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Text der Holzschnitte nichts bemerkt zu haben scheint. Die Cartouche
des zweiten Bilderräthsels ist kleiner geworden, der Horizont der ganzen
Darstellung ist tiefer gelegt. Bei einigen Tugenden, z. B. wTemperantiau,
nModeratiow, "Opportunitasn sind die Formen üppiger, die bekleidenden
Stolfe noch dünner und durchsichtiger, dagegen haben alle Sandalen als
Fussbekleidung erhalten. Diese größere Freiheit in der Toilette der weib-
lichen Umgebung des kaiserlichen Triumphwagens erregt Aufmerksamkeit,
wir erinnern uns aber, dass zwischen den Aquarellen vom Jahre 1518
und den Holzschnitten vom Jahre 1522 die niederländische Reise Dürer's
liegt, wir erinnern uns, dass er am 23. September 1520 einen wirklichen
königlichen Triumphzug, den Einzug Karl's V. in Antwerpen erlebte,
und dass er bei dieser Gelegenheit die schönsten Mädchen der edelsten
Familien in mythologischen Gruppen fast nackt bewundern konnte, wie
er und Melanchthon uns erzählen.
Und nun seien noch die wenigen übrigen Veränderungen des Zwölf-
gespannes und der Begleiterinnen aufgezählt. Bei der nModeratiou ist das
rechte Bein, Spielbein, richtiger gezeichnet, bei der wOpportunitasn ist die
Lage des Lorbeerkranzes verändert, die Blätter laufen nicht gegen die
Fingerhaltung, sondern in gleicher Richtung, eine unwesentliche aber sehr
feinfühlige Abänderung, der rechte Arm der wVelocitasu wurde im Ell-
bogengelenke nach oben abgebogen, das ausschreitende und überstreckte
linke Bein der vVirilitasu (im Holzschnitte wAcrimoniau) ist zu einem
soliden Standbeine umgestaltet. Die Hand der vSolertian greift etwas
tiefer in das Kummer des Pferdes und der Arm selbst ist entsprechend
gedreht. Bei den schönen und so charakteristischen Pferden findet sich
keine Abänderung, nur der rechte Vorderfuss des Pferdes nVirilitasn
kommt durch verändernde Stellung der Begleiterin besser hervor. Schließ-
lich sind die Leitseile statt in langweiligen Geraden in Curven gezogen.
Das sind sämmtliche Veränderungen, die Dürer in den sechs Holzschnitten
des Gespannes gegenüber den Aquarellen von t5t8 vorgenommen hat,
alles Uebrige ist mit peinlicher Genauigkeit in gleicher Größe den Aquarellen
entnommen. Erwägt man, dass die Aquarelle von 1518 in sehr kurzer Zeit
gemacht wurden -- am 5. Februar befiehlt der Kaiser in Innsbruck die An-
fertigung, am 29. März bestätigt er schon den Empfang, es blieben also
den Postenlauf etc. abgerechnet, für die Conception und Ausführung kaum
sechs Wochen - so sind durch die Eile, mit welcher Pirkheimefs ldee,
dem Triumphwagen 32 Tugenden beizugesellen, ausgeführt werden
musste, die kleinen Mängel der Aquarelle genügend erklärt. Nach all'
dem können diese nie und nimmer als Werkstattarbeit bezeichnet werden,
sie sind sicherlich eigenhändige Arbeiten Dlirer's, bei welchen einzelne
Details der Ausführung von Gehilfen herrühren.
Die Facsimile-Reproductionen sind mit großer Treue hergestellt,
nebst dem Tondrucke kamen fünf Farbenplatten zur Verwendung, braun
für die Contouren und Schratfen, blau, gelb, roth (lncarnat), violett (Ge-