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GEGENREFORM IM ZEICHEN.
UNTERRICHTE
VON PROF. ALFRED ROLLER.
F ünfundfünfzig Mittelschulzeichenlehrer haben dem Unter,
richtsministerium im Vorjahr ein Memorandum über,
reicht, in dem sie sich beklagen, in ihrer „friedlichen
Arbeit“ durch neumodische Reformversuche „aufgestört“
zu werden, und bitten, es möge „dermalen“ alles beim alten
bleiben. Dieses Memorandum wurde mit einem Begleitartikel
in einer Zeitschrift veröffentlicht^ und damit zur allgemeinen
Diskussion gestellt.
Ich kenne nicht alle derzeit tätigen Reformer und ihre Be.
Strebungen; vielleicht gibt es unter ihnen solche, die auch
ich ablehnen würde. Mir ist auch der Name keines einzigen
der Memorandum.Unterzeichner bekannt. Aber dieses Me.
morandum selbst kenne ich jetzt. Es ist ganz bestimmt
schlecht und fände es Beachtung, so wäre das weit be.
dauerlicher als etwaige mißglückte Reformversuche. Eng.
herzigster Schulstubengeist weht aus dem Schriftstück und
trotz aller Redlichkeit der Absicht, die ich den Verfassern
und Unterzeichnern zutraue, liest man zwischen den Zeilen
die Angst vor dem Umlernenmüssen, die Sorge, von der
natürlichen Entwicklung überholt zu werden.
Wir haben unsere Staatsprüfung abgelegt, so denken die
Zeichenlehrer, wir genießen die „stete Anregung und Unter.
Stützung des Zeicheninspektors“, wie kann also wer anderer
mehr verstehen vom Zeichenunterrichte als wir? Was stört
man uns mit Reformideen, mit „ungeklärten, exotischen
Methoden“, mit einer „erdachten Pinselmethode“? Das ist
ja alles „persönliches Streben der Methodenerfinder“, „über,
hastete Neuerungssucht“, „pädagogisch widersinnig“, „im
Klassenunterricht nicht durchführbar“, „Einschränkung der
Freiheit des Lehrers durch rezeptmäßige Vorschriften“. Besser,
als der Zeichenunterricht jetzt ist, kann er gar nicht mehr
werden, denn: „wir haben für jeden Teil des elementaren
Zeichnens das notwendige Ausmaß gefunden“ (!), wir „be.
ginnen mit den leichtfaßlichen, stilisierten Naturformen..
und „im Perspektivzeichnen (!) gibt es keine Methode auf
der Welt (!), als von den einfachsten GEOMETRISCHEN
Formen auszugehen....“ „Den Lehrern in Deutschland und
anderwärts fehlte zum Naturzeichnen zumeist die nötige
künstlerische Vorbereitung“ und „nirgends war ein so ge.
diegen entwickelter Zeichenunterricht vorhanden als in
unseren Mittelschulen.“
Das ist eben nicht wahr. Der Zeichenunterricht an unseren
Mittelschulen ist im allgemeinen schlecht, so schlecht, daß
man getrost allen möglichen Reformversuchen das Wort
reden kann, denn sie können nichts mehr verderben.
Daß die Memorandumverfasser dann sehr selbstsicher vom
Impressionismus sprechen, ohne mit dem Wort eine treffende
Vorstellung zu verbinden, daß sie naiverweise meinen, wer
einen Stift in der Hand halte, sei dadurch gezwungen zu
* Vgl. auch Heft 17, Seite 293 „Die österreichischen Zeichenlehrer gegen
den künstlerischen Zeichenunterricht“. Ferner Heft 19, Seite 328 „Kinder.
Zeichnungen“. Prof. Alfred Roller, eine anerkannte Autorität auf dem
Gebiete des Kunstunterrichtes, stellt uns nun im Kampfe gegen den
Schulstubengeist die obigen schätzenswerten Ausführungen mit dem
Bemerken zur Verfügung: „Da, wie ich aus Ihrem 17. Heft erfahre,
versucht wird, einen Gegensatz zwischen meinen und meines hoch,
geschätzten Kollegen Czischeks Anschauungen zu konstruieren, nehme
ich Gelegenheit, mich über das erwähnte, zufälligerweise zu meiner
Kenntnis gelangte Memorandum auszusprechen.
** Zeitschrift für Zeichen, und Kunstunterricht. Herausgegeben vom
Vereine österreichischer Zeichenlehrer. Nr. 3. März 1904.
Die folgenden Zitate sind nicht wort., jedoch sinngetreu.
„zeichnen“, mit dem Pinsel lasse sich nur „malen“, daß sie
die in England geübte Pinselmethode (Pinselzeichnen als
Materialsprache) mit der bei uns von einigen Reformern mit
bestem Erfolge versuchten Verwendungsart des Pinsels als
zeichnerisches Ausdrucksmittel verwechseln, daß sie „Per.
spektivzeichnen“ als besonderen Lehrgegenstand betrachten
und die „Bekanntmachung des Schülers mit den wichtigsten
Erscheinungen der Perspektive“ erst dann für angezeigt halten,
wenn sie ihm durch jahrelanges Ornamentzeichnen das
perspektivische Sehen abgewöhnt haben, sei alles nur neben,
bei erwähnt. Es ist ja zu langweilig, punktweise alle die schiefen
Ansichten zu widerlegen, die das Memorandum vertritt.
Der Zorn, den einem diese, im salbungsvollen Tone der
Unfehlbarkeit vorgebrachten Kurzsichtigkeiten erwecken könn.
ten, verschwindet, sobald man sich erinnert, daß das Entstehen
einer, auf der Höhe der Zeit befindlichen Mittelschulzeichen,
lehrerschaft durch unsere heutigen Gesetzesbestimmungen
wesentlich erschwert, wo nicht unmöglich gemacht wird.
Die wenigen guten Zeichenlehrer, die wir haben, und die in
der Masse der schlechten wie Ausnahmen wirken, sind zu.
meist durch persönliche Verhältnisse gegen ihre ursprüngliche
Absicht in diesen Stand gedrängt worden. Die Stellung des
Zeichenlehrers an unseren Mittelschulen ist eine so ungünstige,
daß es begreiflich erscheint, wenn sich fast gar keine ersten
Kräfte diesem Berufe von Haus aus zuwenden.
Da vom Zeichenlehrer Matura verlangt wird, die Matura
aber eine Menge weit dankbarerer Berufe erschließt, bleiben
für das Zeichenlehrerfach nur die Schwächsten übrig oder
jene armen Schwärmer, die sich der falschen Hoffnung hin.
geben, als heutige Zeichenlehrer noch Beziehungen zur Kunst
pflegen zu können. .
Der angehende Zeichenlehrer hat jetzt ein vierjähriges Studium
an einer öffentlichen Kunstschule zu absolvieren. Hat er
wirklich Begabung, so bietet ihm die Kunstschule wieder
Gelegenheit, Lebenswege einzuschlagen, die denen des Mittel.
Schullehrers vorzuziehen sind, und nur die Minderbegabten
werden die sichere Staatsanstellung dem Verlaß auf die
eigene Kraft vorziehen. Also nochmals eine Auslese der
Schwächsten.
Nun kommt für diese die Staatsprüfung. Da der junge
Mensch im Zeichnen unterrichten soll, wäre es naheliegend,
zunächst zu untersuchen, ob er zeichnen könne. Das geschieht
aber nicht, denn die vorgeschriebene Vorlage von Talent,
proben, von der die Zulassung zur Prüfung abhängt, genügt
für diesen Zweck nicht. Der Kandidat legt zuerst die Prüfung
schriftlich und mündlich aus allen verlangten Gegenständen
ab, was sehr lange, oft über ein Jahr lang, dauert, und ganz
zuletzt kommt die Prüfung aus dem Zeichnen. Mißlingt
diese, so muß er nicht etwa besser zeichnen lernen und dann
wiederkommen, sondern er muß die ganze Prüfung aus allen
Fächern nochmals ablegen, d. h. er muß, da er mittlerweile
das meiste vergessen hat, neuerdings büffeln und kommt in
der Regel zur Wiederholungsprüfung mit noch geringerem
Können im Zeichnen als zur ersten.
Der junge Zeichenlehrer aber, der die Prüfung glücklich be.
standen und eine Anstellung erlangt hat, steht nicht etwa
auf gleichem Fuße mit seinen Kollegen im Lehrkörper,
sondern er wird von den Lehrern der anderen Fächer mit
Geringschätzung betrachtet, die an manchen unserer Mittel,
schulen, besonders an manchen Gymnasien der Mißachtung
nahekommt. Beweise aus der Praxis wären hiefür unschwer
beizubringen. Und für eine, trotz allen Kraftaufgebotes, mit
dem sie erlangt wurde, so unangenehme Stellung sollten
sich erste Kräfte freiwillig hergeben? Hieße es unter diesen
Umständen nicht ungerecht sein, wenn man es seinen ein.
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