Nr. 6
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Originalradierungen von Rembrandt.
Der edle Wetteifer in der Herstellung künstlerisch wert
voller Kataloge, den insbesondere die deutschen Kunstauktions
institute entwickeln, erstreckt sich neuestens erfreulicherweise
auch auf die Antiquariate: nach den reizenden Publikationen
Martin Breslauers in Berlin, Rosenthals in Mün
chen, O i 1 h o f e r & Ranschhurgs in Wie n und einiger
anderer tritt jetzt das bekannte Antiquariat (i. Heß in Mün
chen mit einem Katalog auf den Plan, der sich den schönsten
Erzeugnissen dieser Gattung würdig anreiht. Freilich, zu dem
Inhalte würde eine weniger prächtige Ausstattung kaum gepaßt
haben, denn es ist ein Katalog von Originalradierungen
R e m b r a n d t
weit seltener als im ersten oder dritten Zustand, und nur in
wenigen, in öffentlichen Sammlungen befindlichen Exemplaren
bekannt.«
Von außerordentlicher Seltenheit sind ferner die Blätter:
»Die Landschaft mit Kanal« (Preis 15.000 Mark), »Die Dar
stellung im Tempel« (10.000 Mark), »Die Landschaft mit dem
viereckigen Turm« (8500 Mark) und die aus den Sammlungen
Brentano und Schloesser stammende »Nackte sitzende
Frau mit dem Pfeil« (7000 Mark).
Von den biblischen Darstellungen möchten wir das unter
Nr. 22 verzeichnete Blatt »Der Triumph des Mardochäus« mit
seiner wundervollen, echt Rembrandtschen Lichtführurfg hervor-
Fig. 1. Rembrandt, Triumph des Mardochaeus.
Mit scheuer Bewunderung blättert man in dem stattlichen
Bande, der so ziemlich das ganze graphische Oeuvre dieses
Großen umfaßt. Hält man sich an die Angaben S i n g e r s, der die
Zahl der Radierungen Rembrandts mit höchstens 236 angibt, so
fehlen nicht viele Blätter in dieser Sammlung. Allen aber, und
das ist das hervorstechende Merkmal der Kollektion Heß. ist
die prachtvolle Qualität und Erhaltung gemeinsam. Einem
schöneren Abdruck der »Drei Hütten« zum Beispiel ist man in
den letzten Jahren auf dem Kunstmarkte gewiß nicht begegnet:
man wird denn auch den Preis von 20.000 Mark, den der Katalog
registriert, nicht zu hoch finden.
In einem unübertrefflich schönen Abdruck von größter
Tonfülle und vollkommener Klarheit findet sicli auch das Blatt
»Clement de Jongh«. Der Katalog bemerkt zu dieser Radierung
deren Preis mit 16000 Mark fixiert ist: »Zweiter Zustand von der
vollendeten Platte, aber von der oberen Einfassungslinie. In
diesem Plattenzustand ist das Blatt von eminenter Seltenheit,
heben, die hier durch die ungewöhnliche Heiligkeil, eine in ihrer
Reichhaltigkeit geradezu übersprudelnde Komposition in allen
ihren Einzelheiten erkennen läßt. Das Blatt ist in Fig. 1 abge
bildet.
Dem Neuen Testament gehört Fig. 2 an. Es ist der heilige
Hieronymus mit dem Löwen und überaus reizvollem Helldunkel
in den Details. Beachtenswert ist auch der architektonisch reich
ausgestattete landschaftliche Hintergrund.
Eine Stimmungslandschaft mit ungemein lieblichem Motiv
und zartester Durchführung gibt Fig. 3 wieder, die Rembrandt
»Die Landschaft mit der saufenden Kuh« betitelt.
Wie schön auch noch die wenigen späteren Abdrucke der
Sammlung sind, dafür spricht Fig. 4. das Blatt »Nachdenkender
Mann bei Kerzenlicht«. Ein düsterer Raum durch ein schwaches
Flämmchen erhellt, ein für Rembrandt geradezu prädestiniertes
Motiv.