Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und. Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
7. Jahrgang. Wien, 15. Juni 1915. Nr. 10 und 11.
Max Klingers
Max Klinger ist noch vor dem Ausbruch des 1
Krieges zwischen Italien und Österreich von Triest
nach Leipzig zurückgekehrt. Er führte mit sich, wie
schon in der vorigen Nummer kurz erwähnt, ein kost
bares, unersetzliches Gut, seine „Kreuzigung“, die
sich im Besitz der Erben des verstorbenen Architekten
Alexander Hummel befindet.
Das Gemälde war in der Hummelschcn Villa
„Eirene“ aufgestellt. Da diese dicht am Meere liegt,
mußte Klinger in größter Sorge um sein Werk sein.
Im Einverständnis mit den Hummelsdien Erben
schaffte er das Bild nach Leipzig. Hier wird es, sobald
einige notwendige Formalitäten erledigt sind, im
Museum der bildenden Künste bald der öffentlichen
Besichtigung zugänglich gemacht werden. So ist der
deutschen Kunst aus dem Treubruch Italiens unver
sehens ein großer Gewinn erwachsen. Denn Klingers
„Kreuzigung“ ist seit 20 Jahren nicht in Deutschland
gewesen, und der neuen Generation nur durch Ab
bildungen bekannt.
Das gewaltige W’erk ist Anfang der Neunzigerjahre
des vorigen Jahrhunderts in Rom entstanden, nach
dem die Vorarbeiten den Künstler schon in den Jahren
1888 und 188!) beschäftigt hatten. Eine Reihe von
Skizzenblättern zur „Kreuzigung“ befindet sich im
Dresdner Kupferstichkabinet. Vorausgegangen
war der „Kreuzigung“ die „Pieta“ Klingers, jenes
tiefergreifende Gemälde, das mit Recht als die feinste
Blüte einer nordisch-germanischen protestantischen
Kunst bezeichnet worden ist. Es schmückt jetzt die
Dresdner Galerie als eins ihrer Hauptwerke. Auch
die „Kreuzigung“ hat Klinger in einer neuen, modernen
Auffassung dargestellt. Nicht den von Schmerzen ge
peinigten und sterbenden Christus sehen wir, sondern
den lebenden Heiland, der erfüllt ist von Seelengröße,
von Liebe, von Mitleid mit den Seinen. Sein seelen
voller Blick ruht auf der Mutter, die vor Schmerz er
starrt ist. Magdalena, von Johannes und Salome ge
stützt, bricht ohnmächtig zusammen. Die Gruppe der
Zuschauer auf der Linken des Bildes ist zusammen
gesetzt aus Vertretern der Schriftgelehrten, des Volkes
und der römischen Gesellschaft.
Zwanzig Jahre lang ist die „Kreuzigung“ in der
Villa „Eirene“ in Triest am Passeggio San Andrea
„Kreuzigung“.
sorglich und liebevoll von Alexander Hummel und
seiner Schwester gehütet worden. Der Name dieses
Mannes darf niemals vergessen werden, wenn von Max
Klingers Leben und Schaffen die Rede ist. Frühzeitig
hatte der Triestiner Architekt die Größe des Leipziger
Meisters erkannt; er war ihm persönlich ein Freund
geworden und trat in der Öffentlichkeit tatkräftig
für seine Kunst ein, als sic noch wenig verstanden
wurde und viele Gegner hatte. Der Direktor des König
lichen Kupferstichkabinetts in Dresden Geheimrat
Professor Dr. Max Lehrs hat darüber vor einiger Zeit
in der „Zeitschrift für bildende Kunst“ ausführliche
Mitteilungen gemacht. Hummel hatte in seiner Villa
„Eirene" das große Gemälde Klingers „Urteil des
Paris“ zur Ausstellung gebracht und dieses später,
als es nach Wien übergesiedelt war, durch die „Kreu
zigung“ ersetzt. Als dann Klinger sein drittes großes
Bild „Christus im Olymp“ in Angriff genommen
hatte, dachte Hummel darüber nach, wie es sich wohl
ermöglichen ließe, die drei großen, in einem inneren
geistigen Zusammenhänge stehenden Schöpfungen des
Meisters in einem Raume zu vereinen. Er träumte von
einem Klinger-Tempel, der unter einem Dache
jene drei Gemälde vereinigen sollte. Zuerst hoffte er,
daß dieser Plan in Dresden in dem Galerieneubau
Verwirklichung finden würde. Trotz begeisterter Zu
stimmung einiger Weniger scheiterte der Plan an der
ausschlaggebenden Majorität. Dann unterhandelte er
mit Wien, wo der Unterrichtsminister Dr. von Hartl
mit Freuden auf den Vorschlag einging. Das Paris-Bild
wurde zur Ausstellung nach Wien gesandt, wo es sich
heute noch in der Modernen Galerie befindet. Der
Klinger-Tempel, wie ihn Hummel sich gedacht, harrt
noch der Ausführung. Ein anderer Klinger-Tempel,
mit dem „Beethoven“ im Mittelpunkte, ist unterdessen
im Leipziger Museum entstanden.
Darüber ist nun Alexander Hummel am 18. Mai 1914
aus dem Leben geschieden. Klingers „Kreuzigung“
blieb weiter im Frieden der Villa „Eirene“ am Strande
von Triest. Bis plötzlich die Kriegsfackel auch dorthin
ihren grellen Feuerschein warf und der Meister nach
Süden eilte, um das von treuer Freundschaft so lange
behütete Werk aus drohender Gefahr zu retten, in
den Schutz und die Sicherheit seiner Heimat.