganzen Beckmann. »Das Entsetzliche und Ge
heimnisvolle der menschlichen Tragödie, den Tod, ver
sinnlicht die dramatische Leidenschaft dieses Werkes.«
Diese Gekreuzigten sind mit ihrer letzten, furchtbaren
Geste nicht ein Symbol des Todes Christi, sondern ein
Ausdruck des größten menschlichen Schmerzes. Die
»Sterbeszene« aber bedeutet einen Rückfall in platten
Naturalismus, ja, ins Anekdotische, ln der Villa Ro-
mana in Florenz malt er die »Schlacht« und eines seiner
ergreifendsten Bilder: »Adam und Eva« (siehe Fig. 1).
In einem leeren Zimmer, dessen graue Wände
blühende Blumengewinde schmücken, sieht man die
Menschenmutter kniend, das Antlitz wie in einem tiefen
Schuldbewußtsein gesenkt, in ihrer Nähe Adam, das Ge
sicht in die Hände vergraben: die Tragödie nach dem
Sündenfall.
Die »Unterhaltung«, mit der Beckmann zum ersten
mal ein Gruppenbild aus dem modernen Gesellschafts
leben bietet, ist charakteristisch für seine porträtistische
Auffassung. In diesem Bilde vereinigt der Künstler
Menschen, die ihm am nächsten stehen, seine Frau, ihre
Mutter und die Schwägerin. Wundervoll ist hier nicht nur
die fast dramatische Gruppierung und die noble malerische
Pracht, sondern auch das, was diesem Werke den Wert
eines menschlichen Dokuments verleiht. Beckmanns
Porträtkunst bezeichnet Kaiser als »tragischen Indivi
dualismus« und sagt, daß über allen seinen Bildnissen
der geheimnisvolle Zug schwebt, der immer mit tiefer
Menschlichkeit verbunden scheint. Wie einsam die
Menschen auch im Beisammensein sind, das ist hier wie
im »Selbstbildnis mit seiner Frau« und in noch voll
endeterer Weise in der »Gesellschaft« (Fig. 2) ausge
drückt. Auch hier finden wir J J orträts aus der Umgebung
des Malers, ja, ihn selbst, seine Frau und seinen kleinen
Sohn, aber jeder dieser in enger Gruppe vereinigten
Menschen erscheint wie eine Welt für sich, rätselhaft und
in einer unnachahmlichen Individualisierung jedes ein
zelnen Zuges. Eine Stimmung von Traumhaftigkeit liegt
über dem Ganzen, jenes Visionäre mitten im Realen, wie
wir cs in den Dichtungen Dostojewskis finden.
Das ist auch die Grundstimmung seiner Kom
positionen, der »Auferstehung«, der »Beweinung«,
der »Amazonenschlacht« und des »Unterganges von
Messina« (Fig. 3). Da sind Menschen wie im
letzten Akt einer Tragödie, in einem letzten Kampf, in
einem Aufruhr der Instinkte in der italienischen Gasse
zusammengedrängt, solche, die im Kampfe ums Dasein
aneinander geraten, Verzweifelnde, Sterbende oder hoff
nungslos ihrem Schicksal sich Ergebende. All diese Ge
stalten haben die Monumentalität des Tragischen, aber
auch persönlichstes Menschentum in der Art, wie sie auf
das furchtbare Ereignis reagieren. In dieser Kunst ist
kosmisches üefüh-l, eine Symbolik, die auch durch die
Farbentöne, durch das ganze Milieu ausgedrückt wird.
Leidenschaft und heroische Romantik, diese beiden
sind nach Kaiser die Elemente der Beckmannschen
Kunst. Die Sehnsucht nach einer großen dichterischen
Auffassung, einer monumentalen Dramatik, sie erscheint
in dem bei uns leider noch zu wenig gekannten Maler
Max Beckmann erfüllt.
Fig. 3. Beckmann, Untergang von Messina.